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Nicht alle trauern um die Queen – besonders in Afrika nicht

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Besuch der Queen in Ghana 1961. In den letzten Jahren sind die Nachwehen des Kolonialismus stärker in den Vordergrund gerückt – die Vergangenheit hat die Royals eingeholt. Bild: KEYSTONE

Nicht alle trauern um die Queen – besonders in Afrika nicht

11.09.2022, 19:1712.09.2022, 15:13
Daniel Huber
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Der Tod der Queen hat eine enorme Welle von Trauerbekundungen ausgelöst. Die britische Monarchin ist während ihrer langen Amtszeit durch ihr ausgeprägtes Pflichtbewusstsein und ihr Charisma ausserordentlich populär geworden. Doch als perfekte Verkörperung der britischen Monarchie hat sie auch Kritik geerntet, die sich freilich meist gegen die Institution und noch allgemeiner gegen die Rolle des British Empire richtete und eher weniger gegen sie als Person.

Exemplarisch dafür stehen könnte etwa die Haltung von John Lydon – besser bekannt unter dem Namen Johnny Rotten, einst Frontmann der Punkband Sex Pistols, die 1977 mit dem Song «God Save the Queen» für einen Skandal sorgte. Lydon bekannte im Mai 2022, er sei nach wie vor ein Gegner der Monarchie und stehe «zu seiner Abneigung gegen sie wie eh und je». Zugleich stellte er aber fest, er respektiere die Queen als Person total, und lobte ihren «Sinn für Würde».

A visitor to the "Punk: A True and Dirty Tale" exhibition in central London looks at one of the most famous images from punk band the Sex Pistols, Wednesday Oct. 6, 2004. The God Save The Qu ...
Das mit dem Schriftzug der Band überdeckte Gesicht der Queen zierte das Cover ihrer Single «God Save the Queen». Bild: AP

Fundamentale Opposition gegen die Monarchie kommt naturgemäss von den republikanisch gesinnten Briten, deren Zahl in den letzten Jahren gewachsen ist – trotz der Popularität der Queen. Sie können nun darauf hoffen, dass der neue König Charles III. nicht annähernd so beliebt sein wird wie seine Mutter und der Rückhalt der Monarchie in der Bevölkerung weiter schwindet. Bereits jetzt ist er etwa in Schottland, aber auch unter den ethnischen Minderheiten bedeutend kleiner als im Durchschnitt der Einwohner Grossbritanniens.

Naturgemäss geriet die Queen als oberste Repräsentantin des britischen Staats auch zum Hassobjekt und zur Zielscheibe von dessen Gegnern. So erklärte etwa die Irisch-Republikanische Armee (IRA) 1974 in einem Interview mit dem «Spiegel», die Königin sei als «Staatschef einer Feind-Nation» ebenfalls ein mögliches Ziel von Anschlägen. «Sie ist ebenso ein Feind wie jeder britische Soldat.» Damals war der Nordirlandkonflikt noch ein blutiger Bürgerkrieg und 1979 gelang es der IRA tatsächlich, die Windsors persönlich zu treffen: Sie tötete den Lieblingsonkel der Queen, Lord Louis Mountbatten.

The British royal family at the funeral service at London's Westiminster Abbey, held on September 5th 1979, for the late Lord Louis Mountbatten. (KEYSTONE/AP Photo/Str)
Die königliche Familie 1979 an der Trauerfeier für Lord Mountbatten.Bild: AP

Doch mit dem Karfreitagsabkommen 1998 endete die gewaltsame Phase des Nordirlandkonflikts und im Zuge der weiteren Entspannung besuchte die Queen 2011 als erstes britisches Staatsoberhaupt die Republik Irland seit deren Unabhängigkeit im Jahr 1921. Während die irische Animosität gegenüber der britischen Monarchie abgenommen hat, ist jedoch in den letzten Jahren vermehrt Kritik am Umgang des Königshauses mit dem kolonialen Erbe des British Empires und der damit verbundenen Frage des Rassismus laut geworden. Die Queen, die sich stets als Hüterin von Traditionen und Wahrerin des Commonwealths verstand, konnte dieser Kritik wenig entgegensetzen und zog es in der Regel vor, zu schweigen.

Koloniale Nachwehen

Als Elizabeth II. den Thron bestieg, war das British Empire pro forma immer noch ein eindrucksvolles Kolonialreich, auch wenn dessen Juwel – Britisch-Indien – bereits 1947 in Form der Staaten Indien und Pakistan die Unabhängigkeit erlangt hatte. In den folgenden Jahren schrumpfte das Empire jedoch drastisch; heute ist nur noch ein kleiner Teil des einst weltumspannenden Kolonialreichs vorhanden. Der Vorgang der Entkolonialisierung und die Nachwehen der Kolonialzeit betrafen auch die britische Monarchie.

1961 besuchte die Queen Ghana, das 1957 als erste subsaharische afrikanische Kolonie Grossbritanniens unabhängig geworden war. Vor der Reise gab es Bedenken, zum einen wegen der Sicherheit der Königin angesichts der politisch angespannten Lage in Ghana, zum anderen aufgrund von Befürchtungen, ihr Besuch könne als Unterstützung des zunehmend autokratisch regierenden Präsidenten Kwame Nkrumah verstanden werden. Sie setzte sich jedoch durch, auch da es ihr ein wichtiges Anliegen war, Ghana im Commonwealth zu halten.

Britain's Queen Elizabeth II and Ghana's President Kwame Nkrumah walk under the shade of a huge umbrella at Kumasi Sports Stadium on Nov. 14, 1961. The Queen and Duke of Edinburgh (unseen) w ...
Die Queen mit Präsident Nkrumah. Bild: AP

Manche Stimmen aus Afrika und auch aus antiimperialistisch gesinnten Kreisen anderswo verurteilten den Besuch der Queen jedoch als Komplott, das die Ausbeutung der vormaligen Kolonie aufrechterhalten sollte. Und ihr legendärer Tanz mit Nkrumah habe lediglich den Fotobeweis dafür liefern sollen, dass die Monarchie nicht rassistisch sei.

Im Vergleich zu Ghana verlief die Entkolonialisierung Kenias weitaus blutiger. In der ostafrikanischen Kolonie war der Unabhängigkeit, die 1963 Tatsache wurde, ein jahrelanger Krieg vorausgegangen – der Mau-Mau-Krieg, der blutigste und langwierigste Krieg des Empires in der Phase der Entkolonialisierung. Zwischen 1952 und 1961 pferchten die Briten hunderttausende von Kenianern in Lager; mindestens 90'000 Menschen sollen gefoltert, verstümmelt oder hingerichtet worden sein – darunter auch der kenianische Grossvater von Barack Obama.

Lawrence Mathenge, representative of the Mau Mau War Veterans Association, celebrates the announcement of a legal decision in Britain's High Court concerning Mau Mau veterans, while holding a cer ...
Ein Vertreter der Vereinigung der Veteranen des Mau-Mau-Kriegs feiert 2012 in Nairobi ein Urteil des britischen Obersten Gerichts, das drei Folteropfern erlaubt, Entschädigungsforderungen an die britische Regierung zu richten. Bild: AP

Dass hier bei der Nachricht vom Tod der Monarchin, die damals schon das Empire repräsentierte, alte Narben schmerzen, ist kaum verwunderlich:

Immerhin scheint die Queen eine Gegnerin des Apartheid-Systems gewesen zu sein, das in den 1940er-Jahren im ehemaligen britischen Dominion Südafrika eingeführt worden war und ab den Siebzigerjahren international zusehends geächtet wurde. Zumindest berichtete die «Sunday Times» 1986, die Monarchin sei «bestürzt über die gefühllose Thatcher», die sich weigerte, harte Sanktionen gegen das Apartheid-Regime zu verhängen. Der Buckingham-Palast dementierte natürlich umgehend – die britische Königin hatte sich schliesslich aus der Politik herauszuhalten.

Doch auch aus Südafrika melden sich Stimmen, die der Queen anlässlich ihres Todes harsche Vorwürfe machen:

Der Congress of Traditional Leaders of South Africa (Contralesa) drückte zum Hinschied der Queen zwar sein Beileid aus. Der Generalsekretär Zolani Mkiva betonte aber zugleich:

«Sie werden verstehen, dass wir ein sehr brutales System der Kolonisierung hinter uns haben, bei dem die Königin den Vorsitz über die Verwaltung der britischen Seele hatte. Wenn so etwas passiert, löst das bei uns natürlich gemischte Gefühle aus. »

Besonders der extrem wertvolle Cullinan-Diamant erhitzt nun zuverlässig wieder die Gemüter. Der grösste je gefundene Diamant – aus dem zwei Diamanten geschnitten wurden (Great und Lesser Star of Africa), die heute auf dem Zepter und der Krone des britischen Monarchen prangen – sei gestohlen worden, lautet der Vorwurf.

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Sklavenhandel und Rassismus

Einer der folgenreichsten schwarzen Flecken in der britischen Kolonialgeschichte ist der Transatlantische Sklavenhandel. Die Briten waren in grossem Stil darin involviert; sie besassen die weltweit grösste Flotte von Sklavenschiffen und Liverpool galt als «Hauptstadt des Sklavenhandels» mit dem grössten Sklavenmarkt der Welt.

Zwar gehörte Grossbritannien zu den ersten Nationen, die den Sklavenhandel verboten (1807), und das Empire unternahm viel, um das Verbot durchzusetzen. Doch sein Erbe ist heute noch spürbar – etwa im März dieses Jahres, als eine wütende Menschenmenge in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston einen Besuch von Prinz William und seiner Frau Kate zum Anlass nahm, eine Entschuldigung und Entschädigungen für die 300 Jahre Sklaverei auf Jamaika zu fordern. Der jamaikanische Künstler Beenie Man sagte in der TV-Show «Good Morning Britain»: «Es dreht sich alles um die Königin, und die Königin dient, und die Königin dies und das, aber was tun sie für Jamaika? Sie tun nichts für uns.»

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Herzogin Kate und Prinz William in Kingston. Bild: EPA EFE

Manche Menschen dunkler Hautfarbe aus jenen Ländern, aus denen die Sklaven stammten, oder aus jenen, in die sie verschleppt wurden, schätzen die Besuche von Mitgliedern des britischen Königshauses nicht, sondern empfinden sie als klassische «White Saviors», die den angeblich weniger entwickelten Völkern Aufmerksamkeit schenken und für Wissen und Fortschritt sorgen. Auch hat sich die Queen nie offiziell für den Sklavenhandel entschuldigt. Immerhin anerkannte ihr Thronfolger Charles, jetzt König Charles III., 2018 bei einem Besuch in Ghana «die entsetzlichen Gräueltaten des Sklavenhandels und das unvorstellbare Leid, das er verursacht hat».

Kritik an den Royals wurde auch laut, weil sie 2020 keine Stellung zur «Black-Lives-Matter»-Bewegung nahmen, sondern sich in vornehmes Schweigen hüllten. Dies hatte jedoch auch mit der ihnen auferlegten Zurückhaltung zu tun, sich zu politischen Dingen zu äussern. Im Gefolge der BLM-Bewegung wurde auch Kritik an Traditionen laut, die als rassistisch gebrandmarkt wurden.

Ein Beispiel dafür ist die Kontroverse um das Abzeichen des St.-Michael-Ordens, das die Queen zu bestimmten Anlässen trug. Es zeigt den Erzengel St. Michael, der seinen Fuss auf den Nacken des besiegten Satans stellt. Dies verglichen Kritiker mit einem Weissen, der auf dem Hals eines Schwarzen steht – was wiederum an den Tod von George Floyd in Minneapolis erinnerte, der die BLM-Bewegung ausgelöst hatte.

Bruststern eines Knight Commander des St.-Michael- Ordens. 
Von Auckland Museum, CC-BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=83839019
Bruststern des St.-Michaels-Ordens. Die Figur in der Mitte ist der Erzengel St. Michael, der auf dem Nacken Satans steht. Bild: Wikipedia/Auckland Museum

Für beträchtliche Aufregung sorgte im Jahr darauf ein Interview von Prinz Harry und seiner Frau Meghan Markle mit der amerikanischen Talkmasterin Oprah Winfrey. Harry sagte dort, Rassismus sei ein wichtiger Grund gewesen, warum er und Meghan, deren Mutter Afroamerikanerin ist, Grossbritannien verlassen hätten. Und Meghan beklagte sich, die Berichterstattung über sie in der britischen Presse sei rassistisch.

Vor allem aber sei es ein Tiefpunkt gewesen, als ein Familienmitglied Harry gefragt habe, wie dunkel denn die Hautfarbe ihres Sohnes Archie werden würde. Vielleicht wäre Meghan für die königliche Familie eine Möglichkeit gewesen, sich ein diverseres Image zu geben und ihr Engagement für ein multikulturelles Grossbritannien zu beweisen; doch dies wurde verpasst.

FILE - This image provided by Harpo Productions shows Prince Harry, from left, and Meghan, Duchess of Sussex, during an interview with Oprah Winfrey. (Joe Pugliese/Harpo Productions via AP, File)
Prinz Harry und Meghan beim Interview mit Oprah Winfrey.Bild: keystone

Das Unbehagen über die Haltung der Windsors in solchen Fragen äussert sich nun auch in Wortmeldungen nach dem Tod der Queen – die allerdings umgehend als unpassend oder pietätlos kritisiert wurden. So fragte der frühere englische Nationalspieler Trevor Sinclair in einem Tweet rhetorisch, warum braune und schwarze Menschen über den Hinschied der Monarchin trauern sollten. Sinclair löschte den Tweet, nachdem er auf harsche Kritik gestossen war.

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Die Queen: Regieren, Altern, Nachkommen
Dieses Kunstwerk ist vom 1. Mai 2015. Die Queen stellte sich für den Fotografen Hugo Rittson Thomas in ein Spiegelkabinett.
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123 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gusto
11.09.2022 20:21registriert Mai 2016
Vielen Dank für diesen ausgewogenen Artikel, welcher diesen Aspekt beleuchtet. Die britische Monarchie ist massgeblich an jahrhundertelangem Kolonialismus und Rassismus beteiligt. Das darf bei aller Trauer und Huldigung der Queen nicht untergehen. Das hat mit der zeitgenössischen Woke / Black Lives Matter Welle nichts zu tun, sondern ist ein historischer Fakt!
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Randalf
11.09.2022 22:50registriert Dezember 2018
Naja, Nana Akufo , der Präsident von Ghana, fordert jetzt sowieso Wiedergutmachung wegen der Sklaverei .
Und warum er jetzt darauf kommt ist weil die "offizielle" Inflation ca. 30 % beträgt. D. h. Ungefähr jede Woche wird das Leben teurer und die Regierung hat es nicht fertig gebracht das zu stoppen.
Die Korruption geht munter weiter und wird auch nicht so schnell aufhören. Die Gahnesen behaupten auch dass er in seinen letzten beiden Jahren als Präsident eigentlich nicht mehr viel macht. Also vor allem jene die ich kenne.
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Mutzli
12.09.2022 00:47registriert Dezember 2016
Punkto Abschaffung Sklavenhandel 1807 finde ich es erwähnenswert, dass damit jedoch Sklaverei an sich ausdrücklich nicht abgeschafft wurde. Versklavte Menschen blieben also weiterhin versklavt, denn einzig der gewerbsmässige Handel mit Menschen wurde verboten.

Während das zwar ein wichtiger erster Schritt war, geschah das nicht rein aus Nächstenliebe, sondern war auch 1. Propaganda vs. Napoleon, welcher Sklaverei re-legalisierte & 2) später als angebliche Kolonialisierungslegitimation im "Race for Africa" eingesetzt...wo Leute in eroberten Gebieten dann Zwangsarbeit leisten mussten.
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