Die grossen Erfolge von Michael Moore sind länger her. «Bowling for Columbine» (2002) und «Fahrenheit 9/11» (2004) – für den er den Oscar erhielt – waren Publikums-Hits, mit denen der 70-jährige Filmemacher für heftige Kontroversen sorgte. «Fahrenheit 11/9» über den Wahlsieg von Donald Trump 2016 hingegen floppte trotz guter Kritiken.
Dabei hatte Moore, eine Galionsfigur der amerikanischen Linken, zur kleinen Minderheit gehört, die Trumps Erfolg gegen Hillary Clinton korrekt vorhergesagt hatte. Vor vier Jahren wagte er keine klare Prognose, denn er ging davon aus, dass Joe Biden in den Umfragen zu gut dastand. Und auch damit lag er richtig: Biden siegte gegen Trump knapper als erwartet.
Nun ist das Rennen zwischen Kamala Harris und Donald Trump noch weitaus enger, trotzdem wagt Michael Moore eine sehr klare Ansage. Doch halt, bevor wir sie auflösen, wollen wir einen Cliffhanger einbauen und uns am Tag, an dem überall in Amerika die Wahllokale geöffnet haben, einen Blick auf die letzten Umfragen und Prognosen werfen.
Demnach gibt es «eine der knappsten Präsidentschaftswahlen in der Geschichte der amerikanischen Politik», so der «New York Times»-Politanalyst Nate Cohn. Nimmt man die «blanken» Umfragen, ist alles möglich. Landesweit und in den sieben entscheidenden Swing States liegt der Abstand zwischen Harris und Trump innerhalb der Fehlermarge.
Der Ex-Präsident hat im Verlauf des Oktobers stark aufgeholt, doch die Tage vor der Wahl brachten gute Nachrichten für die demokratische Vizepräsidentin. So hat sie im vielleicht entscheidenden Swing State Pennsylvania in den letzten repräsentativen Umfragen einen knappen Vorsprung auf Trump. Ein Grund könnte die Puerto-Rico-Kontroverse sein.
Für Aufsehen sorgte auch eine als seriös geltende Erhebung, die Harris in Iowa in Führung sieht. Der kleine Agrarstaat im Mittleren Westen gilt als Bastion der Republikaner. Nur wenige in den USA trauen diesem Befund, und ohnehin kann man sich fragen, wie akkurat die Umfragen grundsätzlich sind. Klare Prognosen sind jedenfalls dünn gesät.
In der Electoral-College-Simulation des «Economist» etwa liegt Kamala Harris am Wahltag knapp vorn, ihre Erfolgschance wurde auf 56:44 Prozent angehoben. Der Statistiker Nate Silver hat nicht weniger als 80’000 Simulationen durchgespielt. In 50,015 Prozent aller Fälle siegte Harris. 49,985 Prozent entfielen auf Trump oder ein Unentschieden (269:269 Elektoren).
Kamala Harris scheint ganz leicht im Vorteil zu sein. Das kommt aufgrund der Entwicklungen der letzten Tage nicht überraschend. Während sich die Demokratin auf ihren Kundgebungen um eine positive Message bemühte, waren Donald Trumps Rallys von mehr oder weniger offenen Drohungen und Beleidigungen an Andersdenkende und speziell seine Rivalin geprägt.
Werden Trumps erratische, machohafte Auftritte und seine hasserfüllten Reden ihn zu Fall bringen? Einige Prognosen und Modelle deuten in diese Richtung:
«Politico» bezeichnet die Umfrage des britischen Instituts als «Mega Poll». Sie basiert auf einer Befragung von mehr als 31’000 Wählerinnen und Wählern in den gesamten USA, die mit einer statistischen Methode namens Multilevel Regression and Post-stratification (MRP) mit demografischen Daten aus den einzelnen Bundesstaaten abgeglichen wird.
Bei der US-Präsidentschaftswahl deutete das Focaldata-Modell lange auf einen Sieg von Donald Trump hin. Im letzten Update aber kippte es auf die Seite der Demokraten. Das liege an älteren weissen Frauen, die normalerweise rechts wählen, nun aber zu Kamala Harris tendierten. Erste Befunde aus dem Early Voting stützen diese Annahme.
Larry Sabato von der University of Virginia hat ein Prognosemodell namens Crystal Ball (Kristallkugel) entwickelt. Vor acht Jahren ging er wie viele andere von einem Sieg Hillary Clintons aus. 2020 hingegen sagte er Joe Bidens Erfolg ziemlich exakt voraus. Dieses Jahr hätte Sabato angesichts des knappen Rennens seine Kristallkugel am liebsten «verlegt».
Nun wagt der renommierte Politologe dennoch eine Prognose. Er geht davon aus, dass Kamala Harris mit 276 zu 262 Elektorenstimmen gewinnen wird. Als wesentlichen Grund nennt Sabato die Eindrücke aus den Tagen vor der Wahl. 2016 seien sie von Clintons E-Mail-Affäre dominiert worden. In diesem Jahr liege der Fokus auf Trumps Entgleisungen.
Jetzt aber zurück zum Filmemacher. Anfang Oktober hatte Moore behauptet, Donald Trump sei «Toast», also verbrannt. Danach setzte dieser zur Aufholjagd an. Und jetzt? Michael Moore glaubt weiterhin, dass Kamala Harris siegen wird, und zwar «deutlich». Seine «Kronzeugin» ist eine wenig beachtete Politologin namens Rachel Bitecofer.
Sie hatte wie Moore die Ergebnisse der Wahlen 2016 und 2020 sowie der Midterms 2022 korrekt vorhergesagt. Die vorliegenden Daten seien für Harris «überwältigend positiv», schreibt Bitecofer, die einen Abschluss der University of Georgia besitzt. Es gebe «nicht das Jota eines Beweises», dass Trumps Strategie, Männer zu mobilisieren, erfolgreich sei.
Eine «Politico»-Analyse zeigt tatsächlich, dass deutlich mehr Frauen als Männer am Early Voting teilgenommen haben. Eine Garantie für einen Harris-Triumph ist das nicht. Weder Focaldata noch Larry Sabato wollen ausschliessen, dass Donald Trump gewinnen wird. Und selbst Michael Moore hält es für möglich, dass er «furchtbar falsch» liegen könnte.
Dennoch sind diese letzten «Wasserstandsmeldungen» aufschlussreich. Sie zeigen, dass Kamala Harris womöglich bessere Chancen hat, als viele gerade bei uns vermuten.