In der Ukraine wächst die Furcht vor einer neuen russischen Grossoffensive. Anlass sind Berichte über schwere Angriffe auf die Stadt Wuhledar im Südosten des Landes, an denen auch russische Eliteeinheiten beteiligt sein sollen. Von der Kleinstadt in der Region Donezk aus kontrolliert die ukrainische Armee eine für Russland strategisch wichtige Bahnstrecke zur Halbinsel Krim.
«Der Feind wirft eine beträchtliche Anzahl von Personal, Waffen und militärischer Ausrüstung in die Schlacht und versucht, unsere Verteidigung zu durchbrechen», sagte am Mittwoch die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Anna Maler zur Lage bei Wuhledar.
>> Alle aktuellen Entwicklungen im Liveticker
Die Intensität der Kämpfe nehme zu, so Maler. «Der Angriff auf Wuhledar hat begonnen», berichtet jetzt auch der ukrainische Kriegsreporter Jurij Butusow. «Diese Schlacht wird 2023 den gesamten Verlauf des Krieges in der Südukraine bestimmen.» Strategisch bedeutend ist die Kleinstadt vor allem wegen ihrer Lage.
Wuhledar liegt auf einer Anhöhe unmittelbar an der Front im Südosten der Ukraine. Von dort aus kontrolliert die ukrainische Artillerie eine auf russisch besetztem Territorium verlaufende Bahnstrecke – und drosselt damit den Nachschub für Putins Truppen auf der Halbinsel Krim. Die Strecke verläuft nur etwa 20 Kilometer entfernt von Wuhledar.
Nach dem Anschlag auf die Kertschbrücke zwischen der Krim und dem russischen Festland im Oktober muss Russland seine Truppen auf der Krim vor allem über die Landbrücke im Süden der Ukraine versorgen, die es beim Vormarsch im Frühjahr erobert hat.
The railroad pathway highlighted in red color would allow the Russian army to establish an important logistics route between Russia-Luhansk-Donetsk-Mariupol and possibly Crimea. pic.twitter.com/m9jXjuTsjd
— Tatarigami_UA (@Tatarigami_UA) December 3, 2022
Ohne die Bahnlinie zwischen der Regionalhauptstadt Donezk und der Krim ist die russische Armee auf Strassentransporte angewiesen, um Waffen, Munition und Treibstoff an die Front zu bringen, was deutlich ineffizienter ist als mit der Bahn. Für Russland wäre die Einnahme Wuhledars also ein grosser Erfolg, sowohl für die Verteidigung eroberter Gebiete als auch für neue Offensiven. Es ist allerdings fraglich, ob Putins Truppen dieses Mal der Durchbruch gelingt.
Schon im Oktober und November versuchten Einheiten der russischen Armee, die tiefer gelegenen Nachbarorte von Wuhledar, Mykilske und Pawliwka einzunehmen. Der Angriff scheiterte wohl unter hohen Verlusten – 2'000 Soldaten soll Russland bei den Kämpfen nach ukrainischen Angaben verloren haben. Die hohen Verluste lösten auch in Russland Unmut aus, zumal sie zwei Eliteeinheiten der Marine betrafen. Auch die neuerlichen Angriffe auf Wuhledar werden offenbar von der 40. und der 155. Marineinfanteriebrigade angeführt.
Kriegsreporter Jurij Butusow sieht die Angreifer auch dieses Mal im Nachteil. «Wuhledar ist eine bequeme Verteidigungslinie, es liegt auf den Höhen, der Feind rückt aus dem Tiefland vor, es gibt Möglichkeiten, ihm eine neue Niederlage zuzufügen», schreibt der Ukrainer. «Für uns bedeutet die erfolgreiche Verteidigung von Wuhledar, dass wir den russischen Elitebrigaden maximale Verluste zufügen.»
Auch der britische Geheimdienst sieht bislang keine «substanziellen Fortschritte» auf russischer Seite und spricht von möglichen Erkundungsangriffen. Das russische Militär sondiert demnach die Möglichkeit neuer Vorstösse in der östlichen Ukraine. Denkbar sei auch, dass der Kreml mit Nachrichten von vermeintlichen Angriffen Verwirrung stiften wolle, heisst es London.
In den vergangenen Monaten hatten sich die Kämpfe in der Ukraine auf die Städte Bachmut und Soledar im Osten des Landes konzentriert. Dabei setzte Russland vor allem Kämpfer der Söldnertruppe Wagner ein. Aus Soledar mussten sich die Ukrainer Mitte Januar zurückziehen, Bachmut ist weiter umkämpft.
US-Militärexperten sahen zuletzt Hinweise, dass Russland als nächstes in der Region Luhansk zuschlagen könnte. Der Kreml hat seit September etwa 300'000 Soldaten mobilisiert, von denen viele bislang wohl noch gar nicht in der Ukraine sind, sondern in russischen Ausbildungslagern. Spätestens im Frühjahr dürfte die russische Armee versuchen, neue Offensiven zu starten.
Haben die Russen mehr Soldaten für den Angriff oder die Urkanine mehr Munition für die Verteidigung.
Die alltägliche Grausamkeit dieses Krieges.