Trump fordert Wahlen in der Ukraine – und greift damit Putin unter die Arme
Wenn die USA und Europa die Sicherheit gewährleisten, ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj innerhalb von 60 bis 90 Tagen zu Wahlen auch während des laufenden Krieges mit Russland bereit. «Ich habe persönlich den Willen und die Bereitschaft dazu», sagte der Staatschef Journalisten, wie die Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine meldete. Neben der Sicherheitsfrage müsse dafür auch das Wahlgesetz angepasst werden. Er bitte daher die Abgeordneten seiner Fraktion darum, entsprechende Gesetzesänderungen vorzubereiten.
Das ukrainische Gesetz über das Kriegsrecht verbietet bisher ausdrücklich die Abhaltung von Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen. Das Gesetz kann geändert werden, jedoch sieht die Verfassung Parlamentswahlen erst nach der Aufhebung des Kriegsrechts vor. Verfassungsänderungen sind während des Kriegsrechts verboten.
Seit dem russischen Überfall von 2022 hat es keine Wahlen in der Ukraine mehr gegeben. Die reguläre Amtszeit des Präsidenten lief im Mai 2024 aus, die des Parlaments im August 2024. Kommunalwahlen hätten Ende Oktober 2025 stattfinden müssen.
In der Ukraine besteht die Sorge, dass Russland Wahlen im Nachbarland manipulieren und eine kremltreue Marionetten-Regierung an die Macht bringen könnte. Ungeklärt ist auch die Frage, wie eine Beteiligung aller wahlberechtigten Ukrainer an der Wahl gewährleistet werden kann. Mehr als 5,8 Millionen Ukrainer sind nach UN-Angaben ausser Landes geflohen. Mehrere Millionen ukrainische Staatsbürger leben in den von Russland besetzten Gebieten.
Keine ukrainische Besonderheit
Dass es unter dem geltenden Kriegsrecht keine Neuwahl geben kann, ist indes keine ukrainische Besonderheit, sondern in vielen Ländern der Welt gängige Praxis – beispielsweise auch in Deutschland. So ist in Artikel 115h des deutschen Grundgesetzes festgelegt, dass eine Wahlperiode des Bundestags erst sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalls endet, wenn sie ansonsten in Kriegszeiten ablaufen würde. Bei den Amtszeiten von Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts sind es ebenfalls sechs, im Falle des Bundespräsidenten sogar neun Monate Verzögerung.
Schon zuvor hatte sich US-Präsident Trump für die Abhaltung von Wahlen in dem kriegsgeplagten Land ausgesprochen. Schon vor Monaten warf er Selenskyj vor, der ukrainische Regierungschef sei ein «Diktator» und nicht demokratisch legitimiert – womit der US-Präsident beinahe wörtlich den Duktus des Kremls übernahm. Putin spricht seit Jahren von einem «Faschistenregime» in Kiew, zudem wirft er Selenskyj seit Mai 2024 vor, ohne Legitimation im Amt zu sein. Damals war die ursprünglich fünfjährige, reguläre Amtszeit des Ukrainers abgelaufen.
Auch hatte Trump in einem Interview mit dem Magazin «Politico», das am Dienstag publiziert wurde, erneut das Narrativ des Kreml übernommen, russische Truppen seien in der Ukraine hoffnungslos unterlegen, eine Niederlage Kiews sei gewissermassen nur noch eine Frage der Zeit. «Russland hat ganz klar die Oberhand», sagte Trump. Selenskyj müsse nun endlich «den Ball spielen», so der US-Präsident mit Blick auf die Friedensverhandlungen.
Putin etabliert erfolgreich sein Narrativ
Moskau verlangt von der Ukraine weitreichende Gebietsabtretungen und weitere Zugeständnisse, die die territoriale Integrität des Landes betreffen. Trump spielt diesem Plan erneut in die Karten, indem er die Ukraine quasi schon zum Verlierer des Krieges erklärt. «Ich zolle den Menschen in der Ukraine und dem ukrainischen Militär grosse Anerkennung für ihren Mut, ihren Kampfgeist und all das», sagte er in dem Interview.
Während die USA unter der rechtsgerichteten Trump-Regierung den Druck auf die Ukraine und Europa also immer mehr erhöhen, sieht Wladimir Putin seine Ziele in dem von ihm befohlenen völkerrechtswidrigen Überfall auf das Nachbarland zum Greifen nah. So konnte der Kreml laut Analysen von Experten zuletzt immer mehr das Narrativ etablieren, dass die russischen Truppen im Donbass kurz vor der Eroberung der Region stünden. Dem widersprechen jedoch nicht nur westliche Militäranalysten, sondern auch russische Kriegsblogger.
«Wir sind nicht der Meinung, dass die Ukraine verliert. Wenn Russland so mächtig wäre, hätte es den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden können», sagte ein europäischer Diplomat gegenüber «Politico».
Trump: «Keine Demokratie mehr»
«Zweifellos besteht Russland darauf, dass wir Gebiete aufgeben. Wir wollen aber nichts aufgeben. Dafür kämpfen wir», sagte Selenskyj am späten Montagabend gegenüber Reportern. Überdies erlaubt es die ukrainische Verfassung dem Präsidenten gar nicht, Zugeständnisse über die territoriale Integrität des Landes zu machen. Für eine Gebietsaufgabe im Sinne Moskaus bräuchte es ebenso wie für Neuwahlen erst eine Verfassungsänderung.
Inmitten dieser Situation sagte Trump in dem «Politico»-Interview einen erstaunlichen Satz über die Ukraine:
Der einstmals grösste Verbündete des angegriffenen Landes wirft der Selenskyj-Regierung vor, keine Demokratie mehr zu sein. Bei europäischen Politikern lösen diese Aussagen tiefe Sorgenfalten aus.
Ukrainer sind mehrheitlich gegen Neuwahlen
Bei Neuwahlen würde der ukrainische Präsident nur vier Prozent erhalten, behauptete er damals. Doch laut der jüngsten Umfrage des Kyiv International Institute of Sociology würden rund 20 Prozent der Ukrainer im Falle einer Wahl für Selenskyj stimmen. Allerdings befürworten nur 22 Prozent der Ukrainer derzeit überhaupt Neuwahlen. Fakt ist aber auch, dass die Popularität des ukrainischen Präsidenten seit den letzten Korruptionsskandalen stark gelitten hat. Dennoch liegt Selenskyj damit in Umfragen immer noch knapp vor dem sehr beliebten ehemaligen Oberbefehlshaber der ukrainischen Truppen, Walerij Saluschnyj.
Die russische Exil-Zeitung «The Moscow Times» hält die Forderung nach Neuwahlen für ein bekanntes Muster Putins. Sie entspreche dem autoritären Selbst-Verständnis des Kremlherrschers. Dieser verachte die Demokratie, respektiere aber Diktatoren, weil man mit diesen die Dinge unter vier Augen klären könne.
Röttgen: «Wir werden in die Zange genommen»
In diese Dynamik platzt nun das Trump-Interview. Experten sehen den Zeitpunkt von Trumps Forderungen nach Neuwahlen in der Ukraine nicht als Zufall. Nicht nur die Ukraine ist politisch derzeit geschwächt, auch Europa zeigt sich notorisch zerstritten bis handlungsunfähig. Der deutsche Aussenexperte Norbert Röttgen von der CDU hatte angesichts der neuen US-Sicherheitsdoktrin unter Trump erst am Wochenende festgestellt, die USA stünden nicht mehr an der Seite der Europäer.
Ziel der Trump-Administration sei es, «unsere innere Verfassung nach den gegenwärtigen ideologischen Vorgaben der MAGA-Bewegung zu beeinflussen», so Röttgen gegenüber «Redaktionsnetzwerk Deutschlands» (RND).
Derweil tourt Selenskyj weiter unermüdlich durch Europa. Am Dienstag wurde der ukrainische Präsident bei Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni vorstellig, danach sogar bei Papst Leo in dessen Residenz in Castel Gandolfo. Dem blieb nicht viel mehr, als die «Notwendigkeit der Fortsetzung des Dialogs» zu betonen und seinem Wunsch nach einem gerechten und dauerhaften Frieden Ausdruck zu verleihen.
Verwendete Quellen:
- politico.com: Trump's frustration with Ukraine and Europe boils over
- kyivindependent.com: Zelensky 'ready' to hold elections during war, if partners ensure security
- themoscowtimes.com: Why Is the Kremlin Insisting on Ukraine Holding Elections?
- spiegel.de: Trumps neue Sicherheitsdoktrin. Röttgen sieht USA nicht mehr an der Seite von Europa
- pbs.org: Zelenskyy again resists U.S. pressure on Ukraine to cede any land to Russia as he rallies European support
- rnd.de: Röttgen: USA erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr an der Seite der Europäer
- tagesschau.de: Warum Selenskyj weiterhin legitimer Präsident ist
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa

