Es gibt kaum eine Essware, die dermassen polarisiert wie die Gänsestopfleber Foie Gras. Dabei verlaufen die Pro- und Kontra-Grenzen ziemlich haargenau entlang der jeweiligen Sprachgrenzen. Echauffiert sich die deutschsprachige Welt ob der Tierquälerei, die mit der Herstellung dieses Gourmetprodukts einhergeht, begegnet die frankofone Welt dieser mit einem (ebenso frankofonen) Schulterzucken. Aber: Selbst in Frankreich würden rund 3/4 der Konsumenten eine tierfreundlichere Version der Delikatesse bevorzugen, wenn sie die Wahl hätten, wie eine YouGov-Umfrage kürzlich ergab.
Eine solche Wahl dürfte es aber demnächst geben, wie das Wirtschaftsmagazin «Bloomberg» berichtet. Die Lösung kommt aus dem Labor. Und mit finanzkräftiger Unterstützung vom französischen Staat.
Foie Gras. Butterzart und geschmacksintensiv. Eine der wenigen Esswaren, die fett und delikat zugleich ist. In den meisten Ländern ein Luxusprodukt, ist sie in Frankreich tief in der kulinarischen Tradition und Kultur verwurzelt. Besonders an Feiertagen – ob Weihnachten oder 14. Juillet – darf sie im Festmenü nicht fehlen. Doch seit jeher ist die gavage – die Zwangsfütterung der Vögel, bis ihre Lebern anschwellen – in den meisten Ländern umstritten. Tierschutzbedenken haben mehr als ein Dutzend Länder dazu veranlasst, die Produktion zu verbieten. Im US-Bundesstaat Kalifornien ist der Verkauf in Restaurants verboten; demnächst zieht New York nach. Einige Länder – Grossbritannien, etwa – erwägen ein Importverbot.
«Foie Gras befindet sich in einer existenziellen Krise», so Nicolas Morin-Forest, Mitbegründer von Gourmey, einem in Paris ansässigen Start-up für In-Vitro-Fleisch, gegenüber «Bloomberg».
Gourmeys Produkt wird aus Entenstammzellen hergestellt, die aus einem einzigen befruchteten Ei geerntet und dann in vitro gezüchtet werden – eine Technologie, die von der aktuell aggressiv expandierenden Industrie für cultured meat genutzt wird (Schätzungen zufolge dürfte dieses kultivierte Fleisch bis 2040 einen Anteil von 35 Prozent am weltweiten Fleischmarkt erreichen). In Bioreaktoren aus Edelstahl werden die Zellen mit Nährstoffen gefüttert, um sich zu vermehren und schliesslich das gewünschte Gewebe zu bilden – sei es Fett, Muskel oder Sehne. Mehr als 70 Start-ups weltweit arbeiten an diversesten Produkten: von Schweinekoteletts bis hin zu Blauflossenthunfisch.
Foie Gras, wie sich herausstellt, eignet sich bestens für diese Herstellungsweise. Eine grosse Hürde für In-Vitro-Fleisch sind nämlich Konsistenz und Textur, die möglichst genau am Originalprodukt sein sollen. Muskelfasern eines Steaks oder einer Hühnerbrust hinzukriegen, bedeutet zusätzliche komplizierte Schritte im Labor und dadurch erhöhte Kosten. Stopfleber aber, mit ihrer delikat-fettigen, uniformen Konsistenz, umgeht diesen Prozess. Und – wichtig – weil es am oberen Ende der Premium-Skala liegt, kann im Labor gezüchtetes Foie Gras schneller eine Preisparität mit dem konventionell hergestellten Produkt erreichen. Morin-Forest ist zuversichtlich, die Herstellungskosten in absehbarer Zukunft gar unterbieten zu können.
Ein Produkt, das frei von gavage und sogar frei von Schlachtung ist, dabei Verbote umgeht und entstandene Marktlücken erschliesst ... aber nur, wenn das Produkt im Geschmack und in der Zubereitung dem Original ebenbürtig ist. Und hier sind erste Indikatoren vielversprechend: in privaten Tastings war die pfannengebratene Gourmey-Foie-Gras «remarkably good» («Bloomberg»). «Das Fleisch war leicht rosa mit einer karamellisierten Kruste, weich und zart mit einem Geschmack und Geruch, die nicht von dem einer hochwertigen Gänseleber zu unterscheiden waren. Es schmolz auf der Zunge, genau wie es sollte.» Eine zweite Zubereitungart (in eine Terrine verarbeitet) war ebenfalls kaum unterscheidbar zu herkömmlichen Varianten.
Lab-grown foie gras is coming to take the guilt out of eating it — but how does it taste?@GeraldineAmiel samples the delicacy and gives her verdict https://t.co/g4dPabPlHL pic.twitter.com/khXswJ76v3
— Bloomberg Quicktake (@Quicktake) July 14, 2021
Um sich endgültig durchzusetzen, braucht Gourmey Unterstützung der Gastronomie: «Wir denken, dass die Akzeptanz grosser Köche im Grunde das beste Label für Produkte aus kultiviertem Fleisch sein wird», so Morin-Forest. In-vitro-Foie-Gras soll die beste Option werden. Und bald mal die einzige.
Ebenfalls braucht es ordentlich Kapital. Hierzu hat Gourmey gerade eine 10-Millionen-Dollar-Startfinanzierung von diversen privaten sowie staatlichen Investoren erhalten – unter anderem von Frankreichs staatlicher Investitionsbank Bpifrance. Die französische Regierung setzt also auf Foie Gras aus dem Labor. Indes ist die traditionelle Foie-Gras-Herstellung einschliesslich gavage in Frankreich weiterhin als nationales kulinarisches Kulturgut gesetzlich geschützt.