Am ersten Tag der Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1 hat Russland mit stark gedrosselten Gaslieferungen nach Italien und Österreich das Zittern um die Zukunft der Energieversorgung in Europa weiter angefacht. Seit Montagmorgen fliesst durch die mehr als 1200 Kilometer lange Leitung etwa auch kein Gas mehr nach Deutschland.
Das war wegen der jährlich anstehenden Wartung angekündigt und erwartet worden. Nachdem am Montag der Gashahn zugedreht wurde, fragt sich aber ganz Europa: Wird der Gashahn wieder aufgedreht?
Ab 6.00 Uhr hätten keine Lieferkapazitäten mehr zur Verfügung gestanden, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG der Deutschen Presse-Agentur. Auch der tatsächliche Gasfluss sank im Laufe des Vormittags laut Daten der Betreibergesellschaft zusehends ab.
Nach Angaben der Nord Stream AG sollen die Arbeiten bis zum 21. Juli dauern. In diesen zehn Tagen werde kein Gas durch die Pipeline nach Deutschland befördert.
Die Abschaltung findet zum Zeitpunkt grosser Sorge um die Gasversorgung und einen möglicherweise dauerhaften Lieferstopp statt. Dabei spielt auch die Diskussion über eine Turbine von Siemens Energy eine Rolle, die nach ihrer Wartung nun wieder ausgeliefert werden soll. Das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte im Juni die Liefermenge durch die Pipeline deutlich gedrosselt und auf die fehlende Turbine verwiesen, die zur Reparatur nach Kanada geschickt worden war.
Dem Präsidenten der Bundesnetzagentur Klaus Müller zufolge gibt es unterschiedliche Signale aus Moskau zu künftigen Gas-Lieferungen durch die Pipeline. Auf der einen Seite gebe es Aussagen von Kreml-Sprechern, man könne in Kombination mit der zugesagten Lieferung der Turbine wieder wesentlich mehr Gas liefern, sagte Müller am Montag im ZDF-Morgenmagazin.
Auf der anderen Seite habe es auch sehr martialische Ansagen gegeben. «Ehrlich gesagt, es weiss keiner», sagte Müller. Im schlimmsten Fall, wenn Russland die Gas-Lieferungen durch Nord Stream 1 auch nach der Wartung der Leitung stoppe, gebe es mehrere Szenarien, in denen Deutschland in eine Gas-Notlage rutsche.
Die Ukraine protestierte gegen die geplante Lieferung der gewarteten russischen Nord-Stream-1-Turbine von Kanada nach Deutschland. Man sei «zutiefst enttäuscht» über die Entscheidung der kanadischen Regierung, in diesem Fall eine Ausnahme von den gegen Russland verhängten Sanktionen zu machen, hiess es in einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung von Aussen- und Energieministerium in Kiew.
Siemens Energy will die in Kanada gewartete Turbine nach eigenen Angaben «so schnell wie möglich zu ihrem Einsatzort» bringen. Aktuell arbeiteten die Experten des Unternehmens an allen weiteren formalen Genehmigungen und der Logistik. Das Gerät kann angesichts seiner geringen Grösse – wenn nötig – auch per Flugzeug transportiert werden.
Nach der Abschaltung von Nord Stream 1 fliesst das Gas weiter über das von Russlands Krieg erschütterte Transitland Ukraine nach Europa. Der mögliche Umfang entsprach am Montag nach Angaben des Betreibers des ukrainischen Gastransitnetzes etwa dem der vergangenen Tage. Die über diese Route in Deutschland ankommende Menge russischen Gases war nach Angaben der Bundesnetzagentur allerdings im Juni ebenfalls deutlich zurückgegangen und entsprach schon davor nur einem Bruchteil der über Nord Stream 1 gelieferten Menge. Durch die über Polen verlaufende Jamal-Pipeline kam den Angaben zufolge zuletzt gar kein russisches Gas mehr.
Mehrere europäische Staaten, die die Regierung in Kiew nach Russlands Angriff unterstützen, erhalten bereits kein Gas mehr aus Russland.
Russland hat die Gaslieferungen nach Italien um etwa ein Drittel reduziert. Das habe der russische Staatskonzern Gazprom mitgeteilt, schrieb der teilstaatliche Energieversorger Italiens Eni am Montag. Statt wie gewohnt 32 Millionen Kubikmetern je Tag würden am Montag voraussichtlich 21 Millionen Kubikmeter je Tag geliefert. Sollte es zu «neuen und deutlichen Veränderungen» kommen, wollte Eni weitere Informationen bereitstellen.
Seit dem Ausbruch des Angriffskrieges in der Ukraine will Italiens Regierung unter Ministerpräsident Mario Draghi unabhängig von russischen Gas-Lieferungen werden. Das Land mit fast 60 Millionen Einwohnern bezieht einen Grossteil seiner Gas-Importe aus Russland. Die italienische Regierung schloss deshalb neue Abkommen mit anderen Gas-Lieferanten, etwa Aserbaidschan, Katar und Algerien. Italien kaufte seitdem über seinen Gas-Netzbetreiber Snam ausserdem zwei Terminals für die Speicherung und Regasifizierung von Flüssiggas (LNG). (awp/sda/dpa)