Für Fans von «Inventing Anna» oder «Tinder Schwindler» bringt Netflix die nächste grosse Betrüger-Serie heraus. Diesmal haben die Handlungen der Hauptpersonen aber einen gefährlicheren Effekt auf das Leben ihres Umfelds.
In «Apple Cider Vinegar» spielt Kaitlyn Dever die junge Mutter und Influencerin Belle Gibson. Belle behauptet online, ihren Gehirntumor im Endstadium mit gesunder Ernährung und Saftkuren überlebt zu haben.
Sie findet eine grosse Anhängerschaft, die ihre Lügenmärchen abkauft. Wortwörtlich. Und auch Milla Blake (gespielt von Alycia Debnam-Carey), die tatsächlich an Krebs erkrankt ist und kurz davor steht, ihren Arm amputieren zu müssen, ist auf der Suche nach einer alternativen Behandlungsmethode. Zwischen den Influencerinnen entsteht ein grosser Konkurrenzkampf um Anerkennung und Berühmtheit.
Der Titel der Serie ist eine Anspielung auf Wellness-Gurus, die Apfelessig oft als Allheilmittel anpreisen, obwohl es nicht unbedingt das Allheilmittel von Belle oder Milla war.
Netflix hat sich Belle nicht ausgedacht, die Australierin gibt es wirklich und ihre Story ist im echten Leben genau so verrückt wie in der Serie.
Belle Gibson wurde 2009 auf Social Media berühmt. Mit Instagram ist ihre Bekanntheit explosiv gestiegen. Die damals 20-jährige Australierin behauptete, Krebs im Endstadium bezwungen zu haben. In einem Post erklärte Gibson, dass sie sich zunächst einer Chemotherapie unterzog, die Nebenwirkungen jedoch als lähmend empfand. Sie behauptete, die Ärzte gaben ihr noch «sechs Wochen bis maximal vier Monate» zu leben. Sie weigerte sich, mit der Chemo weiterzumachen, stattdessen sei sie auf alternative, natürliche Heilmittel umgestiegen und habe sich streng und gesund ernährt – und das habe ihren Krebs geheilt.
Die Wahrheit ist: Belle wurde nie mit Krebs diagnostiziert.
Auf dieser Lüge baute sie ein florierendes Unternehmen auf – in nur zwei Jahren generierte sie mit ihrer Marke «The Whole Pantry» Einnahmen von einer halben Million Dollar. Ihren Followern schlug sie Lebensmittel oder Behandlungen vor, die ihnen bei der Heilung helfen könnten. Belle hatte keinerlei Qualifikationen als Ernährungsberaterin und sagte, sie hat sich alles selbst beigebracht.
2014 behauptete Belle zudem, sie habe Krebs in der Gebärmutter, der Milz, der Leber und im Blut.
Dann, 2015, wenige Wochen, bevor ihr Kochbuch auf den Markt kommen sollte, kam die Wahrheit ans Licht. In einem Interview mit «Australian Women's Weekly» sagte Belle: «Ich will keine Vergebung. [...] Ich möchte vor allem, dass die Leute sagen: Okay, sie ist auch nur ein Mensch».
Seit dem Zusammenbruch ihres Imperiums hält sich die Influencerin aus der Öffentlichkeit fern. Im September 2017 ordnete ein Bundesgericht in Melbourne an, dass Belle 410'000 Dollar (ca. 230'000 Franken) an den Bundesstaat Victoria zu zahlen hat – allerdings wurde bis heute nichts von diesem Geld zurückgezahlt. Die Verurteilung kam zustande, weil sie Spendengelder veruntreute.
Berichten zufolge ist seither Belle untergetaucht.
In der Serie wird eine Figur namens Milla vorgestellt. Sie ist an Krebs erkrankt und sagt der Krankheit mit der Verwendung von Lebensmittel den Kampf an. In der Serie inspirierte ihr Blog Belle zur Krebs-Lüge. Die Figur von Milla ist von verschiedenen Wellness-Gurus inspiriert, basiert aber hauptsächlich auf Jess Ainscough, einer Magazin-Redakteurin, die in den sozialen Medien viral ging, weil sie aufzeigte, wie sie ihre Krebserkrankung ohne die herkömmlichen Chemo- und Strahlentherapien in Schach hielt.
Jess folgte der Gerson-Therapie. Diese sagt, man soll 13 Gläser Saft pro Tag trinken. Das sind 9 Liter Saft. Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass diese Therapie gegen Krebs wirkt.
Wie auch in der Serie, waren die beiden nie befreundet, der Konkurrenzkampf wurde allerdings überspitzt dargestellt. Sie kannten sich nie gut, kommentierten lediglich hin und wieder auf den Social-Media-Profilen des jeweils anderen.
In der Serie arbeitet Milla daran, Belle als Betrügerin zu entlarven, das ist allerdings nie so passiert. Es ist nicht bekannt, ob Jess ahnte, dass Belle eine Hochstaplerin ist.
Wie auch in «Apple Cider Vinegar» arbeiteten zwei Journalisten daran, Belle zu entlarven. Beau Donelly and Nick Toscano bekamen einen Tipp von jemandem, der Belle kannte und bezweifelte, dass sie tatsächlich Krebs hat.
Weder Donelly noch Toscano hatten im echten Leben eine Partnerin, die sich während ihrer Recherchen einer Krebsbehandlung unterzogen. Im wirklichen Leben kam der Tipp von einer Freundin von Gibson, Chanelle. In der Serie heisst die Figur Aisha Dee.
Chanelle beschrieb, wie Gibson während der Party einen epileptischen Anfall hatte, aber niemandem erlaubte, einen Krankenwagen zu rufen, und sich weigerte, ins Krankenhaus zu gehen. Bei Chanelle kamen in diesem Moment Zweifel an Belles Story auf.
Donelly und Toscano deckten im März 2015 auf, dass Belle fünf Wohltätigkeitsorganisationen versprochen hatte, Geld für sie zu sammeln. Keine der Mittel kamen je bei den Organisationen an.
An tatsächliche Beweise zu kommen, war nicht einfach. Dies auch wegen der ärztlichen Schweigepflicht.
Nachdem die Journalisten ihre Zweifel an der Krebserkrankung veröffentlicht hatten, wurde Belle hart kritisiert. Auf Facebook postete sie lediglich: «Die Arbeit meines Unternehmens und seine Inhalte haben Hunderttausende von Leben zum Besseren verändert.» Erst drei Monate später gab sie zu, über ihre Erkrankung gelogen zu haben.
Die zwei Journalisten veröffentlichten ihre Recherche auch als Buch namens «The Woman Who Fooled The World». Darauf basiert die Serie.
Das ist bis heute das grösste Rätsel und wird wahrscheinlich erst aufgedeckt, wenn sich Belle wieder an die Öffentlichkeit traut.
«Belle ist schon seit ihrer Kindheit mit Geschichten über medizinische Wunder hausieren gegangen», sagt Toscano. Die beiden Journalisten sprachen mit vielen Kindheitsfreunden von Belle und diese erinnerten sich daran, dass sie von einer Herzoperation erzählte und dass sie den Leuten erzählte, sie sei einmal gestorben und habe wiederbelebt werden müssen. «Sie schaffte es, bei den Leuten Mitleid zu erregen, indem sie ihnen diese Geschichten von erfundenen medizinischen Dramen erzählte.»
«Die wirkliche Gefahr besteht darin, dass Leute mit diesen Mitteln hausieren gehen und etwas anpreisen, das man anstelle von Chemotherapie, Strahlentherapie oder konventionellen Behandlungen machen sollte», so Toscano.
Gibsons Geschichte war beliebt, weil sie den Menschen etwas gab, an das sie glauben konnten. «Sie kam damit durch, weil sie sehr kranken, verletzlichen Menschen Hoffnung versprach», sagt Donelly. «Es hat geholfen, dass es auf Instagram in eine hübsche Schleife verpackt war, mit schönen Fotos und netten Rezepten».
Die sechsteilige Serie «Apple Cider Vinegar» läuft auf Netflix.
Schlecht recherchiert! Belle Gibson log auch über ihr Alter und machte sich zwei Jahre älter als sie wirklich war. Tatsächlich wurde sie am 8. Oktober 1991 geboren und war 2009 gerade mal 18 Jahre alt. Nachzulesen in mehreren verlässlichen und leicht zu googelnden Internetquellen.
Leider versterben immer wieder Menschen, weil sie nutzlose alternative Therapien bei ernsthaften Erkrankungen vorziehen. Wenn sich der Zustand dann verschlechtert, ist es manchmal zu spät für die Schulmedizin und sie kann nur noch palliativ helfen.