Zum Schwelgen! Nemo als Kind, als Rapstar, als Mensch auf dem Weg zu sich selbst und zum ESC-Darling.
2018 beginnt Nemo seinen Instagram-Account mit diesem Bild von sich als «Chlinegangster». Leider wird nicht verraten, wie alt das kleine Gangsterkind aus Biel auf dem Foto ist.
Anfang November 2012 befindet sich das Theater 11 in Oerlikon massiv im Udo-Jürgens-Rausch. Das Musical «Ich war noch niemals in New York» mit allen Jürgens-Hits für Menschen bis und über 66 Jahren läuft hier ganze drei Monate lang. Mittendrin: Nemo, 13, auf der Bühne ein Knirps mit Sonnenbrille und Dächlikappe – modisch definitiv der einzige Gangster dieser sahnetortigen Produktion. Dass ausgerechnet Nemo «Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an» schmettert, verzückt das Publikum komplett. Nemos Ziel ist damals ganz klar «der Broadway».
«I bi de Nemo, füfzähni», sagt Nemo, und Christa Rigozzi fragt: «Wi de Fisch?» Worauf Nemo erklärt, «Nemo heisst Niemer uf Latinisch» und dass ein Niemand die Chance habe, alles zu werden. Es ist das erste Mal, dass Nemo in der Öffentlichkeit den Namen erklärt. Christa Rigozzi fragt nach dem grossen Lebenstraum, «einisch chönne vo Musig z'läbe», genauer «räppä», sagt Nemo. Und entwaffnet alle.
Man beachte das erste selige Fangrinsen von Sven Epiney. Und wie Rigozzi und DJ Bobo Oberkörper-Ausdruckstanz machen.
Nemo tritt am Virus Bounce Cypher auf und mäht alle nieder. «Alle» sind dabei ausschliesslich Männer, darunter Greis, Leduc, Manillio. Und Nemo, weit kleiner, jünger und zarter als die anderen, wird mit 16 Jahren zum «Cypher King» (SRF), zum grössten Grossmaul der Rap-Szene.
Nach 2016 ist Nemo etabliert. 2017 macht «Niemand» so gut wie alles. Gewinnt mit 17 den ersten Swiss Music Award in der Kategorie «SRF3 Best Talent» – Baschi schaffte seinen ersten Pflasterstein erst mit 37. Tritt erneut am Virus Bounce Cypher auf. SRF hat Nemo jetzt definitiv als SRF-Talentgeburt gepachtet, Nemo nimmt an der musikalischen Blind-Date-Show «Songmates» teil, macht mit bei der SRF-Spenden-Aktion «Jeder Rappen zählt». Und Nemo beginnt mit den grossen Openairs, Heitere in Zofingen, Frauenfeld ...
Gleich vier Swiss Music Awards gibts 2018: «Best Male Solo Act», «Best Breaking Act», «Best Live Act» und «Best Hit». So viel kriegte vor Nemo noch ... niemand! Und etwas später gibts auch noch einen (übrigens von Rolf Knie designten, bitte erinnert euch an Polo Hofers Bonmot: «Lieber vom Leben gezeichnet als von Rolf Knie gemalt!») Prix Walo als «Newcomer».
Als Kind hat Nemo Oper und Musical gesungen. Als Teenie Rap. Jetzt, im Jungerwachsenenalter, experimentiert Nemo. «Auch auf Englisch sang Nemo, entdeckte die Kopfstimme, schrieb Indiesongs, Jazzsongs, Popsongs. Aber niemand hörte mehr zu», beschreibt das «Magazin» am ESC-Finaltag die musikalische Durststrecke jener Zeit. Aber vielleicht war genau sie für den Weg zu «The Code» wichtig?
Nemo lebt jetzt in Berlin und da ist die Freiheit grösser als in Biel. Nemo singt jetzt «Certified Pop Queen» und kleidet sich entsprechend, auch Fingernägel sind jetzt ein Thema.
Nemo zieht für ein halbes Jahr nach Los Angeles und unterzieht seine Locken einer dramatischen Streckkur. Das Resultat: dramatisch. Genauer: tragisch. Nemo, wir stellen herzlich wenig an dir, ja eigentlich überhaupt gar nichts in Frage, aber das? Wieso???
Am 11. November 2023 schreibt Nemo in einem längeren Post auf Instagram über die Veröffentlichung seiner neuen Single «This Body» und über sich selbst dies:
«Dieser Song hat eine besondere Bedeutung für mich, da ich ihn in einer Zeit geschrieben habe, in der es sehr schwierig war. Es geht darum, dass man sich im eigenen Körper nicht zu Hause fühlt und mit verinnerlichter Scham über die Geschlechtsidentität umgeht.
Ich habe mich nicht öffentlich dazu geäussert, aber einige von euch wissen es bereits:
Ich identifiziere mich weder als Mann noch als Frau.
Ich bin einfach Nemo.
Ich stelle mir das Geschlecht gerne als eine Galaxie vor, in der ich mich selbst als kleinen Stern sehe, der irgendwo darin schwebt.
Dort fühle ich mich am meisten wie ich selbst.
Als ich erwachsen wurde, begann ich zu spüren, dass etwas an mir anders war. Die Art und Weise, wie die meisten Menschen mich wahrnahmen, stimmte nicht mit meinem wahren Selbst überein.
Dank der Stimmen und Geschichten anderer genderqueerer Menschen begann ich, meine eigenen Puzzleteile zusammenzusetzen, und erkannte, dass es einen Platz für mich jenseits des binären Systems gibt.
Das war die befreiendste Erfahrung in meinem Leben.
Ich bin denen SO dankbar, die mir den Weg zu meinem wahren Selbst geebnet haben, und ich bin SO dankbar für all die Gespräche, die ich in den letzten drei Jahren mit erstaunlichen Menschen geführt habe; ihr habt eine entscheidende Rolle dabei gespielt, mir zu helfen, die Worte zu finden, um auszudrücken, was ich innerlich fühle. (Ihr wisst alle, wer ihr seid ❤️)
Dies ist nur ein Schritt auf einer langen Reise, und ich habe noch viel über mich selbst zu entdecken und zu lernen. Ich würde euch alle gerne mit auf diesen Weg nehmen.
Ich würde mich freuen, wenn ihr mich so sehen würdet, wie ich mich selbst sehe.»
Ende Februar 2024 verkündet SRF, dass Nemo mit «The Code» nach Malmö an den ESC geschickt wird. Ab da vergeht kein Tag ohne Nemo-News. Bereits im März singt Nemo in der neuen (natürlich bereits aufgezeichneten) Staffel «Sing meinen Song».
Am 30. März tritt er mit «The Code» in «MusicStar – Die Revival Show» auf, Moderatorin Viola Tami bricht fast zusammen («Was machsch du mit ois!») und beherrscht den non-binären Sprachgebrauch absolut tadellos. Die «MusicStar»-Show ist allerdings aufgezeichnet. Sonst wäre es nämlich gar nicht möglich, dass Nemo ebenfalls am 30. März in Madrid an der grossen ESC-Preparty auf der Bühne steht und live singt. Es ist der Auftritt, der Nemos Favoritenstatus begründet.
Es folgen: Seine Reise per Autostopp nach Malmö (okay, diese Videos sind eher lame geworden, deshalb zeigen wir sie hier nicht), diverse Pressekonferenzen, und schliesslich: Auftritt, Triumph und Heimreise. Als besondere Zugaben hier noch eine wunderschöne Nemofassung des ukrainischen ESC-Beitrags und die symphonische Fassung von «The Code» mit dem Bieler Symphonieorchester und dem nachgeschneiderten Kostüm von Céline Dion aus dem letzten Schweizer ESC-Gewinnerjahr 1988.
Was habe ich mich getäuscht!
Ich gestehe gerne ein, dass ich damals schlicht Quatsch schrieb und der Song hat mich dann auch überrascht und ich finde ihn wirklich grossartig, als Bio-Song, als Song für sich, seine Stimme
Und dann ist Nemo auch einfach wirklich so absolut sympathisch, man muss Nemo einfach lieb haben ☺️🙂🙂
Nemo, du bist wunderbar und ich freue mich auf weitere Musik von dir.