Die Wogen in der Klassikwelt gehen wegen des Ukraine-Krieges erneut hoch. Diesmal ist es nicht Anna Netrebko, die für Schlagzeilen sorgt, sondern ein junger Geiger zeigt, wie politisch Bach, Mozart und Co. sind.
Stein des Anstosses ist eine deutliche Geste von Dmitro Udovychenko. Die einen nennen sie nun stark, die anderen beleidigend. Klassikblogger Norman Lebrecht machte den Fall auf seiner Plattform publik, wo er heftig diskutiert wird.
Nachdem der 25-Jährige den weltberühmten und wohl renommiertesten Geigenwettbewerb der Welt, den Reine Elisabeth, gewonnen hatte und ihm Jurymitglied Vadim Repin gratulieren wollte, verschränkte Udovychenko die Hände hinter seinem Rücken. Der Grund ist einfach: Dem Ukrainer gegenüber stand ein Russe, der sich nie von Putin distanziert hat – ganz im Gegenteil.
Dmytro Udovychenko stammt aus Charkiw, wo seine Eltern unter Putins Bombenangriff stehen. Er gewann bisher unter anderem den Heifetz Wettbewerb in Vilnius sowie die Odessa Competition und holte Auszeichnungen an anderen Wettbewerben.
Vadim Repin ist Teil der russischen Kulturpropaganda, ebenso wie seine Frau, die Ballerina Swetlana Sacharowa. Im Jahr 2022 verlieh Putin dem Geiger den Titel des Volkskünstlers Russlands. Repin war zusammen mit anderen Putin-Anhängern wie dem berüchtigten Yuri Bashmet und Sergei Roldugin (das Zürcher Obergericht diskutierte letzte Woche über seine beziehungsweise Putins Finanzgeschäfte) in der Jury des 17. Tschaikowsky-Wettbewerbs, dem Putins Musikzar Valery Gergiev vorsteht.
Im März 2024 sandte Putin Grüsse an die Teilnehmer, Organisatoren und Gäste des Transsibirischen Kunstfestivals, das vom Staat unterstützt und von Repin geleitet wird.
Nun mag man die Belgier fragen, warum Repin immer noch in dieser mehr als 12-köpfigen Jury sitzt. Oder soll man tatsächlich fragen, warum Dmytro Udovychenko an einem Wettbewerb teilnimmt, wo Repin in der Jury sitzt?
Warum soll ein noch fast unbekannter Geiger einen Protest einlegen, den kaum jemand wahrnehmen würde, und damit seine Karriere gefährden? Er soll an diesem Wettbewerb teilnehmen. Und wenn ihn Putins Intimus aufs Schild hebt, ist das auch in Ordnung. Den Handschlag darf er ihm verweigern.
Das findet auch die georgische Meistergeigerin Lisa Batiashvili, im Sommer Artiste étoile am Lucerne Festival. Sie gratuliert auf Facebook dem Ukrainer zum Sieg, unterstützt ihn für seine Geste und schreibt:
Und dann skizziert sie kurz ihre Lebensgeschichte: Sie berichtet, wie die Russen 2008 Südossetien, ihr georgisches Land, besetzten und wie Dirigent Valery Gergiev alsbald vor den mit Georgiern gefüllten Gefängnissen ein Konzert dirigierte.
Sie schliesst ihr längeres Statement mit den Worten:
Zu den legendären Siegern des Concours Reine Elisabeth zählten in der ferneren Vergangenheit der Jahrhundertgeiger David Oistrach oder Leonid Kogan (1937 und 1951). Speziell am Wettbewerb ist, dass es keine Juryberatung gibt: Die Juroren geben unabhängig ihre Punkte ab. 1997 erhielt der famose Nikolaj Znaider am meisten Punkte, 2001 die grossartige Baiba Skride und 2009 Ray Chen. 1989 gewann ein gewisser Vadim Repin.
Wer nennt die Geste beleidigend? Ausser Putins Propagandaapparat und seine Fünftkolonisten der AfD, SVP, Junge Tat etc.?