Der deutsche Produzent Butterbro (bürgerlich Josua Waghubinger) hat etwas zum ersten Mal erreicht, was wohl bald Alltag sein wird: Sein von Künstlicher Intelligenz generierter Song hat es in die deutschen Singlecharts geschafft. «Verknallt in einen Talahon» stieg am 9. August in die Charts ein und erreichte Rang 48 – exakt zwischen «Texas Hold'em» von Beyoncé (47) und «Cruel Summer» von Taylor Swift (49).
Butterbro macht kein Geheimnis daraus, dass Stimme und Musik seines Hits von einer KI stammen – der Song läuft unter dem Künstlernamen «Butterbro feat. Udio.com». Udio ist ein Start-up, dessen mit Musikdaten trainiertes KI-Modell Songs nach Vorgaben und Beschreibungen der Nutzer generiert. Künstler und Musikindustrie gleichermassen sehen dies übrigens nicht gern; sie fürchten um ihr Geschäftsmodell. Unlängst haben drei grosse Labels – Universal Music Group, Sony Music Entertainment und Warner Music Group – Udio und ein weiteres Start-up wegen Urheberrechtsverletzung verklagt.
Dennoch ist es nicht in erster Linie die KI-generierte Musik, die dem Butterbro-Song viel Aufmerksamkeit verschafft hat. Die klingt wie ein flotter Schlager aus den 70er-Jahren, mit Streichern und allem Drum und Dran – nicht unbedingt ein Genre, das man gleich mit KI in Verbindung bringen würde. Weitaus umstrittener ist der Text, der von Butterbro selber stammt: Es geht um eine Frau, die ihre Liebe zu einem «Talahon» besingt.
Talahon ist ein Begriff aus der Jugendsprache, der vermutlich aus der arabischen Wendung taeal huna («komm her») abgeleitet ist und durch einen TikTok-Trend populär wurde. Er ist aktuell als Jugendwort für das Jahr 2024 im Rennen und bezeichnet einen jungen Mann, meist mit Migrationshintergrund, der einen bestimmten Kleidungsstil trägt, Kampfsport mag und mit frauenfeindlichem, gewaltaffinem Verhalten negativ auffällt. Solche Klischees greift der Text auf, etwa wenn die weibliche KI-Stimme im Refrain schwärmt:
Mittlerweile ist Talahon – ursprünglich eine Selbstbezeichnung – ein kontroverser Begriff geworden, auch weil er vornehmlich rechten und rechtsextremen Kreisen als Kampfbegriff zur Abwertung dieser Jugendlichen dient. Damit ist er gewissermassen kontaminiert.
Butterbro will den Song, der vor seinem Chart-Einstieg wochenlang auf Social-Media-Plattformen kursierte, nur zum Spass für seine Social-Media-Community geschrieben haben, wie er in einem TikTok-Video erklärt. Tatsächlich wirkt der Kontrast zwischen Retro-Schlager und heutiger Jugendsprache durchaus witzig und dürfte zum Charterfolg beigetragen haben.
@butterbroofficial Antwort auf @cBoX ♬ Verknallt in einen Talahon - Butterbro
Doch das mit dem Humor ist so eine Sache. Der Musikexperte Will Simpson mahnt in einem Beitrag auf musicradar.com, es handle sich im Wesentlichen um Humor, der nach unten ziele. Die Website detektor.fm spricht selbst von Rassismus im Schlagergewand. Der Text bediene «fremdenfeindliche Klischees» und reihe «jede Menge fremdenfeindliche Vorurteile aneinander, die in unserer Gesellschaft eh schon über migrantisch gelesene Menschen kursieren». Und Felicia Aghaye weist auf diffus.de darauf hin, dass der Song unter anderem mit dem Satz «Von Chayas empfohlen» beworben werde. Dies sei ein weiteres Jugendwort, das zum Teil auch zur Degradierung von Frauen diene.
Marie-Louise Goldmann findet dagegen im Feuilleton von welt.de eher lobende Worte für Butterbros Talahon-Song: «Die einst als halb-ironische Selbstzuschreibung in die Welt gesetzte Talahon-Figur wird von Butterbro also um weitere Verfremdungseffekte ergänzt. Allein die Vermengung migrantischer Jugendkultur mit dem deutschen Schlagerkonservatismus dürfte ebenso viele Zuhörer begeistern wie verärgern.»
Damit dürfte Goldmann Recht behalten: Der Song begeistert und verärgert tatsächlich viele Zuhörer. Humor ist eben politisch. Vergessen geht dabei allerdings, dass die durch die Talahon-Kontroverse in den Hintergrund gerückte Tatsache, dass es sich um den ersten KI-generierten Chart-Hit handelt, eigentlich für die Zukunft bedeutungsvoller sein dürfte. Die Antwort auf die Frage, ob solche Musik Urheberrechte verletzt oder nicht, wird enorme Auswirkungen haben. Mit den Folgen werden wir noch konfrontiert sein, wenn der Begriff Talahon längst wieder in der Versenkung verschwunden ist.
Gemeint sind junge Moslems. Aber man kanns natürlich auch kompliziert umschreiben, weil man das heute ja nicht mehr so sagen darf 😆
Taeal huna, das der Artikel erwähnt, ist Hocharabisch. Das sprechen Talahons aber, zumindest im Alltag, kaum ;)