Er sieht aus wie ein sehr verlebter Rockstar. Seine Haare sind halblang, etwas fettig, seine Bermudas trägt er tief. Die schwarz-weiss-karierte Boxershorts schaut sehr raus. Sein Trägershirt ist weiss. Um den Hals trägt er eine Kette mit einem Schlüssel als Anhänger.
Er ist ca. 40. Vielleicht auch 32. Oder 50. Schwer zu sagen. Er sitzt jedenfalls hinter der Bühne, trinkt ein Bier und raucht eine Zigi. Wir befinden uns am Zürich Openair. Das ist der Ort, wo ich letztes Jahr beim Sex mit Suff-SMS-Sandro erwischt wurde. Und Todesängste ausstand.
Man könnte meinen, mir sei das mit dem Sex am Openair vergangen. Haha. Denkste. Ich bin hier gerade hinter der Bühne, weil ein guter Freund von mir für das Festival arbeitet und mir drum einen Backstage-Pass geschenkt hat.
Der verlebte Rockstar jedenfalls ist damit beschäftigt, Sprachnarichten aufzunehmen. Er failt aber ständig. Das ist meine Chance. «May I help you?», frage ich. «Oh Darling, yes, please!», sagt er. Ich glaube ja, dass wir da schon mit dem Sex begonnen hatten.
Wir kommen ins Gespräch. Ich verstehe ihn nicht sehr gut. Er nuschelt. Ich kriege aber mit, dass er Roadie ist. Für wen weiss ich nicht. Er hätte aber auch eine eigene Band. Verstehe den Namen auch nicht. Frage ich auch nicht. Ist doch auch egal. Hauptsache irgendwie ein bisschen Rockstar. Hier und jetzt finde ich das gerade heiss. Oder wie er sagt «hot, Baby, very hot!»
Es ist schon spät. Er will sich noch ein bisschen unters Volk mischen. Ich mach mit. Irgendwann fällt mir auf, dass ich keine Ahnung habe, wie er heisst. Und auch er fragt nicht nach meinem Namen. Dafür tanzen wir jetzt in der ersten Reihe zum Sound irgendeines DJs, der irgendwas auflegt, das mich normalerweise in die Flucht schlagen würde.
Es ist kurz nach 2 Uhr, als mich der Heisshunger packt. Der Roadie plädiert für das Backstage-Buffet. Also verziehen wir uns. Während ich mir einen fetten Nach-Mitternachtssnack gönne, raucht er und nippt am wahrscheinlich sechsten Whiskey.
Wir reden über dies und das. Über was ganz konkret weiss ich nicht. Sein Nuscheln ist schwierig. Sein Akzent auch. Von mir aus können wir das Labbern jetzt sowieso sein lassen und rummachen.
Bloss: Der Roadie macht null Avancen. Dafür will er wissen, ob ich «some weed» habe. Habe ich nicht. Biete ihm alternativ aber mich selber an. Er lacht sehr. Zu Recht. Vielleicht war das soeben meine lächerlichste Aktion, seit ich sexuell aktiv bin.
Ich setze mich neben ihn auf ein abgeranztes Sofa. Jetzt geht's dafür enorm schnell. Kuss hier, da Hand unter dem T-Shirt, Jeans abgestreift. Der Roadie, ein Profi. So selbstbewusst wurde ich schon lange nicht mehr angefasst. Und auch als er mich über so einen Sofasessel bückt, wird er – zum Glück – nicht sanfter.
Der Roadie spreizt meine Beine, mit einer Hand fingert er mich, mit der anderen reisst er mir ein Büscheli Haar aus. «Oh, sorry, Darling», sagt er. Ich gebe ihm zu verstehen, dass alles super ist, wie es ist. Wir machen noch ein paar Minuten rum, als ich so scharf auf diesen Dude bin, dass ich nur noch vögeln will.
Wir lassen kurz voneinander ab, er nimmt einen Schluck Whiskey, zündet eine Zigi an, greift in eine dunkelgrüne Ledertasche und nimmt ein neongelbes Kondom hervor, das im Dunklen leuchtet.
Der dunkle Backstage-Bereich, seine Erektion und das leuchtende Kondom… es ist einer der besten Anblicke meines Lebens. Es huschen immer wieder Leute durch, die wir zwar sehen, sie uns aber glaubs/hoffentlich nicht.
Der Sex selber dauert nicht ewig. Für einmal bin es sogar ich, die vor dem Mann kommt. Findet er super und legt ziemlich rasch nach. Obwohl hier alles ziemlich unbequem und ziemlich offen ist, legen wir uns nackt auf das abgefuckte Sofa, wo wir noch eine Zigi rauchen.
«What's your name, roadie?», frage ich. Er lacht und sagt: «You may call me whatever you wish.» Ich entscheide mich für Jack.
Er sei in nächster Zeit wieder mal in der Schweiz. Ob ich seine Nummer will, dann könne ich ihm schreiben. Ich speichere ihn unter «Roadie Jack» ab. Dann begleitet er mich zu meinem Velo und wir verabschieden uns.
Ein paar Tage später will ich ihm einen Youtube-Link schicken. Die Nachricht kommt nicht an. Auch 24 Stunden später hängt der Link irgendwo im Nirgendwo. Aus Neugier rufe ich die Nummer an. Und erfahre, dass sie nicht vergeben ist.
Haha.
Ich wurde also ganz klar ausgenutzt.
Nach 20 Jahren «American Pie» verstehe ich nun endlich, warum sich Jim so gut gefühlt hat, als er nach seinem One Night Stand mit Michelle alleine erwachte.
(Es ist wirklich grandios/lustig!)
Es ist sogar so grandios/lustig, dass ich nun von einem Leben als Musikerin träume. Den ersten Schritt habe ich schon gemacht, indem ich mir dieses Buch gekauft habe:
Adieu,