Erst vor sechs Monaten stieg er quasi aus dem Nichts zum Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses auf. Seither blieb das milliardenschwere US-Hilfspaket für die Ukraine nicht zuletzt wegen des republikanischen Repräsentantenhaus-Chefs Mike Johnson blockiert: Dieser verhinderte jegliche Abstimmung über das Paket und schickte die Abgeordneten stattdessen lieber in den Urlaub. Vor wenigen Tagen dann setzte Johnson die Abstimmung in einer plötzlichen Kehrtwende schliesslich doch auf die Tagesordnung, am Samstag verabschiedete das Repräsentantenhaus die dringend benötigte Militärhilfe im Umfang von rund 61 Milliarden Dollar endlich.
Darüber, was den erzkonservativen Politiker aus dem Süden der USA zum Umdenken bewogen hat, können auch politische Beobachter nur Vermutungen anstellen. «Ich glaube, Johnson wurde nach und nach davon überzeugt, dass Amerika die Ukraine in unserem eigenen Interesse unterstützen muss und dass die Forderungen der Rechts-Aussen-Republikaner einfach falsch waren», sagte der Politologe Larry Sabato. «Er wollte nicht, dass der Fall der Ukraine auf sein Konto geht.»
Johnson selbst wurde wenige Tage vor der Abstimmung emotional. «Um es ganz klar zu sagen, ich möchte lieber Kugeln in die Ukraine schicken als amerikanische Jungs», sagte er. Mit emotionsgetränkter Stimme fügte der 52-Jährige hinzu, sein Sohn stehe kurz vor dem Dienstbeginn bei der Marine. «Das ist für mich, wie für so viele amerikanische Familien, eine Übung unter Gefechtsbedingungen.»
Noch im Dezember hatte sich Johnson wenig beeindruckt gezeigt, als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eigens nach Washington reiste, um persönlich um weitere Hilfen für die Verteidigung seines Landes gegen den russischen Angriffskrieg zu bitten. US-Präsident Joe Biden wolle Kiew zusätzliche Milliardensummen geben, «ohne angemessene Aufsicht, ohne klare Siegesstrategie und ohne irgendeine der Antworten zu geben, die das amerikanische Volk verdient», sagte der Chef des Repräsentantenhauses damals nach einem Treffen mit Selenskyj.
Der 1972 in Shreveport im Bundesstaat Louisiana geborene Anwalt ist streng christlich, Abtreibungsgegner und trat immer wieder gegen die Ehe für alle ein. Er machte sich einen Ruf als Verteidiger eines harten Kurses in der Einwanderungspolitik, ist ein Verfechter der freien Marktwirtschaft und fiskalpolitisch ein Hardliner. Bei seiner Antrittsrede als «Speaker» des Repräsentantenhauses im Oktober bezeichnete Johnson den Schuldenberg des Landes als «die grösste Bedrohung für unsere nationale Sicherheit».
Dabei konnte er sich stets auf die Rückendeckung des mächtigsten Mannes der Republikaner verlassen: Johnson mache einen «sehr guten Job», sagte Ex-Präsident Donald Trump Mitte April nach einem Treffen der beiden Politiker. Der wahrscheinliche republikanische Präsidentschaftskandidat hatte die Blockade der Ukraine-Hilfen im Kongress lange gesteuert. Zuletzt forderte Trump, die Milliardenunterstützung für die Ukraine in Form von Krediten zu gewähren, was jetzt teilweise eingelöst wurde.
Johnson hatte Trump eigens in dessen Residenz in Florida besucht, um sich in Sachen Ukraine-Hilfe abzusprechen. Der 52-Jährige ist seit Jahren ein treuer Unterstützer des Rechtspopulisten. Nachdem dieser 2020 die Präsidentschaftswahl gegen Joe Biden verloren hatte, gehörte Johnson zu denjenigen Republikanern, die die formelle Bestätigung von Bidens Wahlsieg durch den Kongress verhindern wollten. Selbst nach dem Angriff radikaler Trump-Anhänger auf den Kongress am 6. Januar 2021 stimmte er gegen eine Anerkennung des Wahlausgangs.
Johnson droht wegen der von radikalen Republikanern vehement abgelehnten Ukraine-Hilfen nun eine Rebellion des Rechtsaussenflügels seiner Fraktion: Eine Handvoll Abgeordneter hat bereits angekündigt, alles zu tun, um den «Speaker» zu stürzen. Johnson selbst sagte, er sehe sich als «Speaker in Kriegszeiten»: «Die Geschichte wird uns an unseren Taten messen.»
Eins ist sicher, ein Dritter Weltkrieg wird Europa mit den jetzigen Voraussetzungen nicht überleben!