Zoll-Deal hin oder her: Diese Probleme hat die Schweiz noch mit Trump
Es war zu befürchten, jetzt ist es passiert: Das Schweizer Bruttoinlandprodukt (BIP) ist zwischen Juli und September um 0,5 Prozent gesunken. Das geht aus einer ersten Schnellschätzung des Bundes hervor. Hat Donald Trumps Zollhammer also die hiesige Wirtschaft im dritten Quartal in die Knie gezwungen? Nicht wirklich. Aber er hat Chaos gebracht in die Schweizer BIP-Statistik.
Im dritten Quartal gab es laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) bei der Pharmaindustrie einen «starken Rückgang». Diesen wiederum erklärt das Amt mit einer «Gegenbewegung». Im Frühjahr – und damit noch bevor Donald Trump am angeblichen «Liberation Day» die Länder mit neuen, massiven Strafzöllen zudeckte – hatten viele US-Importeure ihre Lager vorsorglich mit Medikamenten aufgefüllt. Die Schweiz verzeichnete deshalb einen starken Anstieg bei den chemisch-pharmazeutischen Exporten. Entsprechend weniger konnte sie im dritten Quartal in die USA verkaufen.
Auf ein gutes erstes Halbjahr folgt also ein schlechtes zweites Halbjahr. Unter dem Strich ist gemäss Seco aber nach dem Auf und Ab für das Gesamtjahr 2025 noch immer ein Wachstum der Wirtschaft zu erwarten.
Dabei hilft auch der Zoll-Deal. Das jedenfalls glaubt das Konjunkturforschungsinstitut KOF der ETH Zürich und rechnet vor, dass sich das BIP-Niveau dank eines von 39 auf 15 Prozent gesunkenen US-Zollsatzes um 0,3 bis 0,5 Prozent erhöht. Somit erwartet das KOF für 2026 nicht mehr ein Wirtschaftswachstum von 0,9 Prozent, sondern von klar über 1 Prozent.
Es gibt weitere Risiken für die Schweiz
15 Prozent sind also besser als 39 Prozent. Aber alles ist schlechter als es war, bevor Trump die Welt ins Zollchaos stürzte. Die 15 Prozent verringerten das BIP gegenüber einer Situation ohne Zölle jährlich um fast 0,2 Prozent, hält KOF-Co-Leiter Hans Gersbach fest. Dadurch verliere jeder Einwohner und jede Einwohnerin der Schweiz durchschnittlich rund 150 Franken jährlich an Einkommen.
Zudem warnt Gersbach vor weiteren Risiken für die hiesige Wirtschaft, die von den USA ausgingen – namentlich vom für die Schweiz so wichtigen Pharmasektor, der bis anhin von den Zöllen befreit ist. Trump beharrt aber weiterhin auf Preissenkungen bei den Medikamenten. Er hat deshalb im April eine Untersuchung eingeleitet, die klären soll, ob durch die in den USA tatsächlich sehr hohen Medikamentenpreise die nationale Sicherheit gefährdet sei. Sollte dem so sein, könnte der Präsident neue Zölle erheben.
Die Branche ist für das Schweizer Wirtschaftswachstum seit vielen Jahren «der wichtigste Treiber», wie das KOF festhält. Nun drohten Zölle, massive Verlagerungen der Wertschöpfung ins Ausland sowie eine Reduktion der Investitionen in der Schweiz. Die KOF spricht deshalb von einem «erheblichen Zusatzrisiko». Immerhin: Mit dem neusten Zolldeal könnten die Schweizer Pharmaexporte wie jene der EU mit «nur» 15 Prozent Zoll bestraft werden.
Der starke Franken drückt
Heute sind von den US-Zöllen vor allem Schweizer Uhren, Präzisionsinstrumente, Maschinen und Nahrungsmittel betroffen. Aufgrund des massiven Strafzolls von zuerst 31 und dann 39 Prozent seien die Ausfuhren der Industrie in den US-Markt «innert Wochen um 14,2 Prozent» eingebrochen, heisst es etwa beim Industrieverband Swissmem.
Mit den nun ausgehandelten 15 Prozent fällt wenigstens die massive Benachteiligung von Schweizer Produzenten gegenüber solchen aus der EU oder Japan weg. Doch die Last bleibt hoch. Swissmem-Präsident Martin Hirzel spricht denn auch nur von einem «kurzen Aufatmen», aber er will keine Entwarnung geben, die Unsicherheit im Markt sei riesig: «Neue Zölle könnten kommen. Der starke Franken bleibt.»
In der Tat hat der Dollar seit Trumps angeblichen «Liberation Day» stark an Wert verloren gegenüber dem Franken. Als der Zoll-Deal bekannt wurde, fiel er noch tiefer, unter 79 Rappen. Derzeit kostet er wieder mehr, aber im Vergleich zum Jahresanfang ist er noch immer um über 12 Prozent schwächer. Swissmem spricht deshalb von «einem schädlichen Preisaufschlag auf Schweizer Produkte».
Eine gewisse Unsicherheit gibt es auch beim Euro. Lange blieb er zum Franken recht stabil. Seit Jahresanfang schwächte er sich nur um ungefähr 1 Prozent ab. Doch als der Zoll-Deal mit Trump letzten Freitag bekannt wurde, fiel der Euro vorübergehend auf 91,8 Rappen – und damit auf eine historische Tiefstmarke, die nur noch von Verwerfungen nach Aufhebung des Euro-Mindestkurses im Jahr 2015 unterboten wurde.
Die Chance Deutschland
Trumps Zollchaos hat Schaden angerichtet, insbesondere bei den hiesigen Industrieunternehmen. Doch der US-Präsident mit seiner erratischen Zollpolitik ist nicht ihr grösstes Problem. Viel gravierender sei die jahrelange Stagnation in Deutschland, wie UBS-Chefökonom Daniel Kalt mit Verweis auf Gespräche mit der Wirtschaft festhält. «Unsere Industrie hat stark unter dem Stillstand bei unserem traditionell wichtigsten Handelspartner gelitten.»
Als hilfreich für eine Erholung dürfte sich das deutsche Wachstumspaket erweisen, das die Regierung von Kanzler Friedrich Merz im laufenden Jahr auf den Weg gebracht hat. Deutschland will über die nächsten Jahre Ausgaben in Infrastruktur, Verteidigung und Klimaschutz im Umfang von jährlich 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes tätigen und diese durch die Aufnahme zusätzlicher Schulden finanzieren. Ökonomen gehen von einem Wachstumsschub für die deutsche Wirtschaft von weit über 1 Prozent bereits im kommenden Jahr aus. Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank, prognostizierte im September im Gespräch mit CH Media ein Plus von gar 1,4 Prozent, was angesichts der jahrelangen Stagnation der deutschen Wirtschaft eine massive Beschleunigung darstellt.
Deutschland ist der wichtigste ausländische Absatzmarkt für die Schweizer Industrie. Deren Beitrag zum Bruttoinlandprodukt ist zwar geringer als jener der Pharmaindustrie, aber die traditionelle Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie hat rund dreimal mehr Beschäftigte als die hochautomatisierten Medikamentenhersteller. Angesichts von Trumps Zollhammer kommt das Wachstumspaket von Merz für die Schweiz gerade zu rechten Zeit. Oder in den Worten des Commerzbank-Ökonomen Krämer: «Umso besser für Euch, dass auch ein Strohfeuer wärmt». (aargauerzeitung.ch)
