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Wirtschaft

Donald Trump Zölle: Historiker Werner Plumpe im Interview.

Historiker über Trumps Handelskrieg: «Europa muss kaltblütig bleiben»

Der amerikanische Präsident will Europa und China durch Zölle niederringen. So irrational, wie manche glaubten, sei sein Vorgehen nicht, sagt der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe. Für die Schweiz hat er einen Ratschlag.
20.09.2025, 15:1920.09.2025, 15:19
Hansjörg Friedrich Müller, Berlin / ch media

Sie haben sich mit der Geschichte von Handelskriegen beschäftigt. Welcher vergangenen Epoche ähnelt unsere Zeit am ehesten? Ich dachte an die Lage nach dem Ersten Weltkrieg, als Grossbritannien nicht mehr stark genug war, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, die USA aber noch nicht bereit, an Englands Stelle zu treten.
Werner Plumpe: Grossbritannien hatte damals noch eine dominante Stellung inne, man sprach von der «Pax Britannica», die seit dem Ende der napoleonischen Kriege bestand. Doch bereits seit dem späten 19. Jahrhundert hatten die Engländer den Aufstieg der USA und Deutschlands hinnehmen müssen. Aber anders als die USA heute akzeptierten sie einen relativen Gewichtsverlust, zumal Grossbritannien ja weiterhin prosperierte.

Donald Trump scheint weniger gelassen zu sein als die Briten damals. Weil die USA einem Gegner wie China gegenüberstehen und sich gegen den Abstieg stemmen?
Vergleichbare Sorgen mussten sich die Briten damals tatsächlich nicht machen. Sie profitierten sogar vom Aufstieg der Deutschen und Amerikaner. Eines ist aber ähnlich: Wie damals die Briten, kommen die Amerikaner heute aus einer sehr starken Position, verlieren aber an Boden. Schon Barack Obama und Joe Biden wollten Chinas Aufstieg bremsen, namentlich durch die Blockade von Technologietransfers. Trump nutzt zusätzlich die Zollpolitik. Die USA nehmen dabei, anders als England vor 1914, einen Zerfall der Weltwirtschaft in Kauf. Dadurch entsteht eine neue, ordnungslose Zeit, sodass mir eine weitere Parallele in den Sinn kommt, nämlich die Zeit bis zu den napoleonischen Kriegen.

Damals rangen Grossbritannien und Frankreich um die Vorherrschaft in Europa …
… und so gab es keinen dominanten Akteur, der die Ordnung bestimmen konnte. Schliesslich konnte sich Grossbritannien durchsetzen, aber erst in einem verheerenden Krieg, so wie die USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Bis sich einer durchsetzt, ist das Konfliktpotential extrem hoch. Ordnungslose Zeiten sind keineswegs vorteilhaft; aber Ordnungen, die nur nach einem grossen Krieg funktionieren, sind zumindest gegenwärtig keine Alternative.

Dass einer die Regeln diktieren kann, halten Sie durchaus für wünschenswert, solange alle von dieser Ordnung profitieren. Die amerikanisch-chinesische Rivalität dürfte die Welt aber noch längere Zeit prägen. Dass wir bald wieder in friedlicheren Zeiten leben, ist also unwahrscheinlich?
Meine Hoffnung auf ruhigere Zeiten ist in der Tat nicht sehr gross. Man muss schauen, wie man in der multipolaren Gegenwart zurechtkommt, ohne dass es zu grossen Eskalationen kommt. Trumps Dealpolitik hat da unter Umständen Vorteile. Sie zwingt zum harten Verhandeln, vermeidet aber den offenen Krieg. Um daran erfolgreich teilnehmen zu können, muss sich Europa freilich erst über seine eigenen gemeinsamen Interessen im Klaren sein. Davon ist der Kontinent weit entfernt.

Ökonom mit historischer Perspektive
Werner Plumpe, 70, lehrte bis 2022 als Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Frankfurt am Main. In seinem jüngsten Buch beschäftigt er sich mit Wirtschafts- und Handelskriegen seit den Anfängen der Globalisierung im frühen 17. Jahrhundert bis zu Donald Trumps Deal-Politik. («Gefährliche Rivalitäten». Rowohlt, Berlin 2025. 320 Seiten, Fr. 38.90). (hfm)
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Wikimedia commons

Sie halten Handelskriege nicht in jedem Fall für unvernünftig. Grosse Länder mit einem grossen Binnenmarkt, so schreiben Sie, könnten sich solche Auseinandersetzungen leisten, um ihre Interessen durchzusetzen. Handelt Trump also nicht so irrational, wie viele in Europa glauben?
Ich unterstelle einmal, dass Trump nicht irrational handelt, zumal es ja in den USA nicht allein auf Trump ankommt. Die Erfahrung aus dem 19. Jahrhundert, als die ökonomische Dynamik der USA so gross war, dass die anderen Staaten deren hohe Zollsätze hinnehmen mussten, dürfte eine wichtige Rolle spielen. Damals waren die europäischen Staaten kaum zu Gegenmassnahmen in der Lage, wollten sie das attraktive US-Geschäft nicht verlieren. Dass Trumps Hoffnung, noch einmal die alte Stärke wiederzuerlangen, aufgeht, wage ich aber zu bezweifeln. Aber für die europäischen Wirtschaften ist so oder so ein Abkoppeln von der amerikanischen Wirtschaft unvorstellbar. Man wird sich verständigen müssen, und das setzt voraus, dass man weiss, was man gemeinsam will.

Die grossen Verlierer der nächsten Jahre dürften mittelgrosse und kleine Länder sein, die viel exportieren, also Länder wie Deutschland und die Schweiz.
Ja, denn sie sind in hohem Masse von der Weltwirtschaft abhängig, haben aber keine Kraft, diese von sich aus zu ordnen. Sie sind Ordnungsopportunisten, keine Ordnungsstifter.

Teil eines grösseren Blocks zu sein, wäre bei Handelsgesprächen oder beim Führen von Handelskriegen sicher von Vorteil. In der Schweiz fordern manche nun wieder den EU-Beitritt. Haben diese Leute recht?
Auf den ersten Blick vielleicht. Aber als Schweizer würde ich nüchtern abwägen, was eine Mitgliedschaft kostet und was sie bringt. Vergleiche ich die Performance der EU mit jener der Schweiz, würde ich sagen, dass es sinnvoll war, nicht beizutreten. Betrachtet man die Haushaltsdaten, hat die Schweiz von ihrer autonomen Position profitiert. Dasselbe gilt für Handel und Infrastruktur. Deutschland hat seine bisherige Haushaltspolitik aufgegeben und setzt jetzt analog zur EU auf mehr staatliche Intervention; geholfen hat es dem Land nicht.

Zurück zu Trump: Er beruft sich auf den Protektionismus seines Amtsvorgängers William McKinley im ausgehenden 19. Jahrhundert. Damals sorgten Zölle dafür, dass sich vor allem der Norden der USA industrialisierte. Ist Trumps Hoffnung auf eine Re-Industrialisierung so vermessen?
Damals musste in den USA investieren, wer auf dem dortigen Markt präsent sein wollte. Das ist heute ähnlich. Im 19. Jahrhundert trugen ausländische Unternehmen, etwa die deutsche Chemieindustrie, zur Modernisierung Amerikas bei. Aber Trump vergisst eines: Die USA sind heute anders als vor 1914 Importweltmeister. Sie sind abhängig davon, dass die Welt ihnen günstige Güter liefert, die sie im Alltag benötigen.

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Europa muss widerstandsfähig bleiben: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trifft am 27. Juli 2025 auf US-Präsident Donald Trump.Bild: keystone

Unter McKinley erhoben die Amerikaner das, was der deutsche Ökonom Friedrich List «Erziehungszölle» nannte. Warum sollte das heute nicht funktionieren?
Im 19. Jahrhundert spielten «Erziehungszölle» eine grosse Rolle für die Entwicklung der industriellen Basis des Landes. Aber heute sind die Bedingungen viel ungünstiger. Die USA haben ein schlechtes Bildungssystem und eine ungünstige Demografie. Es bräuchte wohl auch eine andere Arbeitsmoral, um Importe ersetzen zu können. Die amerikanische Wirtschaft hat grossartige Seiten, aber ob sie mit der hocheffizienten chinesischen Industrie immer konkurrieren kann, ist fraglich. Die Masse der amerikanischen Importe besteht aus einfachen Gütern, die in China hocheffizient hergestellt werden. Hier rasch eine Industrie aufzubauen, die so günstig liefert wie die Chinesen, ist kaum möglich. Auf jeden Fall wird es teuer.

Da sich auf absehbare Zeit keine dominante Macht herausschälen dürfte, ist das Beste, worauf wir in der Welthandelspolitik hoffen dürfen, wohl das, was Sie als «Fliessgleichgewicht konkurrierender Interessen» bezeichnen, also eine Situation, in dem man sich miteinander arrangiert. Gibt es auch dafür historische Beispiele?
Die beste Konstellation in dieser Hinsicht hatten wir zwischen den 1950er- und 70er-Jahren, als Europa und Japan unter dem Schutz einer amerikanischen Ordnung schneller wuchsen als die USA selbst. Aber die Amerikaner nahmen das hin, weil alle davon profitierten. Um 1970 gab es zwar eine grosse Debatte darüber, warum Detroit in eine Krise geraten war, und man fand, man könne nicht immer mehr japanische Autos kaufen. Die Japaner reagierten darauf, indem sie sich selbst beschränkten. Man einigte sich zum gegenseitigen Vorteil.

Damals gehörten die führenden Wirtschaftsmächte demselben politischen Lager an, heute haben wir eine Systemkonkurrenz zwischen den USA und China.
Das ist der grosse Unterschied. Auch deshalb hängen Wirtschaft und Politik heute enger zusammen. Technologie, Militär und Ökonomie haben sehr viel miteinander zu tun. Das macht die heutige Lage so gefährlich. Prognosen sind schwer möglich, aber als Historiker kann ich nur darauf hinweisen, was alles schiefgehen kann, wenn man unüberlegt handelt.

epa11887170 US President Donald Trump signs an executive order in the Oval Office of the White House in Washington, DC, USA, on 10 February 2025. Trump ordered a 25% tariff on steel and aluminum impor ...
Donald Trump regiert wahnsinnig gerne per Dekret.Bild: EPA BLOOMBERG POOL

Warum geht Trump in einer solchen Situation auf die Europäer los? Will er sie in eine Freihandelszone zwingen, um dann gemeinsam gegen China zu marschieren?
Ich habe von dieser Theorie gehört, aber ich glaube nicht, dass eine solche Strategie zum Erfolg führen würde. Der Anteil des globalen Südens am Welthandel nimmt ständig zu. Indien macht grosse Fortschritte, aber auch Indonesien sollte man nicht unterschätzen. Selbst in Afrika kommt es zu Entwicklungsschüben. Die Welt in polarisierte Regionen aufzuteilen, die dann gegeneinander antreten, ist ökonomisch nicht sonderlich klug. Europa ist in erheblichem Masse auf Kooperation mit China oder Indien angewiesen. Wir können zum Beispiel nicht kurzerhand alle Medikamente selbst produzieren, das würde unsere Krankenkassen ruinieren.

Also entsteht in der Wirtschaft ähnlich wie in der Politik so etwas wie eine multipolare Welt?
Diese Welt haben wir schon. Und da kommt wieder das Fliessgleichgewicht ins Spiel. Man muss sich mit den Akteuren einrichten, ob man sie mag oder nicht. Das heisst nicht, dass man seine Interessen nicht auf robuste Weise verteidigen sollte. Aber letztlich profitieren alle davon, wenn das System funktioniert. Die Kooperation im Welthandel, wie sie derzeit besteht, wurde ja nicht aus politischen Gründen eingeführt, sondern sie hat sich entwickelt, weil eine weltweite Arbeitsteilung allen nützt. Das kann man nicht einfach so auflösen, ohne erhebliche Nachteile zu erleiden.

Um noch einmal vom Grossen aufs Kleine zu kommen: Können Sie sich erklären, warum Trump gerade die Schweiz mit so hohen Zöllen belegt hat? Weil sie wirtschaftlich gross, politisch aber klein ist?
Diese Frage kann ich nicht beantworten. Aber ich beobachte, dass sich Trump hin und wieder unberechenbar verhält. Vermutlich handelt er so erratisch, weil er meint, sich auf diese Weise leichter durchsetzen zu können. Mit Kaltblütigkeit und kühlem Kalkül sollte dem aber beizukommen sein. (aargauerzeitung.ch)

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16 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Eckhardt
20.09.2025 15:59registriert Juni 2024
Das ist genau das, was viele in den Kommentaren sagen und ein Grossteil der CH-Bevölkerung ja empfindet. Auch wie Wirtschaftsleute (wie Hayek) sich zu äussern beginnen. STAY COOL.
Und was macht der Bundesrat? Er tritt in Trumps Falle mit Bücklings, Nachbessern, sich unter Druck setzen und sich Auseinanderdividieren lassen von den anderen US-Handelspartner.
Es geht hier in diesem Fall nicht hauptsächlich um Ökonomie; sondern um Taktik, Psychologie, Widerstand. Es ist naiv zu glauben, dass Trump aufhören wird, wenn seine aktuellen Bedinungen erfüllt werden.
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Viva Svizzera
20.09.2025 15:53registriert März 2023
Top Interview, danke dafür! Trump versteht nur eines: knallharte Kaltblütigkeit und eiskaltes Kalkül. Unser schwacher Bundesrat hingegen bleibt feige im Zögern gefangen – statt sofort die Reissleine zu ziehen und die F-35 zu stoppen, wird weiter rumgedruckst.
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Nume no eis, bitteee!
20.09.2025 16:32registriert Januar 2019
Sich als Europa nicht teilen und beherrschen lassen. Zusammenhalten und Druck machen. Inkl. Gesetze bezüglich Daten und Steuern ggü. den Tech Milliardärios.
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