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Christine Dawood verlor Mann und Sohn auf der Titan – das Interview

«Ich will diesen Satz nie wieder hören»: Witwe und Mutter von Titan-Opfern erzählt

Die Witwe von Shahzada Dawood und Mutter des 19-jährigen Suleman sprach zum ersten Mal seit dem Drama um das Tauchboot Titan mit der BBC und gibt Einblick, wie sie die Situation vor Ort erlebte.
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28.06.2023, 11:5928.06.2023, 12:08
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Christine Dawood trägt Schwarz. Die Stille wiegt schwer, aber trotzdem spricht sie mit der BBC-Journalistin Nomia Iqbal über sehr emotionale Themen. Iqbal beginnt mit der schwierigsten aller Fragen: «Christine, darf ich Sie fragen, wie Sie sich fühlen?» Sie antwortet:

«Ich habe eine Hassliebe zum Thema entwickelt. Aber ich muss mich damit auseinandersetzen. Aber nein, es geht mir nicht sehr gut.»

Christine Dawood blick mal auf den Boden, mal ins Leere. Sie sucht nach Worten, seufzt, stottert ein wenig, aber immer gibt sie der Journalistin Antwort. Sie erzählt, wie der Moment ablief, als die Kommunikation mit der Titan unterbrochen wurde:

«Ich weiss nicht mehr, was ich tat, aber ich war im Schiffsbauch, als jemand kam und sagte: ‹Wir haben die Verbindung verloren.› Ich will diesen Satz nie wieder hören.»
Christine Dawood
FILE - This photo provided by OceanGate Expeditions shows a submersible vessel named Titan used to visit the wreckage site of the Titanic. The wrecks of the Titanic and the Titan sit on the ocean floo ...
Das Tauchboot Titan.Bild: keystone

Danach fügt sie an:

«Erst wusste ich nicht, was damit gemeint war. Als ich es verstand, wurde es immer schlimmer. Wir haben gewartet und gewartet, immer in der Hoffnung, dass sie an die Oberfläche zurückkehren.»
Christine Dawood

Sie erzählt weiter, dass die Mitglieder des Expeditionsteams beteuert hätten, dass sie wieder aufsteigen würden. Dass es «nichts Ungewöhnliches» sei, die Kommunikation mit einem Gefährt zu verlieren.

Christine Dawood spricht von der Hoffnung, weil alle geglaubt hatten, dass die Titan wieder an die Wasseroberfläche kommen würden. Sie erklärt auch, dass es bei solchen Expeditionen eine Frist gibt, innerhalb derer ein verlorenes Tauchboot auftauchen soll: 96 Stunden, also vier Tage. Dann kommt die Katastrophe. Sie würden nicht mehr zurückkehren.

«Erst als die 96 Stunden verstrichen, verlor ich die Hoffnung.»
Christine Dawood

Wenn Christine über ihren Sohn und ihren Mann spricht, verwendet sie die Gegenwartsform, als ob ihr Tod nur eine Einbildung wäre. Mit zitternder Stimme erwähnt Christine ihre Tochter, die 17-jährige Alina: «Eine unglaubliche junge Frau.» Sie war ebenfalls auf dem Schiff. «Sie hat die Hoffnung sogar erst verloren, als sie die Trümmer gefunden haben», erzählt die Mutter. Über ihren verstorbenen Mann meint sie:

«Shahzada ist ein Geschichtsfanatiker. Er schaut sich nur Dokumentarfilme an.»
Christine Dawood

Sie erzählt von ihrem Sohn, der mit seinem Vater verschwunden ist. Er war begeistert von der Idee, den Rekord des Zauberwürfels zu brechen, «den er überall hin mitnahm», erzählt die Mutter und lächelt traurig.

«Suleman wollte den Rubik's Cube in 3821 Metern Tiefe lösen.»
Christine Dawood

Tatsächlich hätte Suleman gar nicht auf der Titan sein sollen, erfährt man während des Interviews. Christine wollte ihren Mann eigentlich begleiten. Als der Tauchgang wegen der Corona-Pandemie verschoben wurde, bat der Sohn darum, ihren Platz einnehmen zu dürfen. Die Journalistin fragt: «Wie gehen sie damit um?» Die Witwe antwortet:

«Ich würde darüber lieber nicht sprechen.»
Christine Dawood

Sie widerspricht der Aussage ihrer Schwägerin und meinte, der Sohn wollte «unbedingt» mit seinem Vater bei der Titanic tauchen.

Zuletzt sprach die Mutter über die Abdankung, die in einem privaten Rahmen stattfand. «Ein wunderbarer Moment», sagte sie. Was ist der nächste Schritt? Sie weiss es nicht. Nach langem Schweigen antwortet Christine schliesslich, dass sie und ihre Tochter Alina die Arbeit ihres Mannes fortsetzen werden. Damit wollen sie ihn in Erinnerung behalten. Sie haben sich auch der Herausforderung gestellt, für Suleman zu lernen, wie man den Zauberwürfel löst. Sein Rekord lag bei 12 Sekunden.

(sia)

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25 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Eifach_öpis
28.06.2023 13:28registriert Februar 2016
Das Interview berührt mich mehr als ich erwartet habe.

Ich wünsche den Hinterbliebenen viel Kraft in diesen schwierigen Zeiten.

Trotzdem muss ich anfügen, dass man bei einem solchen Unterfangen dass Risiko kennt und bewusst in kauf nimmt.
An die Angehörigen wird leider viel zu wenig gedacht.
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Evangelina
28.06.2023 13:18registriert November 2015
Unendlich traurig für die beiden.. 😔
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magicfriend
28.06.2023 15:06registriert Oktober 2014
Stelle mir das unglaublich belastend vor. Man hofft und bangt gegen vier ganze Tage, um dann die bittere Realität zu kennen: zwei deiner Liebsten kommen nie wieder zurück. Und das im wahrsten Sinne.
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