Normalerweise muss sich Joe Biden von republikanischen Politikerinnen und Politikern vorwerfen lassen, seine Ukraine-Politik sei zu forsch. Der US-Präsident sei überfordert, sagen diese Kritiker, und provoziere einen Dritten Weltkrieg. «Der hoffnungslose Joe Biden führt uns in den Untergang», schrieb der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump am Wochenende.
Eine Reihe von prominenten Republikanern aber findet: Der Demokrat im Weissen Haus geht nicht forsch genug vor. So sagte Michael McCaul, Vorsitzender der Aussenpolitischen Kommission im Repräsentantenhaus, am Wochenende dem Fernsehsender ABC: Die USA müssten die Ukraine umgehend mit amerikanischen Kampfjets und mit ballistischen Kurzstreckenraketen des Typus ATACMS unterstützen.
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Ähnlich äusserte sich in der NBC-Sendung «Meet the Press» der republikanische Senator Dan Sullivan aus Alaska. Er bezeichnete das angeblich zögerliche Vorgehen der Regierung Biden bei der Lieferung neuer Waffensysteme als einen groben Fehler. «Wir müssen ihnen geben, was sie jetzt benötigen, und dabei den Ukrainern zuhören», sagte Sullivan, ein Mitglied des verteidigungspolitischen Ausschusses im Senat.
Ungewöhnlich direkt war auch Sullivans Aussage über die Krim. Er verwies darauf, dass die Regierung Biden sich schwer damit tue, die Rückeroberung der von Russland annektierten Halbinsel durch die Ukraine zu unterstützen – obwohl die USA diese Annexion nie anerkannten. Der Republikaner forderte das Weisse Haus zu mehr «Klarheit» auf.
Wenn Bidens führende Sicherheitsberater sagten, dass die Ukraine das Recht habe, ihre territoriale Integrität zu verteidigen, dann beinhalte dies eben auch die Krim. Und das Weisse Haus müsse Kiew die entsprechenden Waffensysteme liefern, damit die Ukraine die Halbinsel zurückerobern könne, sagte der republikanische Senator.
Damit bestärkte Sullivan den ukrainischen Präsidenten Selenski. Dieser hatte am Tag zuvor erneut betont, dass sein Land nicht ruhen werde, bis die Krim wieder ukrainisch sei. Blau-gelbe Fahnen der Ukraine müssten über jedem Winkel des Staatsgebiets wehen.
Um eine mögliche Offensive in Richtung Krim abzuwehren, haben die Russen inzwischen an strategisch wichtigen Zufahrtswegen zur Halbinsel grössere Befestigungen errichtet. Der ukrainische Generalstab meldete ausserdem, dass die Russen nun vorhätten, Teile ihrer zivilen Verwaltung in der benachbarten Provinz Cherson aus Sicherheitsgründen auf die Krim zu evakuieren. Aus der Provinzhauptstadt Cherson hatte sich Moskaus Interventionskorps Anfang November auf das östliche Ufer des Dnjepr zurückziehen müssen.
Nur: Wie realistisch ist überhaupt ein Angriff der Ukraine auf die Krim? Im Moment hat Kiew höchstwahrscheinlich andere Prioritäten, nämlich die Abwehr der russischen Offensive in der östlichen Region Donbass. Dort rücken russische Truppen und Söldner der Gruppe Wagner vor, allerdings nur punktuell und sehr langsam.
Zwar sind die ersten der versprochenen Leopard-2-Kampfpanzer schon in der Westukraine eingetroffen, aber bis daraus einsatzfähige Kampfeinheiten für eine ukrainische Gegenoffensive geschmiedet sind, wird es noch eine Weile dauern. Sollten jedoch die von Michael McCaul geforderten ATACMS-Lenkwaffen tatsächlich geliefert werden, könnten diese dazu eingesetzt werden, die zur Krim führenden Nachschubwege und den Kriegshafen Sewastopol auf der Halbinsel anzugreifen.
Eine Halbinsel lässt sich zwar leicht verteidigen, aber die direkte Verbindung vom russischen Festland zur Krim – die so genannte Brücke von Kertsch – ist verwundbar. Über sie verläuft der wichtigste Nachschubweg für die auf der Krim und in den angrenzenden Gebieten auf dem ukrainischen Festland stationierten Truppen und Luftwaffenbasen. Dabei stellt Moskau in Aussicht, dass die Reparaturarbeiten an der rund 18 Kilometer langen Brücke im März beendet sein sollen. Eine mutmasslich von den Ukrainern orchestrierte Explosion hatte im letzten Oktober einzelne Brückenelemente schwer beschädigt.
Sollte die Ukraine ATACMS-Raketen oder andere Lenkwaffen mit einer Reichweite von ungefähr 300 Kilometern erhalten, könnte die Armee ähnlich vorgehen wie schon bei der Rückeroberung von Cherson: Durch das Abschnüren der Russen vom Nachschub könnte die Lage auf der Krim irgendwann unhaltbar werden. Dazu müsste die Ukraine allerdings auch die Landverbindung entlang des Asowschen Meeres kappen und die russische Schwarzmeerflotte noch weiter nach Osten drängen, als das heute schon der Fall ist. Dass dies demnächst geschehen wird, ist unwahrscheinlich.
Das kann und wird Russland nicht zulassen.
Sie werden die Krim um jeden Preis (und mit allen Mitteln!!) halten.