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Das ist #thinprivilege – Wenn dünne Menschen es einfacher haben

Die problematische Norm: Dünnsein.
Die problematische Norm: Dünnsein.bild: shutterstock

Das ist #thinprivilege – wenn dünne Menschen es einfacher haben

27.07.2018, 10:5627.07.2018, 11:13
Gunda Windmüller / watson.de
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«Meine Kollegin hat mir einen Bekannten vorgeschlagen, den ich unbedingt mal zu einem Blind Date treffen sollte. Als sie mir dann ein Foto von ihm zeigte, dachte ich nur: ‹Oh nein, nicht schon wieder.› Denn er war dick.»

Das erzählt mir meine Freundin Lisa. Sie erzählt es mir, um zu zeigen, wie Leute mit ihr als dicker Frau umgehen. Ganz automatisch, ohne gross nachzudenken.

«Ich bin dick. So sehen mich zumindest alle. Und dick heisst für die meisten nicht attraktiv. Deswegen werde ich automatisch nur anderen Dicken als Date vorgeschlagen. Weil ‹wir› angeblich in einer anderen Liga spielen.»

Was Lisa mir erzählt hat, hat mich nachdenklich gemacht. Ich finde es grausam, wie Lisa nur wegen ihres Gewichts von ihren Mitmenschen schon in die Kategorie «not so hot» abgeschoben wird und dort dann bitteschön mit anderen Menschen, mit denen sie vielleicht gerade mal den BMI teilt,  zusammenpassen soll.

Mich hat es aber auch nachdenklich gemacht, weil ich mich selber schon bei solchen Gedanken ertappt habe. Dabei ertappt habe, wie ich Menschen wegen ihres Körpergewichts in Schubladen gesteckt habe. Auch charakterlich.

Schlank sein, oder zumindest so zu wirken, ist die Norm. Es ist die Norm, und damit sagt es auch etwas über die Menschen aus, die als schlank wahrgenommen werden. Ein schlanker Körper wird als schöner, gesünder, fitter, disziplinierter wahrgenommen. Ob die Person fit, gesund, diszipliniert ist, oder nicht.

Vor allem für Frauen gilt dieses Schlankheitsideal. Und es ist nicht nur einfach ein Ideal – etwas, das wir im Alltag ignorieren könnten. Es bestimmt unseren Alltag. Ganz konkret.

Ein Beispiel: Schlankere Frauen verdienen mehr als dickere Frauen.

Das haben Forscher des Instituts zur Zukunft der Arbeit herausgefunden. In einer Studie konnten sie zeigen, dass Frauen, die einen BMI von 21,5 hatten, im Vergleich am besten verdienten. Dabei lagen übergewichtige Frauen zum Teil bis zu 12 Prozent unter dem Gehalt der sehr Schlanken.

«Wie die Studie zeigt, gehen mit steigendem Gewicht die Verdienstchancen stetig bergab. Dass dies auf gesundheitliche Effekte zurückzuführen ist, schliessen die Wissenschaftler aus, zumal sie den Gesundheitszustand der Befragten bei ihrer Analyse ebenfalls berücksichtigten.»

Schlankheit wird mit Attraktivität assoziiert, so die Forscher, und das wirke sich auf die Bewertung der Arbeitsfähigkeit aus.

Wer dünn ist, geniesst also Vorteile, die dickere Menschen nicht haben. Einfach so. Das wird von Online-Aktivisten «thin privilege» genannt – Beispiele dafür werden zum Beispiel auf dem Tumblr thisisthinprivilege gesammelt.

Auf Twitter hat die Bloggerin Cora Harrington dieses Phänomen gerade in einer Reihe von Tweets erklärt.

«Hey, du musst dich nicht dünn fühlen, um dieses Privileg zu geniesen. Dünn sein ist kein Gefühl. Wenn andere Leute dich so wahrnehmen, dann bist du es. Wenn du in einen Klamottenladen reinlaufen kannst und eine ganze Reihe an passenden Grössen findest, bist du dünn.»
«Keiner sieht online ein Foto von mir und sagt mir, dass ich abnehmen muss oder sieht mich abschätzig an, wenn ich etwas Süsses esse.»
«Niemand beschwert sich, oder rollt mit den Augen, wenn er neben mir im Bus oder Flieger sitzen muss.
Niemand kommentiert überhaupt meinen Körper. Die Möglichkeit, durchs Leben zu gehen, ohne dass dir Leute sagen, du solltest abnehmen ... wenn man sich darüber keine Sorgen machen muss, dann ist das ein Privileg.»
«Nochmal: thin privilege bedeutet nur, dass dein Leben nicht noch extra schwierig gemacht wird WEGEN deinem Gewicht. Es bedeutet, dass dein Gehalt, deine Krankenversicherung oder dein Platz im Flieger nicht von deinem Gewicht definiert werden.»

Klar, «thin privilege» heisst nicht, dass dünne Menschen nicht auch durch andere körperliche Merkmale diskriminiert werden können. Wer eine grosse Nase, unreine Haut oder abstehende Ohren hat, wird abschätzige oder bemitleidende Blicke und Kommentare von Mitmenschen auch kennen. Genauso wie Leute, die als «zu dünn» wahrgenommen werden.

«Aber wenn ich dann höre, wie jemand Superschlankes sagt, sie leide so unter ihren krisseligen Locken, dann denke ich immer: ‹Dann geh doch zur Diskriminierungsmeisterschaft!›», meint Lisa, als ich mit ihr darüber rede.

«Ich will niemandem sein Körpergefühl wegnehmen», erklärt sie, «aber ich will, dass die ganzen ‹Dünnen› endlich mal sehen, wie selbstverständlich sie sich als Norm wahrnehmen. Und wie ich mich fühle, wenn sie mich wie einen Menschen zweiter Klasse behandeln. Auch wenn es nicht böse gemeint ist.»

#thinprivilege – In welchen Bereichen haben dünnere Menschen noch Vorteile? Oder seht ihr das ganz anders?

Vielfältiges Körperbild – von wegen!

Video: srf/SDA SRF
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143 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Matrixx
27.07.2018 11:07registriert März 2015
Genau, ich als dünner Mensch geniesse es unheimlich, stets als Lauch bezeichnet zu werden und in "Kraftakten" eher zweite Wahl zu sein, weil man dickeren Menschen mehr Kraft zuschreibt.
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henkos
27.07.2018 11:17registriert August 2016
Mal abgesehen von ein paar Glücklichen, die einfach über einen vorteilhaften Stoffwechsel verfügen, erfordert Schlankheit eine gewisse Disziplin. Vielleicht wirkt sich diese Diszipliniertheit auch auf die Arbeitsweise aus. Ich würde eher vermuten, dass das der Grund für ein höheres Einkommen ist als der blosse BMI.
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Hänsel die Gretel
27.07.2018 11:17registriert März 2017
Jeder kann dünn sein mit einem kleinen und einfachen Trick: Verbrenne mehr Kalorien als du aufnimmst. Simple as that!
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