«Cartelo de los Soles»: Das angebliche Drogenkartell von Nicolas Maduro
Zwölf Kriegsschiffe mit 15’000 US-Soldaten liegen vor Venezuela, bereit für den grossen Einsatz. Ein paar kleine haben sie bereits hinter sich: Mindestens 20 Mal bombardierten die USA seit dem 2. September Schiffe in der Karibik. Dabei starben mehr als 74 Menschen. Die Operation nennt sich «Southern Spear» – und sie verstösst gegen internationales und humanitäres Recht. Der Begriff dafür lautet: extrajustizielle Tötungen – die Liquidierung von Personen, ohne dass diese einen ordentlichen Gerichtsprozess durchliefen.
Der grosse internationale Aufschrei bleibt indes aus. Frankreich, in der Person des Aussenministers Barrot, wagte, die Angriffe auf die Schiffe rechtswidrig zu nennen. US-Aussenminister Rubio feuerte zurück, Europa könne nicht definieren, was internationales Recht sei: «Vor allem kann Europa nicht definieren, wie die USA ihre nationale Sicherheit verteidigen.» Noch etwas haltloser reagierte JD Vance auf Trump-Kritiker Brian Krassenstein. Krassenstein warf den USA Kriegsverbrechen vor. Der Vizepräsident fühlte sich danach genötigt, zur Fäkalsprache zu greifen: «Mir ist es scheissegal, wie sie es nennen. Kartellmitglieder zu töten, die unsere Bürger vergiften, ist der bestmögliche Einsatz unseres Militärs.»
Die USA unterliessen es bisher, Beweise vorzulegen, dass die getöteten Menschen tatsächlich in Verbindung mit Drogenkartellen standen. Auch eine Begründung, weshalb die Boote nicht regulär gestoppt und durchsucht wurden, existiert nicht. Dafür wird das Drogen-Narrativ weiter beackert: Neu stufen die USA das «Cartel de los Soles» als Terrororganisation ein. Ob es ein solches Kartell überhaupt gibt, wird stark bestritten. Die USA sind sich indes sicher, dass der venezolanische Präsident Nicolas Maduro an seiner Spitze steht.
Der Begriff «Kartell der Sonnen» entstand in den 90er-Jahren. Damals versuchten die USA mit Hilfe von Agenten des Auslandsgeheimdiensts CIA, Drogenkartelle in Südamerika zu infiltrieren – zum Teil mit äusserst fragwürdigen Aktionen. Die «Operation North» gehörte in diese Kategorie.
Mit der «Operation North» wollten CIA-Agenten das Vertrauen von kolumbianischen Schmugglern gewinnen. Mit Hilfe der venezolanischen Nationalgarde schleusten sie deshalb tonnenweise Kokain durchs Land. Die Nationalgarde ist für die Sicherheit der Strassen in Venezuela verantwortlich.
Wie bei anderen Operationen dieser Zeit ist heute unklar, wie «sauber» «Operation North» verlief. Sowohl der leitende CIA-Agent McFarlin als auch der damalige venezolanische Verantwortliche der Nationalgarde, General Ramón Guillén Dávila, stehen unter Verdacht, in die eigenen Taschen gearbeitet zu haben. Ende der 90er-Jahre flog die «Operation North» auf. Drogenfahnder eines Flughafens in Miami beschlagnahmten eine Tonne Kokain und stellten nach Recherchen mit Schrecken fest, dass die Absender die Nationalgarde Venezuelas und die CIA waren.
McFarlin trat daraufhin von all seinen Ämtern zurück. Guillen Davila und auch sein Nachfolger Orlando Hernandez Villegas konnten ihre Namen nie komplett reinwaschen. Weil venezolanische Generäle gelbe Sonnen auf der Uniform tragen, war der Name «Cartel de los Soles» geboren.
Seither hält sich die Bezeichnung hartnäckig. Auch, weil immer mal wieder venezolanische Militärs in die Nähe von Drogenkartellen gerückt werden. Als Radio-Journalist Mauro Marcano die Verbindung zu oft offen ausspricht, wird er 2004 erschossen. Erneut Öl ins Feuer giesst zehn Jahre später Leamsy Salazar. Salazar floh in die USA und lebt dort in einem Zeugenschutzprogramm. Er war Sicherheitschef des Chavez-Nachfolgers und heutigen Innenministers Diosdado Cabello. Letzteren beschuldigte er, in den internationalen Drogenhandel involviert zu sein.
Auf Diosdado Cabello haben die USA ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar ausgeschrieben. Nicolas Maduro bringt sogar 50 Millionen. Das ist doppelt so viel, wie Osama bin Laden eingebracht hätte. Der Dritte im Bunde mit einem Millionenkopfgeld ist Vladimir Padrino Lopez. Der Verteidigungsminister Venezuelas ist hinter Maduro der zweitmächtigste Mann. In Sachen Kopfgeld (15 Millionen) hinkt er Cabello allerdings hinterher. Sind sie tatsächlich die Bosse eines Drogenkartells? Kann man im Zusammenhang mit «Cartelo de los Soles» überhaupt von einem organisierten Verbund sprechen?
Einer, der nicht daran glaubt, ist Pino Arlacchi. Der ehemalige Leiter des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) kennt Südamerika und die Drogenbekämpfung aus dem Effeff. Immer wieder war er in Kolumbien, Bolivien, Peru und Brasilien unterwegs. In Venezuela sei er nie gewesen. Es habe schlichtweg keinen Grund dafür gegeben.
Die Drogenbekämpfung von Venezuela nennt er die beste auf dem südamerikanischen Kontinent. Vergleichbar sei einzig Kuba. Das «Cartelo de los Soles», so wie es Donald Trump und die USA zeichnen, existiere nicht. Es handle sich dabei viel mehr um ein «Sammelsurium kleiner lokaler Netzwerke, die Art von Kleinkriminalität, die es in jedem Land der Welt gibt». Die US-Version sei vielmehr eine geopolitische Inszenierung und so legendär wie das Monster von Loch Ness.
Im Gegensatz zu den USA belegt Arlacchi seine Aussagen: Laut des jährlichen Berichts des UNODC verläuft gerade mal 5 Prozent des gesamten kolumbianischen Drogenschmuggels über das Nachbarland Venezuela. Siebenmal weniger als durch Guatemala. Guatemala grenzt nicht einmal an Kolumbien.
