«Was ist eigentlich Angostura?»
«Baroni, könntest du uns mal Bitters erklären?»
Geht klar! Denn du hast nun bestimmt wertvolle Regalfläche frei gemacht, um Platz für die heiligste aller Haushaltserweiterungen zu schaffen: die Hausbar. Und jetzt gibt es Gläser zu kaufen, Werkzeuge zu meistern, Brände zu degustieren und dergleichen.
Zum Inventar jeder noch so einfachen Hausbar gehören zwingend auch Cocktailbitter. Sie sind gar entscheidend, denn nach der historischen Definition ist ein Cocktail erst ein Cocktail, wenn er bitters enthält.
Laut der Zeitschrift «The Farmers Cabinet» aus dem Jahr 1803, worin sich die schriftliche Verwendung des Begriffs befindet, muss ein «Cock-Tail» aus vier Zutaten bestehen: Spirituosen, Zucker, Wasser und Bitters.
Als absolutes Minimum benötigst du Angostura. Ideal wäre noch Peychaud's dazu. Für die Ambitionierteren unter euch sind die Möglichkeiten darüber endlos, doch rein von der Gebrauchswahrscheinlichkeit her darf man sagen: Orange Bitters und eventuell noch Celery Bitters ... und wer hier noch mehr Auswahl benötigt, ist schlicht ein Freak and should maybe get a life.
Aber erst mal etwas Hintergrund:
Cocktailbitter, also, das sind Würztinkturen mit diversen Aromakompositionen, die einen Alkoholgehalt um die 45% haben. Da sie einen sehr konzentrierten, intensiven Geschmack haben, werden sie in der Regel nur tropfenweise oder als Dash (Spritzer) verwendet.
Bitters gibt es seit dem frühen 19. Jahrhundert, wo sie öfters als vermeintliche Wundermittel gegen allerlei Leiden empfohlen wurden: Malaria, Sodbrennen, Impotenz. Ähnlich wie Chinin-Getränke verschrieb man Soldaten Tagesrationen davon – etwa gegen «die tödlichen Krankheiten der südlichen Sümpfe und der giftigen Tendenz der unreinen Flüsse und Buchten», wie es in der Begründung der Nordstaatenarmee während des amerikanischen Bürgerkriegs hiess. Doch parallel dazu fanden sie Verwendung als Würztinkturen in der damals aufkommenden Cocktail-Kultur.
Exemplarisches Beispiel ist hier der wohl bekannteste Cocktailbitter:
Anfangs des 19. Jahrhunderts hatte der deutsche Arzt Johann Gottlieb Benjamin Siegert für den südamerikanischen Freiheitskämpfer Simón Bolívar ein Lazarett in der damaligen venezolanischen Stadt Angostura (heute Ciudad Bolívar) eingerichtet. Sein 1824 entwickeltes Tonikum wurde als Medizin gegen die dort herrschenden Tropenkrankheiten entwickelt, machte aber schnell einmal als Würzmittel Karriere.
Zurück zu der Hausbar: Angostura ist also das allernötigste aller Cocktailbitter und gehört zwingend zum Inventar. Etliche Cocktail-Klassiker verlangen explizit danach. Etwa:
Ach übrigens:
Ebenfalls auf Enzian basierend sind Peychaud’s Bitters, die zur Kategorie der Creole Bitters gehören. Diese wurden 1830 vom aus Saint-Domingue (heute Haiti) stammenden kreolischen Apotheker Amédée Peychaud in New Orleans entwickelt, weshalb sie in etlichen klassischen Südstaaten-Cocktails Verwendung finden. Etwa:
Im Vergleich zu Angostura hat er einen leichteren Körper und schmeckt etwas süsser und blumiger.
Und als dritte wichtige Bitters-Sorte sei noch Orange Bitters erwähnt, von der es keine dominierende Marke gibt.
Diese Cocktailbitter bestehen aus Extrakten von Orangenschalen und – je nach Rezeptur – weiteren Zitrusfrüchten. Zusammensetzung und Geschmack unterscheiden sich allerdings deutlich je nach Hersteller. Orange Bitters verwendet man etwa für den Almond Old Fashioned oder Varianten vom Dry Martini Cocktail, dem Tuxedo, zum Beispiel.
Lange war der seit 1951 produzierte West Indian Orange Bitter der 1863 gegründeten Firma Fee Brothers aus Rochester New York der gängige Orangenbitter und neben Angostura und Peychaud's auch der einzige überhaupt verwendete Bitter in vielen Bars. Ende der 1990er Jahre begannen sich Barkeeper für klassische und in Vergessenheit geratene Cocktailrezepte aus dem 19. Jahrhundert zu interessieren, darunter auch alte Rezepturen für Bitters. Gary und Mardee Regan, Autoren etlicher Bücher über Cocktails und Spirituosen, begannen mit eigenen Experimenten, die auf einer Rezeptur des Buches «The Gentleman's Companion» von Charles H. Baker Jr. aus dem Jahre 1939 basierten. Erwähnenswert ist auch die Manufaktur The Bitter Truth aus München, die seit Mitte der Nuller-Jahre einen beliebten Orangenbitter herstellt.
Meine Freundin pflegt es, krugweise erfrischende Sommerdrinks zu machen aus Wasser, Limetten- oder Zitronensaft, ein wenig Zuckersirup oder Rose's Lime Cordial und einen grosszügigen Schuss Bitters. Mit viel Eis schmeckt dies hervorragend. Aber bereits einen Schuss Angostura in deinem Mineralwasser gibt dem Getränk eine diskrete Geschmacksnote, die superfein ist. Und, wer weiss, vielleicht beugt es gegen Malaria, Sodbrennen und Co. vor. 😉