In ihrem Abwehrkampf gegen die russische Invasion hat die Ukraine auch in der Nacht auf Donnerstag russische Ziele aus der Luft angegriffen. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums schoss die Flugabwehr über der annektierten Halbinsel Krim einen Marschflugkörper aus der Ukraine ab. Ebenso seien über dem Gebiet Brjansk an der Grenze zur Ukraine zwei Drohnen abgefangen worden. In der Nacht zuvor hatten die ukrainischen Streitkräfte ihre bislang massivsten Drohnenangriffe geflogen und sechs russische Gebiete bis nach Moskau sowie die Krim attackiert.
Für die Ukraine ist der Donnerstag der 554. Kriegstag. Das osteuropäische Land hat bei den Kämpfen gegen die russischen Angreifer in mehr als 18 Monaten schon grosse Verluste erlitten; es braucht Soldaten. Präsident Wolodymyr Selenskyj vereinbarte mit seinem Sicherheitsrat deshalb strikte Massnahmen gegen die Mitarbeiter in Musterungsbehörden, die Männer gegen Schmiergeld vom Wehrdienst freistellen. Bei ihrer Offensive im Süden und Osten kann die Ukraine weitere Panzer aus Deutschland einsetzen.
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Von dem mutmasslichen Angriff mit einer Lenkrakete war der Osten der Krim bei der Stadt Feodossija betroffen. Teile des Marschflugkörpers hätten eine Stromleitung getroffen, sagte eine Mitarbeiter der Krim-Verwaltung. Die offiziellen Angaben waren nicht unabhängig überprüfbar. Im Internet verbreiteten sich Fotos, die angeblich Explosionen und Brände in der Region zeigten. Augenzeugen sprachen von drei Raketen. Der russische Telegram-Kanal Mash mutmasste, der Angriff habe dem Militärflugplatz Kirowskoje auf der Krim gegolten.
Nach dem Abschuss der zwei Drohnen im Gebiet Brjansk teilte Gouverneur Alexander Bogomas mit, es habe keine Verletzten oder Schäden gegeben. Er berichtete aber auch, dass Rettungsdienste im Einsatz seien. Bei den Drohnenattacken in der Nacht auf Mittwoch war vor allem Schaden auf dem Flugplatz der nordwestrussischen Stadt Pskow nahe der Grenze zu Estland entstanden. Dort wurden mehrere schwere Militärtransportflugzeuge beschädigt, mindestens zwei von ihnen brannten aus.
Beim Absturz von zwei ukrainischen Militärhubschraubern sind nach Armeeangaben alle sechs Männer an Bord getötet worden. Die Helikopter vom Typ Mi-8 seien aus ungeklärter Ursache bei einem Einsatzflug nahe Kramatorsk in der Ostukraine verunglückt, sagte ein Sprecher der ukrainischen Heeresflieger im Fernsehen. Die Leichen seien in den Wracks der völlig zerstörten Maschinen gefunden worden. Nach der Ursache des Absturzes vom Dienstag werde gesucht. Die Ukraine hatte erst vergangene Woche drei Piloten verloren, als zwei Flugzeuge bei einem Übungsflug kollidierten.
Selenskyj und der ukrainische Sicherheitsrat berieten am Mittwoch über den Kampf gegen Bestechlichkeit in den Musterungsbehörden. Es würden alle Fälle von Ausmusterungen wegen angeblicher Dienstuntauglichkeit seit Kriegsbeginn überprüft, bei denen es einen Verdacht auf Schmiergeldzahlungen gebe, kündigte der Präsident an. Für die Befreiung vom Wehrdienst seien 3000 bis 15'000 US-Dollar gezahlt worden, berichtete er. Gesondert überprüft werde, wenn jemand nach einer verdächtigen Entscheidung der Musterungskommission ins Ausland ausgereist sei. Selenskyj hat wegen der Korruption bereits alle Leiter der Musterungsbehörden ersetzt.
Deutschland hat der Ukraine weitere zehn Kampfpanzer vom Typ Leopard 1 A5 zur Verfügung gestellt. Ausserdem wurden weitere 13,1 Millionen Schuss Munition für Handfeuerwaffen geliefert. Das geht aus der Liste der Bundesregierung zu militärischen Hilfen für die Ukraine hervor, die wie jede Woche am Mittwoch aktualisiert wurde. Zur aktuellen Lieferung zählt ein Luftraumüberwachungsradar vom Typ TRML-4D, das mit dem Flugabwehrsystem Iris-T zum Einsatz kommt. Deutschland schickte auch ein Feldhospital, 4 Schwerlastsattelzüge und 16 Aufklärungsdrohnen vom Typ Vector.
Nach anfänglichem Zögern ist die Bundesrepublik mittlerweile einer der grössten militärischen Unterstützer der Ukraine. Noch nicht entschieden hat die deutsche Regierung über den dringenden Wunsch Kiews nach Taurus-Marschflugkörpern.
Mehrere ukrainische Militärpiloten können nach Angaben des Oberkommandierenden Walerij Saluschnyj in Dänemark mit der Ausbildung auf dem Kampfjet F-16 beginnen. Das teilte Saluschnyj nach einem Telefonat mit dem Befehlshaber der dänischen Streitkräfte mit. Zugleich wollten Kopenhagen und Kiew die Logistik vorbereiten, um die F-16 künftig in der Ukraine warten und reparieren zu können, schrieb Saluschnyj auf Telegram. Dänemark wird der Ukraine 19 seiner F-16-Jets übergeben. Weitere dieser in den USA gebauten Kampfflugzeuge sollen aus den Niederlanden und Norwegen kommen.
Die Aussenminister Russlands und der Türkei, Sergej Lawrow und Hakan Fidan, treffen sich in Moskau. Die Türkei versucht, Russland zu einer neuen Vereinbarung über ukrainische Getreideexporte über das Schwarze Meer zu bewegen. Das vorige Abkommen hatte Moskau im Juli auslaufen lassen und seine Sicherheitsgarantien für Schiffsverkehr Richtung Ukraine aufgekündigt. (sda/dpa)