Es ist ein beispielloser Eklat: Mit einem nachträglichen Ausstieg aus der G7-Abschlusserklärung zum Gipfel in Kanada hat US-Präsident Donald Trump die Gruppe grosser Wirtschaftsmächte gespalten.
Er begründete diesen bisher einmaligen Schritt in der über 40-jährigen G7-Geschichte auf Twitter mit der Haltung des kanadischen Gastgebers des Gipfels in La Malbaie, Justin Trudeau, zu US-Strafzöllen auf Stahl und Aluminium. Trump stürzt die Staatengruppe damit in eine ungewisse Zukunft.
Die USA und die sechs anderen G7-Staaten – darunter die wichtigsten westlichen US-Verbündeten Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Kanada – hatten sich bei dem Gipfel trotz tiefgreifender Differenzen bei den Themen Handel und Klimaschutz in letzter Minute zunächst zu der achtseitigen Abschlusserklärung durchgerungen.
Trump hatte die Partner aber bereits vorher düpiert, indem er fünf Stunden vor dem Ende des Treffens zu seinem Treffen mit dem nordkoreanischen Präsidenten Kim Jong Un nach Singapur abreiste. Dieser mit Spannung erwartete Gipfel findet aber erst am Dienstag statt.
Vom Flugzeug aus startete Trump seine Attacke auf Trudeau. Der hatte am Samstag in seiner Abschluss-Pressekonferenz gesagt, die Strafzölle gegen die EU und Kanada, die Trump mit der Wahrung der amerikanischen Sicherheitsinteressen begründet, seien «etwas beleidigend». Kanada werde seinerseits die USA mit höheren Zöllen belegen. «Das machen wir nicht gerne, aber wir werden es absolut machen, denn wir Kanadier sind freundlich und vernünftig, aber wir lassen uns nicht herumkommandieren.»
Trump antwortete darauf auf Twitter und bezeichnete Trudeau als «sehr unehrenhaften und schwachen» Gastgeber:
PM Justin Trudeau of Canada acted so meek and mild during our @G7 meetings only to give a news conference after I left saying that, “US Tariffs were kind of insulting” and he “will not be pushed around.” Very dishonest & weak. Our Tariffs are in response to his of 270% on dairy!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 9. Juni 2018
Based on Justin’s false statements at his news conference, and the fact that Canada is charging massive Tariffs to our U.S. farmers, workers and companies, I have instructed our U.S. Reps not to endorse the Communique as we look at Tariffs on automobiles flooding the U.S. Market!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 9. Juni 2018
Die Drohung zu den Autos dürfte Deutschland als grosser Exporteur besonders umtreiben.
Die EU zeigte sich unbeirrt. «Wir halten an dem Kommuniqué fest, so wie es von allen Teilnehmern vereinbart wurde», sagte ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk in der Nacht zu Sonntag der Nachrichtenagentur DPA.
Gleichfalls über Twitter erklärte Trudeaus Amt, der Ministerpräsident habe nach dem Treffen nichts anderes gesagt als bei den öffentlichen und privaten Unterredungen mit Trump während des Gipfels. Trudeau halte sich weiter an das, was erreicht worden sei.
Die Gipfelerklärung war erst nach einer Nachtsitzung und weiteren Verhandlungen bis kurz vor Ende des Gipfels zustandegekommen. Die Strafzölle kommen darin gar nicht vor. Aber es gibt eine Passage zum Handel, in der es heisst: «Wir unterstreichen die zentrale Bedeutung eines regelbasierten internationalen Handelssystems und kämpfen weiter gegen Protektionismus.» Der Kompromiss geht aber nicht wesentlich über Gipfelformulierungen aus dem vergangenen Jahr hinaus.
Vor seinem Abflug hatte sich Trump trotz der tiefen Gräben im transatlantischen Verhältnis noch zufrieden gezeigt. Der Gipfel sei «ausgesprochen erfolgreich» verlaufen. Das Verhältnis zu den anderen sechs inklusive Trudeau bewertete er mit der Bestnote 10 auf einer Skala von 1 bis 10. «Das heisst aber nicht, dass ich mit allem einverstanden bin, was sie tun», fügte er vor allem mit Blick auf den Handelsstreit hinzu. Die Europäische Union sei «brutal» zu den USA. «Wir sind das Sparschwein, das jeder plündert, und das hört jetzt auf.»
Kurz nach Gipfelende sagte der französische Staatschef Emmanuel Macron noch, das Treffen habe zu einer «Beruhigung» in der G7-Gruppe geführt. «Der Geist der Kooperation hat gewonnen.» Vor dem Gipfel hatte er Trump noch vorgeworfen, dieser wolle sich mit Alleingängen etwa bei Handel und Klima isolieren und strebe eine Vormacht in der Welt an.
Merkel äusserte sich dagegen zurückhaltend. Sie verzichtete auf direkte Kritik an Trump und sprach lediglich von «erkennbaren Meinungsverschiedenheiten». Sie schätze aber das «offene und direkte Verhältnis» mit dem US-Präsidenten.
In einer ganzen Reihe von Einzelfragen waren sich die grossen Wirtschaftsmächte einig: Gemeinsames Abwehrsystem gegen Destabilisierungsversuche aus Ländern wie Russland oder China; Förderung von Frauen und Mädchen in Entwicklungsländern und Krisenregionen mit 4,7 Milliarden Euro; Unterstützung für Trumps Bemühungen für eine unumkehrbare atomare Abrüstung der koreanischen Halbinsel.
Andererseits verlängerte sich die Liste der Streitfragen aber sogar noch. Trump erweiterte sie mit dem Vorstoss, Russlands Präsident Wladimir Putin wieder in die Gruppe der grossen Wirtschaftsmächte aufzunehmen. Chancen auf Erfolg hat der Vorschlag nicht, weil ein solcher Beschluss nur einstimmig fallen kann. Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Kanada sprachen sich offen dagegen aus, sollte es in der Ukraine keine Fortschritte geben. Der neue italienische Premierminister Giuseppe Conte ist allerdings dafür. Damit geht an dieser Stelle der Graben auch durch die Europäische Union.
Beim Klimaschutz stellte die G7 wie beim letzten Gipfel den Dissens zwischen den USA und den anderen Mitgliedern fest - 6 plus 1 also. Trump war aus dem Pariser Uno-Klimaschutzabkommen ausgestiegen und hatte sich damit weltweit isoliert.
Auch bei einem anderen Umweltthema klinkte Trump sich aus - zusammen mit Japan. Die anderen fünf verpflichteten sich darauf, bis 2030 die vollständige Verwertung von Plastikmüll zu erreichen - vor allem, um ihn aus den Ozeanen zu verbannen. In Europa fallen nach Angaben der EU-Kommission jährlich rund 26 Millionen Tonnen Plastikmüll an. Nur knapp 30 Prozent davon werden zur Wiederverwertung gesammelt, die übrigen 70 Prozent landen auf Müllkippen, in Verbrennungsanlagen oder eben in der Umwelt.
Beim Streitthema Iran war das gemeinsame Ziel der Verhinderung einer iranischen Atombombe in der Abschlusserklärung festgeschrieben worden. Der Streit über den Weg dorthin findet aber dort keine Erwähnung. Die USA sind aus dem Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen und wollen Teheran wieder mit Sanktionen unter Druck setzen. Dagegen wollen die europäischen Vertragsparteien Deutschland, Frankreich und Grossbritannien die Vereinbarung zusammen mit Russland und China unbedingt retten.
Der nächste G7-Gipfel soll im Sommer 2019 in Biarritz stattfinden. Das ist jedenfalls die bisherige Planung. Welche Folgen der Eklat hat, ist aber noch nicht absehbar. Reaktionen der anderen G7-Mitglieder gab es am Samstagabend zunächst nicht. (sda/afp/dpa/reu)