Olaf Scholz scheint das Thema besonders am Herzen zu liegen. Gleich zweimal betonte er nach dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs vor zwei Wochen in Brüssel, dass auch Nicht-EU-Staaten bei europäischen Rüstungsprojekten mit einbezogen werden müssten. Neben Norwegen und Grossbritannien explizit erwähnt hat er auch die Schweiz.
Der Grund liegt auf der Hand: Deutsche Rüstungsfirmen arbeiten eng mit hiesigen Unternehmen zusammen. So zum Beispiel die Firma «Rheinmetall», welche beim neuen Flugabwehrsystem «Skyranger», einem Flaggschiffprojekt des Konzerns, eine Kanone der Tochterfirma «Oerlikon» aus Zürich verbaut. Aber auch für das neue Richtfunksystem der Bundeswehr kommt ein Produkt aus der Schweiz zum Einsatz: der «Piranha»-Radpanzer, in Kreuzlingen von der heute zum US-Konzern GDELS gehörenden Mowag entwickelt.
Die Kooperationen mit der Schweiz werden jedoch immer schwieriger. Oder vielleicht bald ganz unmöglich?
Davor warnte – trotz der freundlichen Worte seines Chefs – kürzlich der deutsche Botschafter in der Schweiz, Michael Flügger, in einem nicht öffentlichen Austausch mit Parlamentariern, wie die «NZZ am Sonntag» berichtet.
Das Problem ist schnell erklärt: Wegen der Bedrohung durch Russland wächst in Europa die Wahrscheinlichkeit, dass die Nato in einen bewaffneten Konflikt hineingezogen wird. Zum Beispiel, falls sich Wladimir Putin entscheiden sollte, Estland anzugreifen, wovor Experten durchaus warnen. Dann tritt der Nato-Bündnisfall in Kraft und alle Nato-Staaten wären mehr oder weniger automatisch in den Konflikt verwickelt.
Die strikte Auslegung der Schweizer Neutralität, wie sie im Kriegsmaterialgesetz verankert ist, verbietet es aber, Waffen, Ersatzteile und Komponenten an Länder zu liefern, die in einen Krieg verwickelt sind. Die deutsche Bundeswehr könnte dem angegriffenen Estland trotz Bündnisfall also keine Waffen aus Schweizer Produktion überlassen. Mehr noch: Sie dürfte nicht einmal mehr Ersatzteile für ihre eigenen Waffen hierzulande besorgen, weil ja selbst Kriegspartei.
So macht natürlich niemand mehr Geschäfte mit der Schweiz. «Aus Sicht der Nato-Staaten ist die Schweizer Rüstungsindustrie ausgerechnet im Ernstfall keine zuverlässige Partnerin mehr», sagt Matthias Zoller, Generalsekretär der Rüstungslobby SWISS ASD. Er spricht deshalb von einem «Nato-Blocker» in der Schweizer Gesetzgebung. Dieser wird mit der gestiegenen Kriegsgefahr nun offenbar aktiviert.
Das schlägt sich in den Zahlen nieder. Nachdem im Jahr 2023 die Schweizer Waffenexporte um 27 Prozent eingebrochen waren, gingen sie im vergangenen Jahr nochmals fünf Prozent zurück.
Und die Dynamik dürfte sich verfestigen. Bei ihrer milliardenschweren Wiederaufrüstung will die EU nämlich stärker auf in der EU hergestellte Waffensysteme setzen. «Buy European» – «kauft europäisch» – heisst das dann.
Allen voran ist es Frankreich, welches vehement darauf drängt, nur noch auf EU-Waffensysteme zu setzen. Dabei geht es Paris selbstredend vor allem um die Förderung der eigenen Industrie. Seit US-Präsident Donald Trump den Ukrainern aber vom einen auf den anderen Tag ganze Waffensysteme abgestellt hat, erlebt «Buy European» gerade auch abseits des französischen Nationalinteresses einen Aufschwung.
Die Frage ist: Was gilt als europäisch? Während das EWR- und Nato-Land Norwegen vollständig in den künftigen «Binnenmarkt der Verteidigung» integriert sein wird und auch beim Nato-Partner Grossbritannien eine enge Anbindung angestrebt wird, ist die Lage für die Schweiz unklar. Im Entwurf des für diesen Mittwoch angekündigten «Weissbuchs zur Verteidigung» der EU zumindest spielt die Schweiz keine Rolle.
In dem Strategiepapier zuhanden der Staats- und Regierungschefs umreisst die EU-Kommission die nötigen Massnahmen, damit die milliardenschwere Wiederbewaffnung klappen soll. Es geht darum, die zersplitterte europäische Verteidigung zusammenwachsen zu lassen. Dabei sollen, wenn es nicht anders geht, auch Firmen aus «gleichgesinnten» Drittländern zum Zuge kommen. Unter den aufgeführten Partnern finden sich die USA, Norwegen, Grossbritannien, Kanada. Sogar die Türkei und Indien werden genannt. Aber von der Schweiz ist nirgends die Rede.
Beobachter raten, das nicht überzubewerten. Die Schweiz sei kaum bewusst ausgespart, sondern wohl «einfach vergessen gegangen». Das mag stimmen, sollte aber umso mehr zum Denken anregen: Die einst angesehene Schweizer Rüstungsindustrie wird in Europa zur «quantité négligeable»?
So oder so: Die in der Schweiz tätigen Unternehmen sorgen vor und sichern sich ab. Rheinmetall zum Beispiel solle zur Umgehung der strengen Exportvorschriften die Komponenten des «Skyrangers» vermehrt von Zürich nach Italien verfrachten und dort zusammenbauen lassen, berichten Beobachter. Und die bis zu 256 Einheiten des «Piranha 5»-Radpanzers für das Richtfunksystem der Bundeswehr lässt GDELS nicht in Kreuzlingen, sondern in einem neuen Werk in Süddeutschland produzieren. «Wir haben sichergestellt, dass die Bundeswehr vollumfänglich über das Fahrzeug verfügen kann», beschreibt es Thomas Kauffmann, GDELS-Geschäftsführer Deutschland, gegenüber der Branchenpublikation «hartpunkt». (aargauerzeitung.ch)
Es ist wie beim Bankengeheimnis. Statt dieses an die Realitäten anzupassen wollte man auf Biegen und Brechen daran festhalten. Am Ende wurde dann auf internationalen Druck gehandelt.
Liebe Ewiggestrige, versucht es mal mit Realpolitik. Es tut nur am Anfang weh, danach lebt es sich sehr gut.