Donald Trump ist erst sechs Wochen im Amt. Die Konturen der neuen amerikanischen Sicherheitspolitik sind aber bereits sichtbar. In Europa wollen die USA künftig nur noch die Rolle eines neutralen Vermittlers spielen; vorbei ist die Zeit, in der sich der amerikanische Präsident im Konfliktfall quasi automatisch die Position der Europäer zu eigen machte.
Dies gilt ab sofort auch für den Krieg in der Ukraine. Also sagte Donald Trumps wichtigster Sicherheitsberater am Sonntag: «Sie können die andere Seite nicht in den Dreck ziehen, wenn sie beide Seiten an den Tisch bringen wollen.» Diese Kritik von Mike Waltz war an den ukrainischen Präsidenten gerichtet.
Wolodymyr Selenskyj hatte Wladimir Putin am Freitag im Oval Office als «Mörder» und «Terroristen» bezeichnet, mit dem man keine Kompromisse schliessen könne. Trump hingegen, der sich bereits jetzt als couragierter Friedensstifter feiern lassen will, respektiert den russischen Präsidenten. Er findet solche Aussagen über Putin hinderlich – auch deshalb brach Trump am Freitag die Gespräche mit Selenskyj ab.
Ein Blick auf die Traktandenliste des Senats zeigt, dass die Konfrontation im Weissen Haus wenn nicht gewollt, dann doch absehbar war. Am kommenden Dienstag diskutiert die kleine Kammer über die Nomination von Elbridge Colby. Der 45 Jahre alte Republikaner soll im Verteidigungsministerium den Posten des sicherheitspolitischen Vordenkers übernehmen. Colby gilt als Einflüsterer einer jungen Generation von rechtspopulistischen Politikern, zu der auch Vizepräsident JD Vance, Verteidigungsminister Pete Hegseth und Trumps Sohn Donald Trump Junior gehören.
Colby vertritt die Meinung, dass das transatlantische Bündnis auf ein neues Fundament gestellt werden müsse. So ist die Zeit der NATO, wie wir sie kennen, nach etwas mehr als 75 Jahren abgelaufen. Im Gespräch mit CH Media sagte Colby im vergangenen Sommer: Die USA hätten sich auf die Bekämpfung des wichtigsten Antagonisten zu fokussieren, auf China. Und weil Washingtons Ressourcen beschränkt seien, erfordere dies Abstriche auf anderen Kontinenten.
In Europa müssten deshalb künftig die europäischen NATO-Mitglieder die Hauptverantwortung für die Verteidigung des Kontinents übernehmen, sagte Colby. Folgerichtig wäre «eine gewisse Reduzierung» der amerikanischen Truppenpräsenz in Europa angebracht. Derzeit befinden sich in Deutschland gegen 49'000 uniformierte und zivile Angestellte des Pentagons; in Italien sind etwa 15'000 und in Polen ungefähr 10'000 Amerikanerinnen und Amerikaner stationiert.
Bereits sagt Elon Musk, der engste Berater von Trump, dass die USA sich aus der NATO (und der UNO) verabschieden sollten. «Ich stimme zu», kommentierte die entsprechende Aussage eines Trump-Anhängers. Der amerikanische Präsident scheint zu einem kompletten Bruch mit Europa aber aktuell nicht bereit zu sein. So sagte Trump in der vorigen Woche, als der britische Premierminister im Weissen Haus zu Gast war: Er «unterstütze» die gegenseitige Beistandspflicht, die im Nordatlantikpakt festgeschrieben ist. Der Artikel 5 des NATO-Vertrages sieht vor, dass sämtliche Mitgliederstaaten einem NATO-Land, das angegriffen wurde, helfen müssen.
Aber natürlich zerstört der amerikanische Präsident das Vertrauen in solche Aussagen, wenn er davon absieht, Russlands Präsidenten öffentlich in die Schranken zu weisen. So sagte Trump am Freitag im Weissen Haus: Er sehe seine Rolle gewissermassen «als Vermittler zwischen zwei Parteien, die gelinde gesagt sehr verfeindet» seien. Diese Beschreibung träfe auf viele künftige Konflikte im Osten von Europa zu, die Putin nach einem erzwungenen Ende des Krieges in der Ukraine anzetteln könnte.
Die Beziehungen zwischen Polen und Russland zum Beispiel, die sind seit Jahrhunderten angespannt. In Warschau nahm man deshalb jüngst perplex zur Kenntnis, dass Trump kürzlich den Präsidenten des europäischen NATO-Musterschülers nicht im Weissen Haus empfangen wollte – stattdessen tauschte sich der Amerikaner mit Polens Präsident Andrzej Duda nur einige wenige Minuten lang am Rande einer Konferenz von Rechtspopulisten in Washington aus. Am Zeitbudget kann das nicht gelegen haben, Trumps Rede an der Konferenz dauerte mehr als 75 Minuten. Vielleicht war es ein Signal an Warschau, einem der treusten Verbündeten der Ukraine? Niemand scheint dies so recht zu wissen.
Viel hängt deshalb nun davon ab, wie sich Selenskyj in die amerikanisch-russischen Verhandlungen über einen Frieden in der Ukraine einbringt. Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass er einen Bückling machen wird und sich bei Trump entschuldigt.
Vielmehr scheint der Ukrainer auf einer seiner Hauptforderungen zu bestehen: Selenskyj will von Trump hören, dass die USA weiterhin auf der Seite der Ukraine stünden. Diesen Wunsch will die neue amerikanische Regierung ihm aber nicht erfüllen. Sicherheitsberater Mike Waltz sagte am Sonntag: «Dieser Krieg muss enden.» Dafür seien territoriale Konzessionen der Ukrainer notwendig, und allfällige Zugeständnisse der Russen, sagte der ehemalige republikanische Abgeordnete. Wie die Konzessionen der Russen auszusehen haben, darüber schwieg sich Waltz aus.