Vor wenigen Wochen lud Donald Trump die führenden Tech-Bosse aus dem Silicon Valley in seinen Tower ein: Apple-Chef Tim Cook, Alphabet-CEO Eric Schmidt, Amazon-Gründer Jeff Bezos und Facebook-Vorstand Sheryl Sandberg. Einer jedoch fehlte in der Runde: Twitter-Chef Jack Dorsey. Und das, obwohl der Kurznachrichtendienst im Wahlkampf eine zentrale Rolle spielte. Unter Trumps Twitter-Gefolgschaft (Follower-Zahl: 17,7 Millionen) befinden sich rund ein Drittel Bots, automatisierte Skripte, die unablässig teilen und retweeten. Diese Meinungsroboter sorgten dafür, dass nach der ersten Fernsehdebatte der Hashtag «TrumpWon» zum Trending Topic in den USA auf Twitter avancierte und ein Gegennarrativ zur medialen Erzählung konstruiert wurde, wonach Clinton das Duell gewonnen habe.
Auch nach seinem Wahlsieg machte Trump auf Twitter kräftig Stimmung – der Kurznachrichtendienst ist das Sprachrohr des president elect. Mitten in der Nacht setzt der Immobilienmilliardär, der nach eigenen Angaben mit nur vier Stunden Schlaf auskommt, Mitteilungen ab, auf die sich am nächsten Morgen begierig die Medien stürzen. Am 6. Dezember um 5.52 Uhr morgens twitterte Trump:
Boeing is building a brand new 747 Air Force One for future presidents, but costs are out of control, more than $4 billion. Cancel order!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 6. Dezember 2016
Nach 10 Sekunden begann der Aktienkurs im freien Fall zu sinken. Trump kann mit einem Tweet Aktienkurse auf Talfahrt schicken. Das macht mittlerweile nicht nur seine politischen Gegner, sondern auch Unternehmen unruhig.
Twitter-Chef Dorsey äusserte sich über seinen Edelnutzer ambivalent. Das Verhältnis sei «kompliziert», sagte er auf einer Konferenz in San Francisco. «Dass der gewählte Präsident unseren Dienst als direkte Kommunikationsform benutzt, zeigt und ermöglicht es jedem zu sehen, was in seinem Kopf vorgeht. Das ist faszinierend», erklärte Dorsey. Doch nicht jeder ist über den prominenten Nutzer begeistert. Trump hat sich in seinen Tweets wiederholt abfällig über mexikanische Migranten und andere Minderheiten geäussert. Die «Washington Post» rief in einem Leitartikel dazu auf, Donald Trump von Twitter zu verbannen. Die Grenzen der Meinungsfreiheit gelten auch für den gewählten Präsidenten.
Twitter gerät zunehmend unter Druck, nicht zuletzt, nachdem sich ehemalige Mitarbeiter kritisch in der Öffentlichkeit über die Rolle des Konzerns geäussert hatten. Der ehemalige Softwareingenieur Ben Matasar twitterte am Tag nach der Wahl: «An alle meine Twitter-Freunde: Was haben wir nur gebaut?» Auch bei Facebook gab es intern Überlegungen, Trumps Kommentare als «hate speech» zu klassifizieren. Inzwischen haben fast 55'000 Leute eine Online-Petition unterschrieben, die Twitter dazu auffordert, Donald Trumps Account zu löschen.
In einer Zeit, wo über Twitter Fake-News verbreitet werden und das Fundament der Demokratie unterminieren, kommt dem Kurznachrichtendienst, den Manager Tony Wang 2012 noch zum «freien Rede-Arm der freien Meinungspartei» stilisierte, eine besondere Verantwortung zu. Ein Sprecher des Unternehmens betonte, dass Profile, die gegen die Nutzungsregeln verstiessen, gesperrt würden. Diese Regeln gelten für alle Accounts, also auch für den von Donald Trump. In den Twitter-Regeln heisst es:
Als Sperrgrund wird unter anderem auch «Hass schürendes Verhalten» genannt:
Trumps Einlassungen dürften sich nach strenger Auslegung darunter subsumieren lassen.
Zwar hätte Twitter als privates Unternehmen, das nicht an das First Amendment gebunden ist, das Recht, Trumps offiziellen Account zu sperren, doch würde der Konzern es wohl nicht wagen, dem Präsidenten und mächtigsten Mann der Welt kurzerhand den Stecker zu ziehen. Das würde einen riesigen Aufschrei bei Trumps Anhängerschaft provozieren. Der Konzern kämpft seit Monaten mit roten Zahlen und stagnierenden Nutzerzahlen. Einen Edelnutzer verprellt man nicht. Auch wenn dessen Botschaften zuweilen unerträglich sind.