Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will die «Säuberungen» nach dem Putschversuch auch auf die Geschäftswelt ausdehnen. Europa zeigt sich nicht erfreut: Österreich forderte, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen.
Erdogan kündigte am Donnerstag vor Wirtschaftsvertretern an, er werde türkischen Unternehmen alle Geschäftsbeziehungen zu Firmen untersagen lassen, die mit dem Prediger Fethullah Gülen verbunden seien sowie deren Erlöse einkassieren.
Erdogan hat der Bewegung des einst mit ihm verbündeten Gülen die Schuld am versuchten Militärputsch Mitte Juli gegeben. Gülen, der in den USA im selbstgewählten Exil lebt, bestreitet die Vorwürfe Erdogans. Am Donnerstag erliess ein Istanbuler Gericht Haftbefehl gegen Gülen wegen dem Putschversuch. Es ist nicht der Erste: Erdogan fordert immer wieder die Auslieferung Gülens.
Gegen dessen Anhänger ging Erdogan mit einer breiten Verhaftungswelle in Armee, Verwaltung und dem Bildungssektor mit rund 60'000 Festnahmen vor. Nun will sich Erdogan offenbar die Wirtschaft vornehmen.
Die Gülen-Bewegung sei am stärksten in der Wirtschaft. Diese Verbindungen würden gekappt. Wer die Gülen-Bewegung finanziere, trage nicht weniger Schuld als die Putschisten selber, sagte Erdogan. «Wir werden kein Mitleid haben.»
In seiner Rede forderte Erdogan zudem die Zentralbank auf, ihre Reserven an ausländischen Devisen auf mindestens 165 Milliarden Dollar aufzustocken. Die Geschäftsbanken sollten ihre Zinsen für Immobilienkredite auf rund neun Prozent reduzieren.
Der Staatschef hatte zuvor mehrfach bekräftigt, dass die Wirtschaft des Landes trotz des versuchten Militärputsches stark sei und bleibe. Die Rating-Agentur Standard & Poor's bezeichnet die Türkei aber inzwischen als «Hochrisiko»-Land.
Das Handelsministerium rechnet nach einem Bericht der Zeitung «Hürriyet» vom Dienstag in Folge des Putschversuches mit wirtschaftlichen Schäden von umgerechnet mindestens 97 Milliarden Franken.
Österreichs Bundeskanzler Christian Kern forderte angesichts der Entwicklung in der Türkei, die EU-Beitrittsverhandlungen zu beenden, die ohnehin nur eine «diplomatische Fiktion» seien. «Wir werden ein alternatives Konzept verlangen», sagte Kern im ORF-Fernsehen mit Blick auf den informellen EU-Gipfel am 16. September.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte allerdings vor einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Eine solchen Schritt hielte er für «einen schwerwiegenden aussenpolitischen Fehler».
Gleichzeitig betonte Juncker, dass ein EU-Beitritt der Türkei aktuell nicht in Frage komme. «Die Türkei, in dem Zustand in dem sie jetzt ist, kann nicht Mitglied der Europäischen Union werden», sagte er – vor allem nicht dann, wenn sie die Todesstrafe wieder einführen. Dies hätte den sofortigen Abbruch der Verhandlungen zufolge.
Einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müssten «alle Mitgliedsstaaten – und zwar einstimmig – beschliessen», hob Juncker hervor. «Und diese Bereitschaft aller Mitgliedsstaaten sehe ich im gegebenen Moment nicht.»
Die Regierung in Ankara reagierte dagegen scharf auf Kerns Forderung: «Es ist verstörend, dass seine Kommentare ähnlich wie die der Rechtsaussen klingen», sagte Europaminister Omer Celik in Ankara in Anspielung auf die Positionen der rechtspopulistischen FPÖ in Österreich.
Österreichs Aussenminister Sebastian Kurz konterte auf Twitter: Er weise die Kritik des türkischen Europaministers Ömer Celik scharf zurück. Die Türkei müsse ihre «Hausaufgaben machen» und sich selbst in Wortwahl und im «Vorgehen im Land mässigen». (sda/reu/dpa/afp)