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Zohran Mamdani will Bürgermeister von New York City werden

Assemblyman Zohran Mamdani talks to people after the New York City Democratic Mayoral Primary Debate at the John Jay College of Criminal Justice in the Gerald W. Lynch Theater on Thursday, June 12, 20 ...
Der Sozialist Zohran Mamdani will Bürgermeister von New York City werden.Bild: keystone

Zohran Mamdani: Der neue linke Star der USA

Zohran Mamdani könnte Bürgermeister von New York City werden. Der Sozialist verspricht eine linke Revolution, seine Gegner reagieren mit Panik. Kann er sich durchsetzen?
25.06.2025, 22:3125.06.2025, 22:31
Lukas Hermsmeier / Zeit Online
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In New York City lassen sich an einem Samstagabend ja durchaus ein paar Dinge tun. Man kann zum Beispiel mit seinen Nachbarn an einem der unzähligen Taco-Trucks rumhängen. Oder in einer der tausenden Bars gegen die Musik anbrüllen. Oder zu viel Geld für das Broadway-Musical Hamilton ausgeben. Doch rund 3000 Menschen entschieden sich neulich an einem Samstag für eine andere Abendgestaltung: Sie versammelten sich mitten in der Hauptstadt der Finanzwelt, um einen jungen demokratisch-sozialistischen Politiker zu feiern.

Zohran Mamdani ist sein Name, 33 Jahre alt, in Uganda geboren, muslimischen Glaubens und so links wie es für einen Politiker in den USA geht. Früher war Mamdani Rapper, dann in der Wohnpolitik aktiv, seit 2021 sitzt er im Parlament des Bundesstaates New York. Und bald will er Bürgermeister von New York City werden.

Woran vor einem halben Jahr nicht mal seine überzeugtesten Mitstreiter so wirklich glaubten, ist im Laufe einer gehypten Graswurzelkampagne zu einer realistischen Option geworden. Jetzt am Dienstag finden die demokratischen Vorwahlen statt – Mamdani liegt in mehreren Umfragen nahe dran am Favoriten Andrew Cuomo. Der ehemalige Gouverneur von New York ist doppelt so alt und ungefähr ein Zehntel so progressiv wie Mamdani. Dass Mamdani überhaupt ernsthaft mitmischt, ist eine kleine Sensation.

«Zohran! Zohran! Zohran!»

Die Wahlkampfveranstaltung im Terminal 5, einer Konzerthalle im westlichen Manhattan, glich einem Indiepop-Konzert. Das Parkett und die zwei Oberränge waren voll, das Publikum war jung – viele unter dreissig. Durch den Abend führte der Comedian The Kid Mero, eine Blaskapelle spielte, Lokalpolitikerinnen, Gewerkschafter und Aktivistinnen hielten Lobgesänge auf Mamdani. Dann betrat die New Yorker Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez die Bühne.

«Wenn wir das Blatt in der grössten und besten Stadt der USA wenden können, dann können wir das auch im ganzen Land», sagte die 35-jährige Ocasio-Cortez, die neben US-Senator Bernie Sanders als die bekannteste linke Politikerin der USA gilt. Ocasio-Cortez erzählte, wie sie mit Mamdani im Sommer 2024 erstmals über dessen mögliche Bürgermeisterkandidatur gesprochen hatte, nicht ahnend, wie sich alles entwickeln werde. Und sie sagte, dass es ihr als Opfer sexueller Gewalt besonders wichtig sei, dass Konkurrent Cuomo nicht die Wahl gewinne. Cuomo musste 2021 vom Amt des Gouverneurs zurücktreten, nachdem ihm dreizehn Frauen sexuelle Belästigung vorgeworfen hatten.

Rep. Alexandria Ocasio-Cortez (D-N.Y.) speaks at the NYCLU's May Day rally for worker's and immigrants rights at Foley Square, Thursday, May 1, 2025, in New York. (AP Photo/Angelina Katsanis ...
Die 35-jährige Alexandria Ocasio-Cortez gilt neben US-Senator Bernie Sanders als die bekannteste linke Politikerin der USA.Bild: keystone

Als Mamdani schliesslich selbst auf die Bühne und in Ocasio-Cortez' Arme lief, hallte es «Zohran! Zohran! Zohran!» durch den Saal. Was folgte, war eine klassenkämpferische Rede – immer wieder von Jubel unterbrochen. Er sprach über ICE, die US-Abschiebebehörde, mit der er sich, anders als Amtsinhaber Eric Adams, nicht gemein machen wolle. Über Trump, gegen dessen autoritären Kurs New York Widerstand leisten müsse. Die Menge skandierte seine Forderungen. «Wir werden die Stadt gewinnen, die wir verdienen», versprach Mamdani. «Und es wird eine sein, die wir uns leisten können.»

Bezahlbares Leben, Steuern für Reiche und Konzerne

Die Euphorie um Mamdani hat auf den ersten Blick etwas von einer Parallelwelt. Während Trump den Sozialstaat zerstört, Einwanderer verfolgen lässt, das Militär auf Protestierende hetzt, sich Gerichtsentscheidungen widersetzt und auch geopolitisch für Verheerungen sorgt, träumen sie in New York von einer linken Revolution. Sie tun es nicht trotz, sondern wegen der düsteren Realität.

Wer Mamdani zuhört, erkennt schnell: Diese Bewegung ist kein flüchtiges Phänomen. In den vergangenen Jahren haben viele New Yorkerinnen und New Yorker erlebt, wie ihr Leben teurer und ihre Zukunft unsicherer wurde. Sie sehen, dass der wirtschaftliche Frust, den Trump instrumentalisiert, nicht von der Demokratischen Partei aufgefangen wird.

«Zohran und andere Sozialisten wie er füllen eine Lücke, die die Demokraten gelassen haben», sagt Peter Lucas. Er gehörte 2020 zum Wahlkampfteam von Mamdani und zieht auch jetzt von Tür zu Tür, um für den Kandidaten zu werben. Die Demokratische Partei habe zu oft Politik für die Oberschicht gemacht, so Lucas. Mamdani hingegen kämpfe «unverfroren für die Arbeiterklasse». Er sei zudem der einzige Kandidat im Rennen, «der die Probleme nicht nur benennt, sondern konkrete Pläne zur Lösung» habe.

Mamdanis Programm geht tatsächlich weit über das vieler Demokraten hinaus. Er will günstige Lebensmittel in städtischen Supermärkten verkaufen, einen Mietdeckel einführen und 200'000 bezahlbare Wohnungen bauen, die Kinderbetreuung und den Busverkehr kostenlos machen. Zudem plant er eine neue Behörde für Gewaltprävention, psychologische Notfälle, Sozialarbeit im öffentlichen Raum. Bezahlt werden soll das durch höhere Steuern für Reiche und Konzerne.

Wahlprogramme allein gewinnen keine Wahl. Was Mamdani auszeichnet, ist seine Präsenz. Er ist so locker und zugänglich wie Barack Obama – doch weniger pastoral. Mamdani lächelt mehr als die meisten Politiker. Vieles, so sagt es Mamdani selbst, habe er seinen Eltern zu verdanken. Seine Mutter Mira Nair ist eine bekannte Filmemacherin, sein Vater Mahmood Mamdani ein renommierter Professor für postkoloniale Studien an der Columbia-Universität. Er habe sich in seiner Kindheit ausprobieren dürfen, hat Mamdani in Interviews erzählt.

Sein kommunikatives Talent war jedenfalls wie gemacht für eine aufgedrehte Social-Media-Kampagne. Dort sieht man Mamdani mal beim Anführen eines Demozugs, mal im Gespräch mit einer Schwarzen trans Moderatorin, mal beim chinesischen Neujahrsfest, mal beim Baden im Atlantik. Nach der Präsidentschaftswahl 2024 zog er mit einem Kamerateam durch Queens, um Trump-Wähler zu befragen – nicht, um sie zu beschämen, sondern um sie zu verstehen.

Mamdanis Aufstieg hat noch eine andere Grundlage: unermüdliche Basisarbeit. Angetrieben wurde der Wahlkampf von den Democratic Socialists of America, der grössten demokratisch-sozialistischen Organisation in den USA, deren Mitglied Mamdani seit 2017 ist. Über 40'000 Freiwillige klopften seit Januar an mehr als einer Million Türen in New York City. Besonders dort, wo selten Politiker auftauchen – in der Bronx, an Halal-Ständen, in vergessenen Wohnblöcken. Der Wahlkampf wurde ausschliesslich von Kleinspendern finanziert. Bereits im März musste Mamdani seinen Unterstützern mitteilen, keine Gelder mehr zu schicken, weil die erlaubte Obergrenze an Spenden erreicht war.

Die Liste der Unterstützer ist lang: Ocasio-Cortez, Sanders, der frühere US-Arbeitsminister Robert Reich, die Autorin Naomi Klein, die Designerin Ella Emhoff. Gewerkschaften, Umweltgruppen, linke Parteiflügel. In einem Technoclub in Brooklyn legte eine DJane sogar Mamdanis Reden über elektronische Beats auf. Der Hype könnte kaum grösser sein.

Und doch: Mamdanis Konkurrent Cuomo liegt in den meisten Umfragen noch vorn.

Das politische Establishment reagiert mit Panik

Die US-Linke ist in den vergangenen Jahren nicht selten daran gescheitert, über ihr eigenes Milieu hinauszuwirken. Bernie Sanders unterlag in den Präsidentschaftsvorwahlen, weil er viele Schwarze Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiter- und Mittelschicht nicht überzeugte. Mamdani droht ein ähnliches Schicksal: Unter Schwarzen US-Amerikanern führt Cuomo mit grossem Abstand – nicht nur wegen seines Bekanntheitsgrads, sondern auch, weil Mamdani als unerfahrener Aussenseiter gilt.

Als Bürgermeister von New York City ist man für über acht Millionen Einwohner, mehr als 40 Behörden und 300'000 Beamte verantwortlich. Zwischen Wall Street, Gemeinschaftsgärten, Polizeigewerkschaft und der NGO-Szene werden grosse Visionen schnell zerdrückt.

Das politische Establishment hat auf Mamdanis Aufstieg mit Panik reagiert. In Dauerschleife laufen TV-Spots, die ihn als Sicherheitsrisiko darstellen, als gefährlichen Radikalen. Finanziert werden sie von Milliardären wie Michael Bloomberg, vom Lieferdienst Doordash und ihrer Pro-Cuomo-Organisation, die Mamdani auf einem Flyer mit verlängertem, verdunkeltem Bart zeigte. Die republikanische Stadträtin Vickie Paladino forderte sogar eine Abschiebung Mamdanis, weil dieser angeblich die USA hasse. Gezielte Akte antimuslimischer Hetze. Die Folge: Mamdani erhielt mehrere Morddrohungen.

Von rechter Seite wird Mamdani immer wieder Antisemitismus unterstellt. Die Vorwürfe kommen von Boulevardmedien wie der New York Post und proisraelischen Gruppen wie der Zionist Organization of America, aber auch von einzelnen konservativen Demokraten. Belege gibt es keine. Fakt ist, dass Mamdani sich seit vielen Jahren für die Rechte von Palästinensern einsetzt und den israelischen Krieg in Gaza als Völkermord verurteilt. In einer TV-Debatte bekannte sich Mamdani zum Existenzrecht Israels, forderte zugleich gleiche Rechte für alle. Eine Reise nach Israel, sagte er, stehe nicht an; wichtiger sei ihm das Wohl jüdischer Bewohnerinnen und Bewohner New Yorks. Unterstützung erhält er von seinem jüdischen Mitbewerber Brad Lander: «Wir sind uns nicht in allen Punkten über Israel und Palästina einig», sagte Lander, «aber ich bin überzeugt, dass er die jüdischen New Yorker und unsere Rechte schützen wird.» Sie traten mehrfach zusammen auf. Hauptsache: Cuomo verhindern. 

Und wenn Mamdani verliert?

Die Wahl in New York hat weit über die Stadtgrenzen hinaus Bedeutung. Sie ist die erste grosse Abstimmung seit Trumps Wahlsieg im November – und damit auch eine Richtungsentscheidung für die Demokraten.

Jetzt auf

Ein Sieg Mamdanis wäre einer der grössten Triumphe der US-Linken seit Jahren. Plötzlich hätte man Macht und dürfte im grossen Stil gestalten – müsste allerdings auch liefern. Und das rasch. Schon wird spekuliert, ob das demokratische Parteiestablishment eine Niederlage überhaupt hinnehmen würde. Cuomo könnte bei den Hauptwahlen im November trotzdem antreten – und zwar auf einem anderen Platz auf dem Stimmzettel, also gegen den demokratischen Kandidaten.

Und wenn Mamdani verliert? In den vergangenen Monaten hat sich zu viel Energie aufgebaut, als dass seine Leute mit einem respektablen zweiten Platz zufrieden wären. Mamdani selbst verkündete bei seiner Rally im Konzertsaal von Manhattan, nicht mehr nur «moralische Siege» feiern zu wollen. Man kann davon ausgehen, dass sowohl der Politiker als auch die Bewegung hinter ihm bleiben werden. In New York ist ein neues linkes Selbstbewusstsein entstanden.

Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

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