Und am Ende ist alles nur noch Geschrei. Doch wenn ein Gespräch mehr sein soll als ein Überredungsversuch, sondern der Versuch, sein Gegenüber wirklich zu verstehen und dessen Haltungen nachzuvollziehen, dann bedeutet das Arbeit – Arbeit an seiner eigenen Einstellung. Einfach ist das nicht.
Aber: Es gibt Tricks.
Reto U. Schneider ist Journalist beim «NZZ Folio». In seinem Buch «Die Kunst des klugen Streitgesprächs» hat er die wichtigsten Voraussetzungen für gute Diskussionen zusammengetragen. Hier sind seine Erkenntnisse.
«Wie ein Gespräch verläuft, hängt schon einmal davon ab, welches Ziel die daran Beteiligten verfolgen. Ist ihr Ziel, den anderen zu überzeugen, sind wir schon beim ersten Problem: Wieso sollte das Gegenüber nicht exakt dasselbe im Sinn haben? Voraussetzung für den Erfolg dieses Gespräches müsste demnach sein, dass jeder auch gleichzeitig das Ziel verfolgt, überzeugt zu werden – und das ist nur selten der Fall.
Grund dafür ist, dass wir alle das Gefühl haben, wir sähen die Welt objektiv und unsere Meinungen seien das Resultat dieser objektiven Sicht. Wenn unsere Gesprächspartnerin also eine andere Meinung vertritt, ist sie offensichtlich nicht in der Lage, die Welt wahrzunehmen, wie sie ist. Die einzigen in unseren Augen sinnvollen Begründungen für einen Meinungsunterschied sind dann, dass das Gegenüber entweder zu dumm ist, um die Sache zu verstehen, oder dass es etwas im Schilde führt.
Eine weitere mögliche Begründung ist, dass das Gegenüber indoktriniert wurde: «Sie ist halt dort aufgewachsen», «Er verbringt halt viel Zeit mit Menschen, die so denken». Das Paradoxe an diesem Argument ist, dass wir ja selbst alle auch irgendwo aufgewachsen sind. Bei uns selbst deuten wir diesen Einfluss jedoch als positive, inspirierende Quelle für eine Meinung, die wir heute vertreten – beim Gegenüber sprechen wir von Indoktrinierung.
Die Annahme, dass durch die richtigen Argumente auch eine Person mit anderer Meinung auf den «richtigen Weg» gebracht werden kann, erweist sich fast immer als falsch. Wie oft hast du die Gegenseite nach einem kräftigen Argument sagen hören: «Logisch, du hast recht»? Praktisch nie.
Wir leben mit der Illusion, dass unsere eigenen Meinungen der Weltsicht auf einer nüchternen Bewertung von Fakten beruhen. Dabei bilden wir uns viele Meinungen, lange bevor wir irgendwelche Fakten dazu kennen. Erst dann suchen wir die Argumente zusammen, die zu unserer Meinung passen. Später reden wir uns dann ein, die Reihenfolge sei umgekehrt gewesen: Zuerst seien die Fakten da gewesen und erst dann sei die Meinung entstanden.
Bei dem sogenannten Confirmation Bias geht es darum, dass wir uns jene Fakten aussuchen, die unsere bestehende Meinung weiter verstärken und untermauern. Es gibt Experimente, die zeigen, dass Menschen bereit dazu sind, Geld zu bezahlen, um nicht eine andere, abweichende Meinung lesen zu müssen. Wieso das so ist? Gemäss ihrer landläufigen Definition basiert eine Meinung auf einer sachlichen Beurteilung von Wissen und Information. Wenn das tatsächlich so wäre, gäbe es jedoch keinen Grund, wieso wir anderslautende Meinungen nicht einfach hinnehmen können.
Hier kommt ein weiterer Grund ins Spiel, der es uns Menschen schwer macht, mit Meinungen umzugehen: Meinungen sind identitätsstiftend. Wir haben nicht eine Meinung zu einem Thema, weil wir uns unglaublich lang damit auseinandergesetzt haben, sondern weil wir damit ausdrücken wollen, wer wir sind und zu welcher Gruppe wir gehören.
Für welches Tempolimit auf der Autobahn man stimmt oder ob man für oder gegen AKWs ist, sollte man aber nicht zu einem Teil der eigenen Identität werden lassen. Die Identität sollte definiert werden über Wertvorstellungen wie Gerechtigkeit, Freiheit oder Ähnliches. Auch diese Werte können sich unterscheiden, von Mensch zu Mensch. Dann entsteht ein Wertekonflikt, ein echter Konflikt, über den es sich eher zu streiten lohnt.
Nichts ist entspannter, als nicht zu allem eine Meinung zu haben, könnte man meinen. Hier besteht jedoch eine andere Gefahr: Wer sich beispielsweise vom Israel-Palästina-Konflikt überfordert fühlt und wem es aufgrund der Komplexität des Themas schwerfällt, eine Meinung zu bilden, der wird schnell als unsolidarisch oder ignorant hingestellt. Das Internet und vor allem Social Media haben den Diskurs in dieser Hinsicht grundlegend verändert: Auf Twitter und Co werden extreme Meinungen vom Algorithmus belohnt und öfter angezeigt als gemässigtere Meinungen.
Dies trägt dazu bei, dass man die Position eines Gesprächspartners oft als extremer einschätzt, als sie wirklich ist. Viele Studien belegen, dass sich die Menschen darin oft täuschen. Wenn man mit Leuten spricht, sollte man nie davon ausgehen, ihren Standpunkt zu kennen aufgrund der Partei, die sie wählen oder einer Institution, der sie angehören. Man sollte Menschen immer nach ihrer Meinung fragen. Gerade wenn man dann heikle Themen anschneidet, wird man oft überrascht, wie differenziert die Meinung des Gegenübers eigentlich ist.
Wer jetzt seine Liebsten von einer politischen Position überzeugen will, dem rate ich, seine Erwartungen zu senken. Vergiss es, dass du mit Fakten alle davon überzeugen kannst, sich vegan zu ernähren oder Geld zu spenden. Wer tiefe Erwartungen hat, wird weniger enttäuscht. Meinungen sind wie Tanker – sie brauchen Zeit, um zu wenden. Vielleicht denken deine Liebsten am Tag nach einem Gespräch nochmals darüber nach, was du gesagt hast. Aber dass sie dir im Moment gleich zustimmen werden und ihre eigene Meinung über Bord werfen, ist unwahrscheinlich.
Es gibt aber einige interessante Fragen, die man in Diskussionen stellen kann:
Das bringt die Leute dazu, zu hinterfragen, wie sie zu ihrer Meinung gekommen sind. Wenn sie darauf keine Antwort finden, handelt es sich bei ihrem Standpunkt eher um einen Glauben als um eine Meinung. Anders als ein Glaube muss sich eine Meinung ändern können, wenn neue Fakten bekannt werden.
Dadurch muss das Gegenüber sich in mich hineinversetzen. Vielleicht heisst es dann: «Du bist noch jung, ich habe auch einmal so gedacht.» So kann man erkennen, dass die unterschiedlichen Meinungen auf einem unterschiedlichen Lebenslauf gründen oder einer anderen Weltsicht. Das könnte die Diskussion etwas öffnen.
«Wenn man 5 Jahre in die Zukunft reisen könnte und bemerken würde, dass sich deine Meinung als falsch herausgestellt hätte, welche Konsequenzen hätte dies für die Welt?» Es gibt Meinungen mit starken und weniger starken Auswirkungen. Diese Frage könnte dazu führen, dass man einen Standpunkt weniger vehement vertritt, weil man erkennt, dass eine Meinung immer nur den vorläufigen Stand des Unwissens reflektiert.
Natürlich musst du damit rechnen, dass dein Gesprächspartner diese drei Fragen auch dir stellt, denn daran musst du dich gewöhnen: Für deine Meinung ist im Universum kein spezieller Platz reserviert.»
Aufgezeichnet von Anna Böhler