Putins Kriegswirtschaft geht langsam der Atem aus
Im vierten Jahr des Ukraine-Krieges scheint das einzutreten, was zahlreiche Experten schon kurz nach Beginn der russischen Vollinvasion prognostiziert hatten: Die russische Wirtschaft, die seit 2022 Putins Kriegsmaschinerie am Laufen hält, droht allmählich zu erlahmen. Neben westlichen Sanktionen gegen den Kreml trägt vor allem eine neue ukrainische Strategie zur Destabilisierung des Energiesektors bei. Mit spürbaren Folgen für die russische Ökonomie.
Seit August nimmt die Ukraine verstärkt die russische Energieinfrastruktur ins Visier ihrer Drohnenangriffe. Zwar sind Attacken auf Energieanlagen kein neues Phänomen in diesem Krieg – in den ersten Kriegsjahren traf es vor allem die ukrainische Energieversorgung –, doch nun kehrt sich das Muster um: Kiew reagiert mit einer eigenen Welle gezielter Angriffe.
Wurden anfangs nur vereinzelt Raffinerien in Frontnähe in einem Umkreis von etwa 400 Kilometern attackiert, so intensivierte die Ukraine ihre Angriffe bis Ende Oktober deutlich. Inzwischen reichen die Drohnenangriffe bis weit ins Landesinnere, teils bis in das mehr als 2'000 Kilometer entfernte Sibirien. Mehr als die Hälfte der 38 russischen Hauptraffinerien wurde bereits getroffen. Der Effekt zeigt sich unmittelbar in den Produktionszahlen: Verarbeitete Russland im Juli noch rund 5,4 Millionen Barrel Öl pro Tag, waren es im September nur noch fünf Millionen.
Russlands Energieexporte brechen ein
Die Folgen zeigen sich in mehreren Bereichen der Wirtschaft. Seit Beginn des Angriffskriegs hat Russland im September so wenig Öl und Gas verkauft wie nie zuvor. Nach Berechnungen des finnischen Forschungsinstituts Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) sanken die Einnahmen aus dem Brennstoffexport um etwa vier Prozent von knapp 570 Millionen auf 546 Millionen Euro pro Tag. Vor allem der Handel mit raffinierten Ölprodukten bricht massiv ein.
Laut bisher unveröffentlichten CREA-Daten, die der «Welt» vorliegen, sank der Export von Benzin um fast 70 Prozent, bei Treibstoff für Schiffe um 35 Prozent, bei Diesel um elf und bei Naphtha – einem wichtigen Rohstoff für die Chemieindustrie – um drei Prozent. Diese Rückgänge deuten darauf hin, dass die Finanzierung des Kriegs zunehmend ins Wanken gerät.
«Der starke Rückgang der russischen Ölproduktexporte ist vor allem eine Folge der ukrainischen Drohnenangriffe», erklärt CREA-Analyst Petras Katinas der «Welt». Verstärkt wird dieser Effekt durch die Struktur des russischen Raffineriesystems: Die sowjetische Planwirtschaft schuf regionale Monopole – in vielen Gebieten versorgen nur ein oder zwei Raffinerien ganze Regionen mit Millionen von Einwohnern. Fällt eine Anlage aus, breiten sich Engpässe rasch auf die umliegenden Gebiete aus. Ein erfolgreicher ukrainischer Angriff kann daher grosse Landesteile lahmlegen, die Russland dann mühsam per Bahn aus Hunderten Kilometern Entfernung versorgen muss.
Neue Abhängigkeiten zu China
Hauptabnehmer russischer Energieexporte ist seit Kriegsbeginn China. Nach den westlichen Sanktionen verlagerte Moskau seine Energieflüsse rasch vom Westen nach Osten. Der kurzfristige Einbruch der Exporte konnte durch die intensivierte Partnerschaft mit Peking zwar abgefedert werden, doch die neue Abhängigkeit von China birgt eigene Risiken.
Russland ist inzwischen nicht nur stark auf chinesische Abnehmer angewiesen, von denen einige zuletzt aufgrund drohender US-Sekundärsanktionen Lieferverträge storniert haben. Zudem ist das Land auch von Technologie- und Bauteillieferungen abhängig, die für die Rüstungsproduktion entscheidend sind. Sollten die Exporte weiter sinken, könnte auch Pekings Bereitschaft schwinden, Russland technologisch zu unterstützen.
Hinzu kommt, dass Analysten erwarten, dass das russische Militärbudget 2026 erstmals seit 2022 stagnieren oder sogar leicht sinken könnte – ein Versuch, die Wirtschaft erneut zu stabilisieren. Militärausgaben wirken dabei wie eine Wegwerfökonomie: Fabriken laufen auf Hochtouren, Arbeiter verdienen Löhne, die Nachfrage nach Rohstoffen steigt – doch das Endprodukt ist für den sofortigen Verbrauch bestimmt. Panzer, Drohnen und Munition werden produziert, um auf dem Schlachtfeld zerstört zu werden.
Gleichzeitig zahlt der Staat lebenslange Renten an verwundete Soldaten und Entschädigungen an Hinterbliebene. Dieser Kreislauf hält Beschäftigung und Produktion kurzfristig aufrecht, schafft jedoch keine bleibenden Werte – keine Strassen, keine Kraftwerke, keine Schulen. So wird die Wirtschaft mit jedem Kriegsjahr zwar beschäftigter, aber zugleich ärmer.
Akuter Arbeitskräftemangel in Russland
Zudem leidet Russland unter akutem Arbeitskräftemangel. Ende 2024 fehlten rund 2,2 Millionen Beschäftigte, 70 Prozent der Unternehmen klagten über Personalengpässe. Die Rüstungsindustrie konkurriert mit Bau, Transport und Landwirtschaft um Arbeitskräfte, während strikte Migrationsregeln die Lage verschärfen: Migranten dürfen meist nur in schlecht bezahlten Branchen arbeiten und sind rechtlich benachteiligt – selbst ihre Kinder haben oft keinen vollen Zugang zu Bildung.
Gleichzeitig verschärfen sich die demografischen Probleme. Schon heute sind 18 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt, bis zur Mitte des Jahrhunderts dürfte der Anteil auf 24 Prozent steigen. Der Krieg hat diese Krise weiter verschlimmert: Laut Schätzungen von BBC und «Mediazona» wurden bisher mindestens 219'000 russische Soldaten getötet – meist Männer im arbeitsfähigen Alter. Hunderttausende weitere sind durch Verletzungen dauerhaft aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden.
Auch der jüngste Beschluss in Brüssel, ab 2027 endgültig den Import von Flüssiggas aus Russland in die EU zu verbieten, dürfte in Moskau kaum für Freude sorgen. Die Regelung soll es den verbliebenen Abnehmern – Spanien, Portugal, Belgien, Frankreich und den Niederlanden – ermöglichen, langfristige Lieferverträge mit Russland aufzulösen.
Trumps überraschende Kehrtwende
Ein weiteres Problem für Putin bahnt sich unterdessen in Washington an. Nach einer Phase der Annäherung zwischen US-Präsident Donald Trump und dem russischen Machthaber, in der sogar von wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Investitionen amerikanischer Unternehmen in Russland die Rede war, hat sich das Blatt erneut gewendet.
Als Trump erkannte, dass Putin ihn lediglich hinhalten wollte, um der Ukraine auf dem Schlachtfeld einen taktischen Nachteil zu verschaffen, zog er im Herbst die Konsequenzen – und vollzog eine überraschende Kehrtwende. Er verhängte eine der bislang schärfsten Sanktionen gegen die russischen Energieriesen Lukoil und Rosneft.
Die Massnahmen zeigten rasch Wirkung: Kurz nach ihrer Ankündigung zogen sich mehrere von Russlands wichtigsten Handelspartnern aus dem Ölgeschäft zurück. Indische Raffinerien stoppten ihre Bestellungen, die Türkei orientiert sich offenbar stärker am Irak, und auch aus China kommen ähnliche Signale. Ökonomen warnen bereits vor «gravierenden» Folgen für den globalen Ölmarkt.

