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Syrien: Aleppo grösstenteils in Rebellenhand

Syrian opposition fighters ride in a truck as they enter the village of Anjara, western outskirts of Aleppo, Syria, Thursday Nov. 28, 2024, part of their major offensive on government-controlled areas ...
Syrische Rebellen auf dem Weg nach Aleppo.Bild: keystone

Aleppo grösstenteils in Rebellenhand – Flughafen in kurdischer Hand

30.11.2024, 15:3730.11.2024, 16:23
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Kurdische Milizen haben nach Angaben von Aktivisten die Kontrolle über den Flughafen der syrischen Grossstadt Aleppo übernommen. Die syrische Regierung von Präsident Baschar al-Assad hat bestätigt, die Kontrolle über grosse Teile der Millionenstadt Aleppo an Rebellen verloren zu haben.

Es sei «terroristischen Organisationen» gelungen, in weite Teile Aleppos einzudringen, hiess es in einer von der Staatsagentur Sana verbreiteten Mitteilung der syrischen Streitkräfte. Die Aufständischen hätten es aber bislang nicht geschafft, dort Stellungen einzurichten, weil weiterhin gezielte Schläge gegen sie ausgeführt würden. Regierungstreue Truppen warteten derzeit auf Verstärkung, um einen Gegenschlag auszuführen.

Wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte, rückten kurdische Kämpfer nach Abzug regierungstreuer Truppen in mehrere Dörfer und Vororte im Norden und Osten der Stadt ein und besetzten den Flughafen.

Die Truppen von Syriens Präsident Baschar al-Assad und ihre Verbündeten gerieten in dieser Woche durch die Offensive einer Rebellenallianz überraschend stark unter Druck. Die kurdischen Milizen gehören nicht zu dieser Allianz, scheinen nun aber teilweise das durch den Rückzug regimetreuer Truppen entstehende Machtvakuum auszufüllen. Der Vormarsch der Kurden dürfte vor allem von der Türkei und mit ihr verbündeten Milizen in Syrien mit Sorge betrachtet werden.

Rebellen kontrollieren Teile Aleppos

Syrische Rebellen kontrollieren Aktivisten zufolge nach den schwersten Kämpfen seit Jahren mittlerweile grosse Teile der Millionenstadt Aleppo. Das sagte Rami Abdel Rahman, der Leiter der in Grossbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, der Deutschen Presse-Agentur. Demnach drangen die Aufständischen zum ersten Mal seit 2016 in Aleppo ein – und das nur drei Tage nach dem Start ihrer überraschenden Offensive gegen die Truppen von Machthaber Baschar al-Assad.

Die Rebellen kontrollierten dort nun auch Regierungsgebäude und Gefängnisse, schilderte die Beobachtungsstelle. Regierungstruppen hätten sich in einen Vorort der Stadt zurückgezogen. Auch der Gouverneur und Polizeipersonal hätten das Stadtzentrum verlassen, berichteten die Aktivisten. Berichten zufolge zieht die Regierung ihre Streitkräfte im Osten der Stadt für einen Gegenschlag zusammen.

Sollte Aleppo dauerhaft an die Aufständischen fallen, wäre das ein herber Schlag für Präsident Assad, der seine Macht mit Hilfe russischer und iranischer Unterstützung in den vergangenen Jahren wieder festigen konnte. Die Offensive der Rebellen stellt eine bemerkenswerte Entwicklung dar in dem seit 2011 andauernden Bürgerkrieg, da sich die Fronten zuletzt wenig verändert hatten.

Russland teilte mit, es werde die syrischen Regierungstruppen unterstützen. In der Nacht griffen russische Kampfflugzeuge der Beobachtungsstelle zufolge dann zum ersten Mal seit 2016 wieder Ziele in der syrischen Millionenstadt an.

Video soll Rebellen in Aleppo zeigen

Regierungstruppen unter Druck

Eine Allianz von Aufständischen unter der Führung der Islamistenorganisation Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hatte in dieser Woche bei einer Offensive im Nordwesten des Landes überraschend grosse Gebietsgewinne erzielt. Die Regierungstruppen und ihre Verbündeten gerieten im Umland der Städte Idlib und Aleppo unter Druck. Die Allianz islamistischer Rebellen nennt ihre neue Offensive «Abschreckung der Aggressionen».

Am Freitag erreichten die Gefechte den Stadtrand Aleppos. Augenzeugen zufolge waren Gefechtslärm und Explosionen weithin zu hören. Ein Teil der Regierungstruppen verliess demnach seine Stellungen. Nach Angaben eines dpa-Reporters vor Ort sind Tausende Menschen auf der Flucht in ländliche Gebiete oder andere Städte. Die Rebellenallianz verhängte nach eigenen Angaben eine Ausgangssperre in der Stadt bis 8 Uhr morgens am Samstag.

Auch dieses Video soll Rebellen in Aleppo zeigen

Das syrische Verteidigungsministerium gab an, die Streitkräfte seien mit massiven Angriffen im Umland Aleppos und Idlibs konfrontiert. Die syrische Armee griff mit Unterstützung russischer Kampfjets Dutzende Ziele in Idlib und im Umland von Aleppo an. Ein Sprecher der russischen Armee teilte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Tass mit, mindestens 200 Rebellen seien bei russischen Angriffen getötet worden.

Aleppo war in den ersten Jahren des syrischen Bürgerkriegs stark umkämpft und wurde grossflächig zerstört. Erschütternde Aufnahmen der verwüsteten Stadt gingen damals um die Welt. 2016 wurden die Aufständischen vom syrischen Militär und dessen Verbündeten gewaltsam aus dem östlichen Teil der Stadt vertrieben. Die Schlacht um Aleppo gilt bis heute als eine der schlimmsten in mehr als 13 Jahren Bürgerkrieg. Idlib ist seit Jahren in der Hand der Aufständischen.

Russland griff 2015 ein – dann kam der Ukraine-Krieg

Seit Beginn der Rebellen-Offensive am Mittwoch wurden nach Angaben der Beobachtungsstelle für Menschenrechte fast 300 Menschen getötet, darunter mindestens zwei Dutzend Zivilisten. Die Organisation mit Sitz in Grossbritannien bezieht ihre Informationen von einem Netz aus Informanten vor Ort und gilt als verlässliche Quelle für Eindrücke aus dem von jahrelanger Gewalt zerrütteten Land.

Russland griff 2015 in den syrischen Bürgerkrieg ein und trug mit seiner überlegenen Luftwaffe dazu bei, dass Präsident Assad seine wankende Machtstellung wieder festigen konnte. Inzwischen kontrolliert seine Regierung wieder zwei Drittel des Landes. Wegen des Ukraine-Kriegs verringerte Moskau aber ab 2022 seine Truppenpräsenz in Syrien. Eine politische Lösung für den Konflikt ist nicht in Sicht. Infolge des Bürgerkriegs sind Millionen Syrer ins Ausland geflohen - viele auch nach Deutschland.

(rbu/sda/dpa)

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    Weltatlas
    29.11.2024 15:44registriert Juli 2024
    Das sind keine Freiheit liebende Rebellen, sondern Islamisten die einen mittelalterliches Kalifat erreichen möchten.
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    Sarah.J.M.
    29.11.2024 17:04registriert April 2024
    Hmmm... ich weiss jetzt echt nicht was schlimmer ist; auf der einen Seite die Islamisten, auf der anderen Seite Assad und die Russen. Darf man sagen, dass es einem echt egal ist, wenn sich diese beiden Seiten gegenseitig die Knöpfe ins Gesicht hauen? Dann sind sie beschäftigt und wer gewinnt ist ja eigentlich beinahe egal, hauptsache beide Seiten gehen geschwächt aus dem Konflikt.
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    rodolofo
    29.11.2024 16:30registriert Februar 2016
    Da die Russische Armee bereits damit beschäftigt ist, die Ukraine zu terrorisieren und in eine von jeglicher Lebendigkeit befreihte Mega-Ruine zu bomben, hat man zur Zeit wenig Kapazitäten für den Syrischen Kampfplatz.
    Das Assad-Régime muss also andere Kriegsverbrecher anfragen. In Nordkorea wird die einzige Telephonleitung besetzt sein. Der Iran ist mit seinen von Israel bedrängten Proxies und sich selber genügend ausgelastet.
    Maduro von Venezuela ist einfach ein aufgeblasener Schwätzer. Wer bleibt noch? Eventuell "Der Chinese"?
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