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Diese 5 ikonischen Auftritte veränderten den ESC für immer

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5 ikonische Auftritte, die den Eurovision Song Contest für immer veränderten

16.05.2025, 11:0516.05.2025, 14:35
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Gerne wird die grösste Musikshow der Welt als kitschiges Trashfest abgetan, das nur in Osteuropa ernst genommen wird. Dabei geht vergessen, dass der Eurovision Song Contest immer wieder eine internationale Schaubühne für innovative Veränderungen war, ein wichtiger Gradmesser der Populärkultur. Hier kommen fünf Auftritte, die das Wesen des ESC nachhaltig veränderten:

1965: Platz da – hier kommen die Kids!

Songwriter Serge Gainsbourg war Mitte der Sechzigerjahre bereits eine feste Grösse in der französischen Chanson-Szene. Sein internationaler Durchbruch wurde aber erst mit der Teilnahme am ESC möglich – und nur dank der ikonischen France Gall, mit der er für Luxemburg antrat.

FRANCE - FEBRUARY 25: France GALL and Serge GAINSBOURG on a reception in a Parisian great restaurant. The party was given on the winning of the Eurovision prize by France GALL with a GAINSBOURG's ...
Serge Gainsbourg und France Gall – die Jugend rollt das Feld von hinten auf.Bild: Gamma-Keystone

Die damals 17-jährige Popsängerin hatte dem Songwriter mit «Laisse Tomber Les Filles» bereits einen nationalen Hit in Frankreich beschert. Für den Song Contest aber wagte Gainsbourg einen grösseren, ehrgeizigeren Wurf mit einer aufwendigen, sorgfältig konstruierten Komposition, deren üppiges Streicher-Arrangement vom 4. Satz von Beethovens «Klaviersonate Nr. 1» inspiriert war. Mit «Poupée de cire, poupée de son» wurde die perfekte Verbindung von U- und E-Musik geschaffen: kompositorisch und klanglich komplex – und nichtsdestotrotz ein fluffiger Popsong. Die Lyrics sind voller Doppeldeutigkeiten und Anspielungen. Witzig und selbstreferenziell, dass es an Selbstparodie grenzt. Eine Metapher nicht nur für die Beziehung zwischen Gall und Gainsbourg (die Sängerin als Marionette, ein blosses Vehikel für die Vision des Komponisten), sondern für den Status quo des Pop im Allgemeinen.

Der Auftritt in Neapel

Für Eurovision war dies alles Neuland. Bis dahin war der Wettbewerb von Balladen und traditionelleren Chanson-Beiträgen dominiert worden. Auch am 1965er-Contest. Luxemburgs Beitrag stellte eine Anomalie dar. Doch urplötzlich hatte diese knallige, jugendliche Nummer alle gängigen Weisheiten über den Haufen geworfen. Die Popmusik hielt offiziell Einzug am Song Contest. In dieser einen Nacht in Neapel wurde der Wettbewerb von spiessig auf hip umgestellt, und der Sieg von France Gall brachte Teenager und Jugendliche in die Show, die fortan die Art von Songs definieren würden, die nicht nur am Contest teilnehmen, sondern auch die Charts anführen sollten.

Gleich geht es weiter mit ikonischen ESC-Auftritten, zuerst aber eine kurze Werbeunterbrechung:

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1974: ESC goes global

Der Song Contest 1974 war wie keiner zuvor im Vorfeld von Problemen geplagt. Vorjahressieger Luxemburg lehnte es kurzfristig ab, Gastgeber zu sein, weil die finanziellen Mittel des Staatssenders urplötzlich nicht ausreichten, was zu einer überstürzten Verlegung nach Brighton, England, führte. Italien weigerte sich daraufhin, die Liveshow zu senden, weil es Bedenken wegen des Songs «Sì» am Vorabend der heiklen Abstimmung zur Scheidungsreform hatte. Dann starb der französische Präsident, und die Überschneidung mit dem Termin seiner Beerdigung führte dazu, dass Frankreich in letzter Minute zurücktrat.

ABBA vor dem Royal Pavilion in Brighton, am Tag des ESC-Finals 1974.
ABBA vor dem Royal Pavilion in Brighton am Morgen des ESC-Finals 1974.Bild: Eurovision

Derweil – in Schweden – war für ABBA der Weg zur Eurovision ebenfalls von Schwierigkeiten geplagt gewesen. 1973 scheiterten sie noch an den nationalen Vorentscheidungen. 1974 klappte es dann, und obwohl die Buchmacher anfänglich tatsächlich ihren Song «Waterloo» favorisierten, sanken die Quoten von Tag zu Tag, je näher der Finaltermin rückte. Am Tag selbst, dem 6. April, schien es, als würden Grossbritannien oder die Niederlande gewinnen. Doch dann kam ABBAs Auftritt. And the rest, they say, is history.

Der Auftritt in Brighton

Für ABBA wie auch für Eurovision gibt es eine Vor-«Waterloo»-Ära und eine Nach-«Waterloo»-Ära. Der Auftritt markierte einen spürbaren Wandel in der musikalischen und kulturellen Landschaft des Wettbewerbs. Während France Galls «Poupée de cire» den ESC erstmals für moderne Popklänge öffnete, wurde das ähnlich popmusikalisch ausgerichtete «Waterloo» zum ersten waschechten Welthit für Eurovision. Dies war zweifelsohne unter anderem damit begründet, dass der Song in Englisch gesungen war – ein Umstand, der eben erst durch eine Regeländerung möglich wurde, die nicht mehr vorschrieb, dass Lieder in der jeweiligen Landessprache des Teilnehmers vorgetragen werden mussten. Dieser Sieg katapultierte ABBA zum Weltruhm und verwandelte einen europäischen Gesangswettbewerb urplötzlich in ein globales Phänomen.

1998: Dana International – der ESC ist jetzt ein queeres Weltereignis

Bereits 1961 gewann der schwule französische Sänger, Schauspieler und Kostümdesigner Jean-Claude Pascal den ESC für Luxemburg. In «Nous les amoureux» besang er eine bedrohte, gefährdete Liebe – erst später gestand er, dass er damit explizit eine Liebe zwischen zwei Männern gemeint hatte, für das Publikum von 1961 war seine Chanson einfach eine weitere Romeo-und-Julia-Geschichte. 1997 siegte Grossbritannien mit Katrina and the Waves, dem Friedenslied «Love Shine a Light» – und der lesbischen Frontfrau Katrina Elizabeth Leskanich.

Doch erst 1998 war die wahre und offenherzige Geburtsstunde des ESC als queeres Weltevent: Israel schickte mit Dana International und «Diva» eine trans Frau in den Wettbewerb, die erste und bis heute einzige trans Person am ESC.

Der Auftritt in Birmingham

Dana International (bürgerlich heisst sie Sharon Cohen) stammte aus einem sehr einfachen Elternhaus und der ESC war der jährliche Höhepunkt in ihrem Leben. Sie liebte die überbordende Theatralik des Wettbewerbs, genau diese Art von Showbiz war ihre Vorstellung vom Paradies. Mit 13 wusste sie, dass sie eine Frau sein wollte; mit 18 begann sie eine erfolgreiche Karriere als Dragqueen; 1993, mit 24, unterzog sie sich in London einer Geschlechtsangleichung.

Ihre Nominierung für den ESC in Birmingham führte unter der ultraorthodox-jüdischen Bevölkerung Israels zu grossen Protesten, und mehrere Länder drohten damit, ihren Auftritt nicht zu übertragen. Doch Dana liess sich nicht einschüchtern, sie kam, sang und siegte mit dem selbstreferenziellen Hit «Diva». Mit einem Sieg hatte sie nicht gerechnet, «die Stimmung in Israel war damals derart angespannt», sagte sie 2018 im «Guardian», «mein einziges Ziel war, mich nicht zu blamieren».

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Diese wundervolle Federstola zog sich Dana bei ihrem Auftritt als Siegerin an.Bild: www.imago-images.de

Ihren israelischen Kritikern sagte sie: «Mein Sieg beweist, dass Gott auf meiner Seite ist. Ich möchte meinen Kritikern eine Botschaft der Vergebung senden und ihnen sagen: Versucht, mich und die Art von Leben, die ich führe, zu akzeptieren. Ich bin, was ich bin, und das bedeutet nicht, dass ich nicht an Gott glaube, und ich bin Teil des jüdischen Volkes.»

Aus der Künstlerin, die wenige Jahre zuvor vom israelischen Radio und Fernsehen ignoriert worden war, weil sie jugendverderbende Botschaften verbreitet habe, war über Nacht das Postergirl eines neuen, queer-freundlichen Israels geworden.

2006: Lordi, was für ein Mordsspass!

Als im Vorfeld bekannt wurde, mit welchem überdrehten Act Finnland 2006 antreten würde, schienen sich die gesamteuropäischen Pressestellen gegenseitig mit sensationslüsternen Schlagzeilen übertrumpfen zu wollen. Finnland trete mit einer DEATH-METAL-BAND an, hiess es (worauf echte Death-Metal-Fans sich im Grabe umdrehten). SATANISTEN seien das (worauf True-Norwegian-Black-Metal-Fans bereits die Messer wetzten). Doch alsbald merkten alle: Lordi war weder satanistisch noch Death Metal (und vielleicht gar nicht einmal Metal), sondern vor allem eines: ein Heidenspass.

FILE - Finnish group Lordi celebrate after their victory in the Eurovision Song Contest at the Indoor Olympic stadium in Athens, Greece, May 21, 2006. The 68th Eurovision Song Contest is taking place  ...
Wo bleibt der Ernst? Die Monster haben ihn gefressen.Bild: keystone

Nicht, dass dies dem Eurovision-Establishment in irgendeiner Art in den Kram gepasst hätte. Ein Künstler, der sich so unverhohlen weigert, sich selbst ernst zu nehmen, untergräbt die Legitimität des Wettbewerbs-Charakters der Veranstaltung. Doch allen Unkenrufen zum Trotz: Das Publikum liebte das Horrorfilm-Fasnachts-Gaudi von «Hard Rock Hallelujah» und hievte die Finnen auf das Siegerpodest.

Der Auftritt in Athen

Gewiss gab es Humoristisches am ESC bereits vor Lordi. Stefan Raab versuchte einen ironischen Ansatz 1998 mit Guildo Horn – und zwei Jahre später selbstreferenziell mit «Wadde hadde dudde da». Und wenn wir ehrlich sind, war schon Dschinghis Khan anno 1979 ein ziemlicher Brüller, wenn auch vermutlich unfreiwillig. Doch es war der völlig überdrehte Auftritt der Finnen 2006, der das Tor für die zahllosen Fun-Acts aufstiess, die bis heute eine der wichtigsten Grundfesten einer gelungenen Eurovision sind. Seit Lordi darf jeder und jede Eurovision feiern – eben auch ironisch. Hey, heuer ist Schwedens Spass-Song gar der Favorit! Tack så mycket, Lordi!

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2014: Die Noblesse der Conchita Wurst

Dreimal war Udo Jürgens für Österreich am ESC angetreten, nämlich 1964, 1965 und 1966, zuerst wurde er Sechster, dann Vierter und schliesslich Erster. Mit «Merci Chérie». Das war's. Ganze 48 Jahre lang war's still um Österreich. Bis 2014 Sisi aus der Gruft stieg. Nein, bis Conchita Wurst am Horizont aufleuchtete, natürlich. Conchita heisst bürgerlich Tom Neuwirth, ist eine in allem formvollendete Kunstfigur, eine klassische Dragqueen, doch eine mit Bart und damit eine Verneigung vor den bärtigen Damen früher Jahrmarkt-Freakshows.

Conchita-Tom ist ein geradezu traumhaftes Gesamtpaket: schön, gebildet, ihr politisches Engagement verpackt sie in diplomatischer Eleganz, sie ist stimmgewaltig, einnehmend und doch irritierend, eine anregende, aufregende Existenz. Doch sie ist keine ESC-Favoritin. Und auch in Österreich schlägt ihr ESC-Song «Rise Like a Phoenix» nur kleine Wellen, keine österreichische Plattenfirma will ihn veröffentlichen, der ORF bleibt darauf sitzen und produziert die Single selbst.

Der Auftritt in Kopenhagen

Doch dann, am 8. Mai 2014, erstrahlt Conchita Wurst im zweiten Halbfinale von Kopenhagen und schiesst sofort auf den ersten Platz aller Final-Wetten. Was für eine Entertainerin! Was für eine Performance! Was für ein Song! «Rise Like a Phoenix» beschreibt die Transformation, die Verwandlung eines unglücklichen Menschen in einen glücklichen, eine Selbstfindung, der Text ist einigermassen abstrakt, das nicht gerade alltägliche Wort «retribution» (Vergeltungsmassnahme) kommt drin vor, die Musik ist episch, orchestral, eine reine Bond-Titel-Ballade, die Stimme erhaben. Alle erschauern.

Und alle sind plötzlich verzaubert: die LGBTQ-Community sowieso, aber auch die Hausfrau aus dem Aargau, ja selbst konservative Politiker. Weil Conchita so viel mehr ist als nur ihr Auftritt, weil sie als Persönlichkeit umwerfend ist und so viel Würde ausstrahlt. Sie ist das Nobelste, was der ESC jemals gesehen hat. Und weil ihre Geschichte ein Märchen sein könnte. Ein Märchen, dessen Heldin alles und alle grosszügig umarmt und nichts verleugnet.

PARIS, FRANCE - JULY 09: Conchita Wurst walks the runway during the Jean Paul Gaultier show as part of Paris Fashion Week - Haute Couture Fall/Winter 2014-2015 at 325 Rue Saint Martin on July 9, 2014  ...
Conchita auf dem Laufsteg von Jean-Paul Gaultier in Paris.Bild: Getty Images Europe

«Mein Leben ist ein Musical, sage ich oft. Nicht nur, weil es begann, wie Musicals gerne beginnen, nämlich in der Provinz.» Dies sind die ersten Sätze von Conchitas Autobiografie.

Aufgewachsen ist Tom Neuwirth im Salzkammergut, die Eltern führten dort ein währschaftes Restaurant, und während unten die Stammtischler lustig sind, übt Tom im Dachstock Gesang oder spielt mit alten Hochzeitskleidern. Die Jugend auf dem Dorf ist ultrahart, später besucht er die Modeschule in Graz und schneidert Hochzeitskleider für die Dorfschönheiten. Und er singt. Macht mit bei «Starmania» und erfindet sich Nacht für Nacht in der Wiener Subkultur als Conchita neu. Nach dem ESC arbeitet sie als Model in Paris für Jean-Paul Gaultier.

Conchita und JJ im Duett

Und heute? Lebt die Kunstfigur Conchita immer noch. Unterstützt den österreichischen ESC-Teilnehmer JJ. Und hat gerade ihr Schauspiel-Debüt absolviert: An der Seite von Isabelle Huppert, Birgit Minichmayr und Lars Eidinger spielt sie in Ulrike Ottingers neuem (Vampir-)Film «Die Blutgräfin». Das Drehbuch stammt von Elfriede Jelinek, der Film befindet sich gerade in der Postproduktion.

conchita und isabelle huppert in «die blutgräfin»
Conchita (links) mit Isabelle Huppert.Bild: magnify

Tom Neuwirth hat als Conchita alles erobert, was es zu erobern gibt: Die Subkultur-Szene, das TV-Massenpublikum und jetzt auch noch die Sonderklasse der Hochkultur. Ein Märchen eben.

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