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USA, die Supermacht im Niedergang? Experte Fareed Zakaria denkt anders

USA Wachstum
Analyse

So, du glaubst also, den USA gehe es mies?

Fareed Zakaria, ein führender amerikanischer Intellektueller, zerlegt das gängige Klischee von den USA als eine Supermacht im Niedergang.
16.12.2023, 06:23
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«So, you wanna be a Rock'n'Roll-Star. Then listen now, what I have to say», sangen einst die Birds in den Sechzigerjahren. In Anlehnung an den Song der legendären Rockband lässt sich heute sagen: «So, du glaubst tatsächlich, die USA seien am A…? Dann hört mal zu, was euch Fareed Zakaria zu erzählen hat.»

Zakaria ist ein führender amerikanischer Intellektueller. Er hat eine wöchentliche TV-Sendung bei CNN, verfasste verschiedene Bücher zu geopolitischen Themen und hat soeben mit einem eindrücklichen Essay in «Foreign Affairs» den verschobenen Blick auf die USA geradegerückt.

Finland's Prime Minister Sanna Marin, right, is interviewed by Fareed Zakaria at the World Economic Forum in Davos, Switzerland Tuesday, Jan. 17, 2023. The annual meeting of the World Economic Fo ...
Auch am WEF gerne gesehen: Fareed Zakaria.Bild: keystone

Die USA-sind-im Niedergang-Version des Bird-Songs ist ein Hit. Wladimir Putin wiederholt ihn unablässig, Xi Jinping jodelt ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit herunter, und verschiedene Staatschefs des Globalen Südens trällern gerne mit. (Auch ein strammes Trüppchen von watson-Usern stimmt ihn mit tödlicher Sicherheit an, wenn die Rede von den USA ist.)

Vor allem jedoch sind es die Amerikaner selbst, die überzeugt sind, dass sie zu den Verlierern gehören. Umfrage um Umfrage fördert zutage, dass eine Mehrheit glaubt, dass die Wirtschaft in der Mitte dieses Jahrhunderts nicht mehr so gut in Fahrt sein werde wie heute, dass es ihren Kindern dereinst schlechter gehen werde als ihnen und dass sich das Land auf dem Holzweg befindet.

Donald Trump hat das Seine zur miesen Stimmung beigetragen. 2016 hat er in seinem Wahlkampf permanent wiederholt, wie desolat die Lage im Land sei und über wie wenig Respekt die US-Regierung im Ausland verfüge. Höhepunkt der Trump’schen Klage-Orgie war seine legendäre Antrittsrede, in der er gar von einem «amerikanischen Gemetzel» fabulierte.

Die aktuelle Politik in Washington bietet tatsächlich kein erbauliches Bild, um es sehr milde auszudrücken. Das sich immer und immer wiederholende kindische Gerangel um das Staatsbudget, die im letzten Moment verhinderten Shutdowns der Verwaltung, das schäbige Verhalten der Republikaner in der Hilfe für die Ukraine, und die Möglichkeit, dass ein notorischer Lügenbold mit einem Hang zum Faschismus wieder ins Weisse Haus einziehen könnte – all dies liefert reichlich Stoff für den USA-im-Niedergang-Song.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere formuliert Zakaria wie folgt:

«Trotz all dem Gerede über die amerikanische Dysfunktionalität und den Niedergang ist die Wirklichkeit eine völlig andere, vor allem im Vergleich zu anderen reichen Ländern. Im Jahr 1990 war das Pro-Kopf-Einkommen in den Vereinigten Staaten (gemessen an der Kaufkraft) 17 Prozentpunkte höher als in Japan und 24 Prozentpunkte höher als in Westeuropa. Heute beträgt die Differenz 54 respektive 32 Prozentpunkte. 2008 waren die Volkswirtschaften von Amerika und der Eurozone etwa gleich gross. Heute ist die amerikanische Volkswirtschaft rund doppelt so gross. Und all diejenigen, die von Jahrzehnten der Stagnation sprechen, müssen sich fragen: Mit welcher entwickelten Volkswirtschaft sollten die USA ihren Platz tauschen?»

Zum gleichen Ergebnis ist übrigens im Frühjahr auch das Wirtschaftsmagazin «Economist» gekommen. Und übrigens: Der Dow Jones Index hat soeben einen neuen Rekordwert erzielt.

Wer immer somit die USA abschreiben will, muss sich daher die folgenden sechs Punkten vor Augen führen:

  • Die US-Wirtschaft ist heute noch stärker als nach dem Fall der Mauer von Berlin. Von den zehn wertvollsten Unternehmen der Welt befanden sich 1989 nur vier in den USA, heute sind es neun.
  • Wer die These, wonach sich China auf der Überholspur befinde, vertritt, muss beachten, dass im laufenden Jahr in den USA 26 Milliarden Dollar in Künstliche-Intelligenz-Startups investiert wurden, sechsmal mehr als in China.
  • Wer es bisher noch nicht bemerkt hat: Nicht Saudi-Arabien oder Russland sind derzeit die grössten Ölförderer, sondern die USA (ökologisch gesehen kein Ruhmesblatt, ich weiss).
  • Für alle, welche den «mächtigen Dollar» vom Thron stürzen wollen, gilt: Träumt weiter. Der Greenback ist und bleibt die führende Leitwährung, und dürfte es noch lange bleiben.
  • Die Überalterung ist in Europa, Japan und China weit ausgeprägter als in den USA. Dank Zuwanderung wird die amerikanische Bevölkerung weiter wachsen und im Durchschnitt jünger bleiben als in den erwähnten anderen Gebieten.
  • Schliesslich zum Lieblingsthema aller konservativen Ökonomen, den Staatsschulden. Es trifft zu, dass sich die amerikanische Verschuldung in den letzten Jahren massiv erhöht hat. Trump allein hat rund acht Billionen Dollar neue Schulden angehäuft. Auch im laufenden Jahr beträgt das Defizit rund sechs Prozent des Bruttoinlandprodukts – ein sehr hoher Wert – , und trotzdem schreit niemand nach einer Schuldenbremse. Das mag zwar unschön sein, doch es stellt in keiner Weise eine existenzielle Gefahr für das Land dar. «Die US-Regierung kann genügend Einnahmen generieren, um ihre Finanzen ins Lot zu bringen, ohne die Steuern massiv zu erhöhen», stellt Zakaria fest. «Ein erster und einfacher Schritt wäre die Einführung einer Mehrwertsteuer.»

Heisst dies, dass die USA weithin die alleinige Supermacht bleiben werden und der Rest der Welt nach ihrer Pfeife tanzen muss. Keineswegs. Die Entwicklung hin zu einer multipolaren Welt ist da und wird sich weiter verstärken. Daran werden sich die USA gewöhnen und sich anpassen müssen. Sie werden jedoch auch in dieser Welt die führende Leitmacht bleiben – es sei denn, die Amerikaner schiessen sich selbst ins Knie und kapseln sich vom Rest der Welt ab.

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via cbs miami

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124 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Knut Knallmann
16.12.2023 07:33registriert Oktober 2015
Das Problem daran: Alles diese Punkte beziehen sich auf die rohen Wirtschaftdaten. Politisch und kulturell betrachtet würde das ganze nochmals anderst aussehen - Der politische und gesellschaftliche Diskurs hat nämlich ein erschreckendes Niveau angenommen. Darüber hinaus profitieren weite Teile der ärmeren Bevölkerung nicht genug von den starken Wirtschaftsdaten.
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Triumvir
16.12.2023 11:31registriert Dezember 2014
Also ich lebe lieber in einer Welt mit den USA als führende Supermacht, als etwa China oder Russland…wobei Russland noch nie eine wirkliche Supermacht war…ausser Atomwaffen haben die rein gar nichts, was sie als Supermacht definieren würde…
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Klingsor
16.12.2023 09:43registriert Dezember 2015
Das Problem der USA liegt wohl eher im gesunkenen Vertrauen der Bürger in den Staat und seine Institutionen und das Lohnniveau im unteren und mittlerem Bereich, das viel tiefer ist als noch vor 40 Jahren. Das Land ist reich, nur haben die wenigsten Menschen im Land etwas davon. Das schürt Unzufriedenheit und davon profitieren Aasgeier und Populisten wie Trump, Caesar oder Blocher, die das Land weiter schlechtreden, damit sie als grosse Erlöser und Macher mit Pomp und Knalleffekt in Erscheinung treten können. Alter Trick - funktioniert immer 😉
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