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Ukraine

73. Naval Special Operations Centre: die ukrainischen Navy Seals

Ukrainische Kampftaucher
Wenn sie auftauchen, wird es gefährlich.Screenshot: Instagram

Ukrainische «Navy Seals» schlagen hinter der russischen Front zu – das ist ihre Geschichte

Weit hinter den feindlichen Linien operiert die Ukraine mit im Westen ausgebildeten Kampfschwimmern. Deren Einsätze sind extrem gefährlich. In der Spezialeinheit kämpft auch eine Frau.
28.09.2024, 19:56
Christoph Cöln / t-online
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t-online

In der Dunkelheit der Nacht schlagen sie zu. Dann steigen sie in ihren Froschanzügen aus dem kalten Wasser und zerstören Putins Verteidigung: die Kampftaucher einer Spezialeinheit der ukrainischen Armee.

Sie schwimmen in Vierergruppen durch Flüsse oder die Fluten des Schwarzen Meeres und verüben Sabotageakte, zum Teil weit hinter den feindlichen Linien.

Untereinander sind sie nur durch eine Leine verbunden, mit deren Hilfe sie unter Wasser kommunizieren. Und sie sind mit modernsten Atemgeräten ausgestattet, damit aufsteigende Luftblasen sie nicht verraten.

«Wo der gewöhnliche Krieg endet, beginnt unsere Arbeit.»
Spruch der Elitesoldaten

Was ist das für eine Spezialeinheit?

Bislang war kaum etwas über die militärische Spezialeinheit bekannt. Nun treten die Mitglieder des 73. Naval Special Operations Centre erstmals ins Licht der Öffentlichkeit, allerdings anonym, um ihr Leben nicht zu gefährden.

Es sind hochkomplexe und gefährliche Missionen, denen die Kampftaucher und Kampftaucherinnen der ukrainischen Armee nachgehen. Doch ihre Einsätze können den Frontverlauf entscheidend verändern.

Ukrainische Elitesoldaten
Nachtsichtgeräte gehören zur unverzichtbaren Ausrüstung der Spezialeinheit.Screenshot: Instagram

«Unsere Taucher dringen mit Booten verdeckt in feindliche Gebiete ein, tauchen, nähern sich der Küste, führen Aufklärungen durch, räumen Minen, landen und führen Spezialoperationen durch», sagte der junge Kommandant eines der Taucherteams der britischen «Times».

Sie sind das ukrainische Äquivalent zu den amerikanischen Navy Seals oder dem britischen Special Boat Service. Ihre Aufgabe besteht darin, eine Welle der Zerstörung zu entfesseln und Chaos und Verunsicherung unter den russischen Streitkräften zu entfachen.

Der «Times»-Journalist Maxim Tucker berichtet nicht zum ersten Mal über ukrainische Elitesoldaten:

Tweet von Maxim Tucker
Der Journalist twitterte, er habe «einen Grossteil der letzten Woche mit den Männern und Frauen des ukrainischen Äquivalents der Navy Seals verbracht».Screenshot: x.com

Schon seit 2014, als russische Truppen auf der Krim einfielen, kämpft die Ukraine auch zu Wasser. Spätestens seit der umfassenden Invasion von Wladimir Putins Truppen im Nachbarland im Frühjahr 2022 zählen die grossen Flüsse im östlichen und südlichen Teil der Ukraine, aber auch das strategisch bedeutsame Schwarze Meer zu den am härtesten umkämpften Gebieten.

Oft verläuft die Front direkt an einem der Flüsse, etwa am Dnipro, wo sich ukrainische und russische Truppen über viele Kilometer Länge gegenüberstehen.

Von Briten und Amerikanern ausgebildet

Ausgebildet wurden die ukrainischen Kampftaucher von britischen und US-amerikanischen Spezialkräften, ausgerüstet sind sie mit der neuesten Technologie für ihre Missionen. Die erlaubt es ihnen, im Wasser praktisch unsichtbar zu werden. Die Russen sehen sie nie kommen, sagen sie der «Times». Das wäre auch schlecht, denn sonst wären sie vermutlich längst tot.

Allerdings hilft unter Wasser und bei Nacht auch die modernste Ausrüstung nicht immer weiter, deshalb verlassen sie sich auf ganz konventionelle Hilfsmittel: Kompass, Uhr, Tiefenmesser und Kopfrechnen, um Entfernungen und Luftvorräte richtig einzuschätzen, diese Hilfsmittel sind ihre Lebensversicherung.

Die britischen Spezialkräfte haben ihren ukrainischen Kollegen während einer sechs Monate dauernden Kompakt-Ausbildung beigebracht, wie sie mithilfe von Unterwasser-Drohnen die russischen Verteidigungsvorrichtungen unter Wasser zerstören.

Einsatzgebiet: Schwarzes Meer

Vor allem Seeminen machen der Ukraine zu schaffen. Seit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch der Truppen von Russlands Machthaber Wladimir Putin und der damit verbundenen Besetzung des Schwarzen Meeres wimmelt es in den Gewässern rund um die ukrainische Küste nur so von Sprengstoffvorrichtungen. Damit die Ukraine die Seewege im Schwarzen Meer nutzen kann, müssen die Minen im Wasser geräumt werden.

«Das Schwarze Meer ist derzeit eines der gefährlichsten Gewässer der Welt», sagte Dmitro Kowalenko, ein Kommandant der ukrainischen Marine.

Wie schwierig die Minenräumung im Wasser ist, zeigt die Tatsache, dass sich manche der schwimmenden Sprengkörper mit unbemannten Unterwasserdrohnen nicht entschärfen lassen. Sie können nur von Spezialtauchern neutralisiert werden.

Dafür wurde die amphibische Spezialeinheit der ukrainischen Marine ausgebildet. Sie wollen die russische Küstenverteidigung schwächen und Putins Truppen aus ukrainischen Hoheitsgewässern vertreiben.

Tweet von Maxim Tucker
Screenshot: x.com
«Während die Landnahme des ukrainischen Militärs in Kursk Hunderte von Kilometern weiter nördlich die Aufmerksamkeit auf sich zieht, findet die strategischere Schlacht im Schwarzen Meer statt – und es ist eine Schlacht, die die Ukraine mit britischer und US-amerikanischer Hilfe trotz aller Widrigkeiten gewinnt.»

Vom Erfolg der ukrainischen Spezialeinheit zeugen nicht nur die zahlreichen Angriffe auf russische Kriegsschiffe, bei denen es gelang, einen wesentlichen Teil von Putins Schwarzmeerflotte zu vernichten und die russische Marine zu zwingen, ihre Kontingente zu verlegen.

Als ukrainische Spezialeinheiten die Russen am 30. Juni 2022, vier Monate nach der Invasion, von der Schlangeninsel vertrieben, sicherten sie dem Land einen Korridor für den Getreideexport aus dem Hafen von Odessa.

Im September 2023 hat die Ukraine die Kontrolle über eine Reihe von Ölplattformen übernommen, die heute als Ausgangspunkt für Angriffe auf russische Ziele auf der Krim dienen. Die Räumung der Kinburn-Halbinsel und der Tendra-Nehrung durch die Russen war ebenfalls von entscheidender Bedeutung für die Freigabe des zweitgrössten ukrainischen Seehafens, Mykolajiw.

Wenn jemand Alarm auslöst, ist es ganz schnell vorbei

Wie riskant die Einsätze der Taucher sind, erzählt Alex der «Times». So seien sie einmal in einer Vierergruppe losgeschwommen, allerdings mussten zwei ihrer Kollegen umdrehen. Die anderen beiden schwammen weiter und stiessen bald auf ein ganzes Bataillon russischer Truppen. «Mindestens 500 Soldaten», wie Alex sagt.

Das Ziel ihrer Mission war es, ein gepanzertes russisches Flugabwehrsystem vom Typ ZSU-23-4 Shilka mit Selbstantrieb auszuschalten. Das System war für die Russen von strategischer Bedeutung.

Für die beiden ukrainischen Spezialisten ging es darum, auf feindlichem Terrain nicht entdeckt zu werden. Hätte jemand Alarm ausgelöst, wären sie gefangen genommen oder getötet worden. Alex erklärt:

«Deshalb ist es so wichtig, die Aufgabe so unauffällig wie möglich zu erledigen, ohne Zeichen, Signale, Kommunikation oder thermische Signaturen, ohne das Überraschungsmoment zu verlieren.»

Doch sie konnten ihren Auftrag erfüllen, einen Sprengsatz mit Fernzünder an dem Flugabwehrsystem installieren und unentdeckt wieder verschwinden: «Wir sahen, wie das Fahrzeug in die Luft flog und auch die Munition, die darin war. In dem Fahrzeug befand sich eine Besatzung, die eine Schicht transportierte, die Truppen in ihre Stellungen bringen sollte. Wir haben wahrscheinlich acht bis zehn Russen getötet».

Die Russen seien fassungslos gewesen. So weit von der Frontlinie entfernt konnten sie sich nicht vorstellen, dass sie von ukrainischen Truppen angegriffen wurden.

Alex erzählt:

«Wir hörten ihre Funksprüche ab. Sie schrien und gaben sich gegenseitig die Schuld daran, dass die neue Rotation keine Karten mit ihren Minen oder ihren Positionen erhalten hatte. Sie dachten, sie hätten ihre eigene Mine getroffen.»

Auch eine Frau kämpft in der Spezialeinheit

Dass die ukrainischen Kampftaucher ihre Einsätze häufig erfolgreich abschliessen, liegt auch an ihrer harten Ausbildung. Die orientiert sich an den gleichen Programmen, wie sie auch die amerikanischen Navy Seals absolvieren müssen.

Es sind ultraharte Trainings, sogenannte «Q-Kurse», die darauf abzielen, die widerstandsfähigsten Bewerber auszusieben. Die angehenden Marines müssen dabei extreme körperliche Anstrengung, Schlafmangel und Hunger überstehen. Wer aufgibt, fliegt raus.

Auch eine Frau gehört zur ukrainischen Kampftauchereinheit. Sie war eine der ersten in der ukrainischen Armee, die den berüchtigten «Q-Kurs» bestand. Dann schloss sie sich den Tauchern an, stieg dort schnell auf und ist inzwischen Kommandantin einer Einheit.

Tweet von Maxim Tucker
Zu den Elitekämpfern, «Operators» genannt, gehört «Judy», eine der wenigen Ukrainerinnen, die den «Q»-Kurs der NATO für Spezialkräfte absolviert haben.Screenshot: x.com

Seitdem hat sie an einigen der heftigsten Gefechte des Krieges teilgenommen, darunter die Gegenoffensive in Saporischschja. Bei ihrem letzten Einsatz befehligte sie ein Team, das eine russische Schnelleingreiftruppe auf der Kinburn-Halbinsel in einen Hinterhalt lockte.

Sie sei stolz auf ihre Arbeit, aber sie wisse, dass der Tod immer mitschwimme. «Wir kämpfen jetzt seit zweieinhalb Jahren zusammen», sagte sie der «Times».

«Wir leben zusammen, wir essen zusammen, wir schlafen zusammen. Die Einheit ist zur Ersatzfamilie geworden. Wenn wir jemanden verlieren, ist das der härteste Schlag, den du dir vorstellen kannst».

Erst im Februar 2024 geriet eine amphibische Spezialeinheit der ukrainischen Marine bei dem Versuch, in kleinen Schnellbooten auf der Tendra-Nehrung zu landen, in einen Hinterhalt. Russische Truppen töteten mehrere der Kampftaucher und nahmen einen gefangen.

Der frühere Navy Seal Chuck Pfarrer hat sich mit der ukrainischen Spezialeinheit befasst:

Quellen

(t-online/dsc)

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38 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rivka
28.09.2024 22:03registriert April 2021
Ich kann und werde es immer wieder wiederholen: Gibt den Ukrainern was sie brauchen, bis sie es selbst herstellen. Den Rest machen sie selbst. Das heisst im Klartext die Ukrainer sind derzeit das einzige Volk, das den Moskowiten in die Är***e treten kann.
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001243.3e08972a@apple
28.09.2024 21:40registriert Juli 2024
Danke und viel Glück 👍🏻
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Dominik Egloff
28.09.2024 21:42registriert November 2015
Ich wünsche diesen Kämpfern für uns alle viel Glück. Danke für die gute und harte Arbeit.
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