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Vegane Ernährung bei Kindern: Expertin äussert sich zum Phänomen

A schoolgirl holds carrots in her hands which she has reaped in a municiple school garden in Zurich, Switzerland, on September 11, 2014. As an extra-curricular activity, pupils have the oppurtunity to ...
Eine rein pflanzenbasierte Ernährung bei Kindern ist möglich, aber herausfordernd, damit alle Nährstoffe gedeckt werden. (Symbolbild)Bild: KEYSTONE

Kinder vegan ernähren? Für manche Eltern kommt nichts anderes infrage

Viele Fachgesellschaften raten davon ab, Säuglinge und Kleinkinder vegan zu ernähren. Dennoch halten manche Schweizer Eltern daran fest. Die Motivation dahinter hat eine Forscherin nun aufgedeckt.
25.01.2024, 17:00
Stephanie Schnydrig / ch media
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Lediglich ein halbes Prozent der Schweizer Haushalte ernährt sich strikt vegan, also ohne Fleisch, Fisch, Milch, Eier, Honig und andere tierische Produkte. Das zeigt eine repräsentative Befragung unter Leitung der Universität St.Gallen. Obschon die vegane Ernährungsweise auf dem Vormarsch ist, bleibt sie in letzter Konsequenz also ein Randphänomen. Ungeachtet dessen ist das Thema in der Gesellschaft emotional aufgeheizt, vor allem, wenn es um Kinder geht. Überdies raten viele Fachgesellschaften von einer veganen Ernährung im Säuglings- und Kleinkindalter ab. Zu hoch sei das Risiko für Mangelerscheinungen.

Dennoch entscheiden sich manche Eltern dafür, ihre Kinder vegan zu erziehen, zum Beispiel die 37-jährige Iris, Mutter von drei Kindern. Sie schilderte der Westschweizer Anthropologin Edmée Ballif, die am University College London forscht und Interviews mit veganen Familien geführt hat:

«Ich habe eine Verantwortung meinen Kindern gegenüber und dem Planeten, eine bessere Welt zu schaffen, und zwar für beide Seiten. Es ist wichtig für mich, diesen Planeten so wenig wie möglich zu belasten.»

Eine Erkenntnis von Ballif lautet , dass die Vorstellung einer guten Erziehung von veganen Eltern wie bei Iris darauf beruhe, dass den Kindern nur dann eine gute Zukunft bevorsteht, wenn nicht nur ihnen, sondern auch der Umwelt und den Tieren Sorge getragen wird.

Edmée Ballif
Edmée Ballif ist Medizin-Anthropologin und Soziologin.Bild: zvg

Dazu reicht es den Eltern nicht, «nur» vegetarisch zu leben. Bedenken haben sie etwa auch bezüglich der Milchproduktion. Die 34-jährige Charlotte begründet dies so:

«Wenn ich weiss, dass eine Kuh wochenlang um ihr Kalb weint, das niemals die Milch seiner Mutter trinken kann, dann frage ich mich, warum? Weil wir Menschen unser Glas Milch wollen, das der Arzt empfiehlt, das wir aber gar nicht brauchen. Es ist schrecklich, sich vorzustellen, dass mir mein Sohn gestohlen wird, nur weil jemand meine Milch will.»

Auch nicht vegane Ernährung kann mangelhaft sein

Isabelle Rieckh ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berner Fachhochschule und selbstständige Ernährungsberaterin in Basel mit Fokus auf Säuglinge und Kinder. Sie erhalte erstaunlich viele Anmeldungen von Eltern, die ihre Säuglinge vegan ernähren möchten, sagt sie. Deren Motivation für eine vegane Ernährung sei wie auch bei den Eltern in Ballifs Studie nicht in erster Linie die Gesundheit, sondern die Umwelt.

Die Ernährungsexpertin räumt ein, dass eine vegane Kinderernährung sehr herausfordernd sei:

«Es braucht viel Wissen und den Willen, die Extrameile zu gehen.»

Die Kinder, die zu ihr kämen, seien aber sehr gesund. Probleme beobachte sie gar öfters bei anderen Kindern, etwa solchen, die zwar Eier, Milchprodukte und Fleisch essen, aber ansonsten ein sehr unausgewogenes Essverhalten aufzeigten.

baby essen food
Bild: Shutterstock

So offen wie Rieckh sind nicht alle Gesundheitsfachleute. Um sich deren Urteil zu entziehen, entwickelten die veganen Familien aus Ballifs Studie daher gezielte Strategien. «Das geht vom Austausch von Adressen von Kinderarztpraxen, die gegenüber dem Veganismus offen sind, bis hin zur totalen Vermeidung von medizinischen Konsultationen», so die Forscherin. Ein Problem sei, dass medizinische Fachkräfte und Ernährungsberater während der Ausbildung wenig bis gar nichts zu Veganismus lernten. Es brauche mehr Aufklärung.

Darauf ist bei veganer Kinderernährung zu achten
Im Auftrag des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV hat die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie 2020 einen Leitfaden mit Handlungsanweisungen zur veganen Ernährung im Säuglings- und Kleinkindesalter erarbeitet.

Kritisch ist demnach die Versorgung mit genügend Kalorien und guten Proteinen sowie von Omega-3-Fettsäuren, Eisen, Zink, Jod, Calcium, Vitamin D, Vitamin B2 und vor allem Vitamin B12. «Mängel dieser Nährstoffe können zu schweren und manchmal irreversiblen Entwicklungsstörungen führen», heisst es in den Leitlinien.

Um dem entgegenzuwirken, rät Ernährungswissenschafterin Isabelle Rieckh, Vitamin B12 bei einer veganen Lebensweise in jedem Fall zu supplementieren. Zudem seien engmaschige Blutkontrollen nötig, um allfällige Nährstoffmängel rasch zu entdecken. Auch sollten Eltern auf kalorienreiche Lebensmittel wie Nussmus, pürierte Hülsenfrüchte und Öle achten. Schliesslich muss die Proteinzufuhr bei veganer Ernährung höher sein, damit alle Aminosäuren (die Bausteine der Proteine) in ausreichender Menge aufgenommen werden. (sny)

Manche Mütter reduzieren das Arbeitspensum

Ein kritischer Punkt, den die Anthropologin Ballif in ihrer Studie beobachtet hat, ist, dass vegane Familien in alte Rollenmuster zurückzufallen drohen. Denn in unserer Gesellschaft bedeute die Entscheidung für eine vegane Ernährung eine Mehrbelastung, etwa wenn die Kinder ihre Mahlzeiten in die Kita, den Kindergarten oder in die Schule selbst mitbringen müssen.

In fast der Hälfte der befragten Familien hatte ein Elternteil die Erwerbsarbeit aufgegeben, damit sich die Familie vegan ernähren kann. In der Regel war es die Mutter, weil die Kinderbetreuung in der Schweiz noch immer mehrheitlich von Frauen getragen werde, so Ballif. Sie betont allerdings, dass höchstwahrscheinlich auch diejenigen Mütter ihre Pensen reduzierten, deren Kinder zum Beispiel wegen einer Nahrungsunverträglichkeit speziell ernährt werden müssen.

Eltern sollten mit gutem Beispiel vorangehen

Auch Sophie, 39 Jahre alt, erzieht ihre vier Kinder mit ihrem Mann vegan. Um ihnen diese Ernährungsweise einzuschärfen, griff sie auf eine radikale Methode zurück, wie sie der Forscherin Ballif geschildert hat: Sie zeigte ihren Kindern eine Dokumentation von Tieren, die leiden mussten und daraufhin geschlachtet wurden.

«Ich erinnere mich», erzählte sie, «dass meinem Sohn beim ersten Mal die ganze Nacht übel war; es war wirklich ein emotionaler Schock, ein bisschen hart.» Die Mädchen hätten geweint. Doch sie könne nicht verstehen, dass andere Eltern ihren Kindern ein Stück totes Fleisch gäben, ohne ihnen zu erzählen, wie dieses Essen auf den Teller kam.

«Ich denke, es ist wichtig, Kinder nicht zu belügen.»

Die Ernährungswissenschafterin Rieckh erachtet solche extremen Erziehungsversuche als nicht erstrebenswert. Gleichzeitig betont sie aber, dass es wichtig sei, Kindern ein umfassendes Wissen zur Ernährung mitzugeben. Sie sagt:

«Wenn man mit Kindern einkaufen geht, ist ihnen nicht per se bewusst, dass für das eingepackte Poulet ein Tier sterben musste oder das Ei vom Huhn stammt»

Das wäre aber wichtig, auch deshalb, damit Kinder tierische Produkte schätzen lernten und als wertvoll betrachteten. «Dieses Wissen fehlt teilweise», so Rieckh.

Zentral sei es, dass Eltern als gute Beispiele vorangehen und die Kinder zu selbstdenkenden Menschen erziehen. «Wenn sich das Kind dann aus eigenem Antrieb für die vegane Ernährung entscheidet, ist das gut», sagt sie und fügt an: «Aber das Kind sollte nicht hineingedrängt werden.»

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305 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Melony
25.01.2024 17:15registriert Juli 2021
Ich lebe seit vielen Jahren fleischlos. Kindgerechet habe ich meinem Kind erklärt, woher das Fleisch kommt. Trotzdem möchte es Fleisch essen und das ist auch voll ok.
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Roli_G
25.01.2024 17:18registriert Januar 2021
«Ich erinnere mich», erzählte sie, «dass meinem Sohn beim ersten Mal die ganze Nacht übel war; es war wirklich ein emotionaler Schock, ein bisschen hart.»

Spinnen die eigentlich? Wieso macht man so was abartiges?
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Holunder
25.01.2024 17:28registriert Oktober 2018
Mein Kind Nr. 1 isst kaum Fleisch, weil es das nicht mag. Gemüse, auf keinen Fall. Früchte, wenn es keine Haut hat vielleicht mal probieren. Pasta (ohne Sauce) und Joghurt könnte es den ganzen Tag essen.
Mein Kind Nr. 2 isst einfach alles und das erst noch mit Genuss.

Unser Ziel als Eltern:
Die Kinder irgendwie vernünftig und ausgewogen ernähren. Das ist schon Challenge genug. Ob sie Mischkost, Vegetarisch oder Vegan essen wollen entscheiden sie in ein paar Jahren selber.
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