Bereits seit einem Jahr wird in der Ukraine heiss über einen möglichen Wechsel an der Spitze der Regierung diskutiert. Nun passiert dieser tatsächlich: Die ambitionierte Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko wird neue Regierungschefin in Kiew. Sie ersetzt Denys Schmyhal, der überraschend ins Verteidigungsministerium wechselt.
Die Rochade soll 3,5 Jahre nach dem russischen Grossangriff frischen Wind in die ukrainischen Machtstrukturen bringen. Der Wechsel dient jedoch auch einem anderen Ziel: die Beziehungen zu Donald Trump zu verbessern. Die wichtigsten Personalien im Überblick:
Seit 2019 hat sich die Wirtschaftsexpertin akribisch von der Stellvertreterin des Wirtschaftsministers zur Regierungschefin hochgearbeitet. Sie gilt als kompetent und flexibel, aber auch als äusserst loyal gegenüber Präsident Wolodymyr Selenskyj und seinem mächtigen Stabschef Andrij Jermak.
Obwohl sie schon als erste Stellvertreterin des bisherigen Ministerpräsidenten über reichlich Einfluss verfügte, war sie bis 2025 eher Insidern bekannt.
In diesem Jahr hat sie allerdings schwierige Verhandlungen mit den USA über das Rohstoffabkommen geführt, wofür sie weitherum gelobt wurde. Gespräche mit Washington auf Regierungsebene werden daher zu ihren Hauptaufgaben gehören. Eine grosse Änderung des innenpolitischen Kurses ist nicht zu erwarten.
Der junge Digitalminister Fedorov, Shootingstar der Kiewer Politik, ist das einzige Regierungsmitglied, welches schon seit dem Wahlsieg Selenskyjs 2019 die ganze Zeit im Kabinett sitzt. Nun steigt er wieder von einem von mehreren Vizepremiers zum ersten Vize von Swyrydenko auf.
Nicht grundlos: Sein Digitalministerium ist das wohl erfolgreichste Ressort des Landes. Im Interview mit CH Media vor gut einem Jahr erklärte Fedorov, dass dabei die Unterstützung der Schweiz die wohl wichtigste Rolle gespielt hat.
Die Schweiz sei «die Mutter der ukrainischen Digitalisierung», sagte er damals. Seine jetzige Beförderung dient auch der politischen Balance. Anders als Swyrydenko und viele neue Minister dürfte er eine eher komplizierte Beziehung zum mächtigen Selenskyj-Vertrauten Jermak haben. Zu Selenskyj selbst hat er jedoch direkten Zugang und gilt als sein Liebling.
4,5 Jahre war Schmyhal ukrainischer Ministerpräsident – so lange wie niemand zuvor. Dass ein Rekordpremier plötzlich zum Minister wird, ist ungewöhnlich, im Falle des 49-jährigen Technokraten aber nachvollziehbar. Auf das Verteidigungsministerium fällt in Zeiten des russischen Angriffskrieges die Hälfte des Staatshaushalts.
Dabei herrschte im Ressort unter seinem Vorgänger Rustem Umerow überwiegend Chaos. Der ruhige Schmyhal, der zudem als Ex-Premier ohnehin eng in die Verteidigungsfragen eingebunden war, soll Ordnung ins wichtigste Ministerium der Ukraine bringen. Eine einfache Aufgabe wird es jedoch auch für ihn nicht.
Die Position des Aussenministers ist eine der wenigen, die in der Regierung nicht neu besetzt wird. Keine Überraschung: Erst im letzten September hat einer der ukrainischen Top-Diplomaten den vorherigen Aussenminister Dmytro Kuleba ersetzt. Sybiha hat lange Jahre erfolgreich als Botschafter in der Türkei gearbeitet und wechselte 2021 ins Präsidentenbüro als der für internationale Beziehungen verantwortliche Stellvertreter.
Sybiha gilt als klassischer Diplomat und hat sich Schritt für Schritt im ukrainischen Aussenministerium hochgearbeitet. Die wirkliche Nummer eins der ukrainischen Diplomatie ist er aber nicht. Diese Rolle fällt Selenskyjs engstem Vertrauten Jermak zu, der einst als sein aussenpolitischer Berater im Präsidentenbüro anfing.
In Kiew wurde vermutet, dass der Regierungswechsel zum jetzigen Zeitpunkt hauptsächlich dem Zweck dient, Rustem Umerow zum Botschafter in die USA zu schicken. Denn die Trump-Regierung kann mit der heutigen Botschafterin Oxana Markarowa wenig anfangen. Und Umerow, obwohl als Verteidigungsminister eher durchwachsen, kam bei den bisherigen Gesprächen mit den Amerikanern gut an.
Doch das Weisse Haus war mit seiner Kandidatur wohl doch nicht zufrieden – und so kommt es nun zur grossen Überraschung: Botschafterin in Washington wird Olha Stefanischyna, die seit 2020 als Vize-Regierungschefin für europäische Integration arbeitet.
An der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der EU hatte sie einen grossen Anteil. Nun übernimmt sie eine Position, die für die Ukraine aktuell wichtiger als manch ein Ministerposten ist. Denn für das angegriffene Land ist es existenziell, die Unterstützung von US-Präsident Trump zu sichern. (aargauerzeitung.ch)