Wie labil das politische Klima in den USA derzeit ist, zeigte ein Vorfall am Mittwoch: Die Polizei hat vor dem Haus von Brett Kavanaugh, einem Richter am Supreme Court, einen Verdächtigen festgenommen. «Der Mann war bewaffnet und hatte Drohungen gegen Richter Kavanaugh ausgesprochen», teilte eine Sprecherin des Gerichts mit.
Die zuständige Staatsanwaltschaft im Bundesstaat Maryland erklärte, der aus Kalifornien stammende 26-Jährige habe unter anderem eine Pistole mit zwei Magazinen, zusätzliche Munition, Pfefferspray, einen Hammer und Kabelbinder mit sich geführt. Ihm wird die versuchte Tötung des Richters zur Last gelegt, worauf bis zu 20 Jahre Haft stehen könnten.
Nach der Festnahme sagte der Verdächtige, dass er sich über die Rolle des Obersten Gerichtshofs in der Debatte über das Recht auf Abtreibung und über das Waffenrecht nach dem Massaker an einer Schule in Uvalde im Bundesstaat Texas aufrege. Laut der Bundespolizei FBI habe er deshalb «einen bestimmten Supreme-Court-Richter töten wollen».
Abtreibung und Waffen – die beiden Themen stehen seit Jahrzehnten im Zentrum des «Kulturkampfs» in den USA. In den letzten Wochen ist die Debatte eskaliert. Allerdings gibt es einen erheblichen Unterschied: Beim Waffenrecht dürften die Republikaner im Kongress auch nach Uvalde alle wirksamen Massnahmen konsequent abblocken.
Beim Schwangerschaftsabbruch aber zeichnet sich ein Kulturwandel ab. Im Mai war via «Politico» ein Urteilsentwurf durchgesickert, der darauf hindeutet, dass eine fünfköpfige konservative Mehrheit im Supreme Court – darunter der 2018 von Donald Trump ernannte Kavanaugh – das Grundsatzurteil im Fall Roe v. Wade von 1973 kippen will.
Auf diesem Gerichtsentscheid basiert das nationale Recht auf Abtreibung, weil es der Kongress in Washington nicht geschafft hat, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Eine Annullierung von Roe v. Wade hätte demnach weitreichende Folgen. Das definitive Urteil des Obersten Gerichtshofs wird noch vor Ende Juni erwartet.
Obwohl sich Gerichtspräsident John Roberts angeblich um einen Kompromiss bemüht, gehen Beobachter in den USA davon aus, dass die Meinungen gemacht sind und die rechte Mehrheit an der Stossrichtung des von Samuel Alito verfassten Entwurfs festhalten will. Nach fast 50 Jahren wäre das nationale Recht auf Abtreibung Geschichte.
In den 50 US-Bundesstaaten bereitet man sich schon heute vor für die Zeit danach, denn eine Aufhebung von Roe v. Wade würde bedeuten, dass der Schwangerschaftsabbruch künftig in ihre Kompetenz fallen würde. Etwa die Hälfte der Staaten plant gemäss der «New York Times» eine mehr oder weniger starke Einschränkung des Abtreibungsrechts.
13 Bundesstaaten mit republikanischer Mehrheit im Parlament haben so genannte «Trigger-Gesetze» verabschiedet. Diese sollen praktisch unmittelbar nach dem erwarteten Entscheid des Supreme Court in Kraft treten. Unter ihnen befindet sich Oklahoma, wo kürzlich das wohl schärfste Abtreibungsgesetz des Landes verabschiedet wurde.
Auf der anderen Seite «rüsten» die demokratisch regierten Bundesstaaten auf. Sie wollen das Abtreibungsrecht schützen und ausbauen, etwa für Frauen aus Staaten mit restriktiver Regelung. Im Parlament von Kalifornien wurde am Mittwoch ein Vorstoss eingereicht, der das Recht auf Abtreibung und Empfängnisverhütung in der Verfassung verankern will.
Denn radikale Abtreibungsgegner sehen in einer Aufhebung von Roe v. Wade nur einen Zwischenschritt. Sie fordern ein nationales Abtreibungsverbot. Befürchtet wird, dass weitere Errungenschaften der letzten Jahrzehnte unter die Räder kommen könnten, etwa die «Ehe für alle», die erst seit wenigen Jahren legal ist, oder die Empfängnisverhütung.
Umstritten ist etwa die «Pille danach». Hier stellt sich die Frage, ob es sich um Verhütung oder schon um einen Abort handelt. Bei Gesetzen wie in Oklahoma, das so gut wie alle Abtreibungen ab dem Zeitpunkt der Befruchtung verbieten will, könnte die Spirale betroffen sein, weil sie eine befruchtete Eizelle daran hindern kann, sich in der Gebärmutter einzunisten.
Solche Erwägungen geben einen Vorgeschmack auf die Debatten nach der absehbaren Aufhebung von Roe v. Wade. Umfragen zeigen regelmässig, dass eine deutliche Mehrheit der US-Bevölkerung das Recht auf Abtreibung grundsätzlich befürwortet. Das Ministerium für Innere Sicherheit warnte in einem Memo vor ähnlichen Vorfällen wie jenen vom Mittwoch.
Zudem war die Polizei etwa 300x schneller da als in Uvalde TX wo 35 - vorallem Kinder - angeschossen wurden und 21 starben.
Ich denke das Ziel muss sein, weniger ungewollte Schwangerschaften zu haben. Dann wäre das gar kein Thema.
Somit muss die Aufklärung verbessert werden und die Verfügbarkeit von Verhütungsmittel.
Man sieht im übrigen, dass es in Ländern, wo die Bildung höher ist, deutlich weniger Abtreibungen geschehen. Hingegen bin ich überzeugt, dass es in Ländern mit einem Abtreibungsverbot nicht weniger Abtreibungen gibt. Die werden dort einfach nicht registriert.