Zum achten Mal in Folge führt Finnland das Ranking der glücklichsten Länder der Welt an. Und lässt die Schweiz weit hinter sich. Was steckt hinter dem Rätsel des finnischen Glücks? Und was können wir davon lernen?
watson hat bei vier Menschen aus Finnland, die in der Schweiz wohnen, nach Antworten gesucht.
Persönliches Glücksrating: 10.
Anne Stocker, 67, stammt aus Kotka und kam 1980 als Krankenschwester in die Schweiz. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Zürich, ist freischaffende Künstlerin und verbringt drei bis vier Monate pro Jahr in Lappland.
Was bedeutet Glück für dich?
Glück bedeutet für mich Freiheit und Unabhängigkeit. Dass ich selbst entscheiden kann, was ich mache und wo ich wohne. Wichtig sind mir auch gute Beziehungen, Gesundheit und dass ich mich kreativ verwirklichen kann. Das hat natürlich viel mit wirtschaftlicher Freiheit zu tun. Geld liefert eine gute Grundlage für die Zufriedenheit.
Finnland ist das glücklichste Land der Welt. Überrascht dich das?
Irgendwie überrascht es mich schon. Ich glaube, es erstaunt viele Finnen, dass wir das glücklichste Volk sein sollen. Es kommt halt immer darauf an, welche Fragen man stellt. Ich vermute, dass die Zufriedenheit viel mit der sozialen Sicherheit zu tun hat, da ist Finnland stark. Wir zahlen ja auch 40 bis 50 Prozent Steuern in Finnland. Als Finnin sehe ich das Ganze natürlich etwas differenzierter: Es gibt auch Dinge, die nicht gut laufen.
Wie erklärst du dir, dass Menschen in Finnland glücklicher sind als anderswo, zum Beispiel in der Schweiz?
Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, in Finnland haben wir viel Platz, Wälder und Wasser, du kannst tagelang laufen, ohne jemanden zu sehen. Das fehlt mir in Zürich. Das Leben in der Schweiz ist hektischer. In Finnland ist alles etwas langsamer. Und: Wir Finninnen und Finnen können über uns selbst lachen.
Wenn du den Menschen in der Schweiz einen Tipp fürs Glücklichsein geben könntest – wie würde der aussehen?
Ich kann gut Kochrezepte weitergeben, aber Glücksrezepte? Wenn, dann würde ich sagen: Nehmt Rücksicht auf andere, aber verfolgt eure eigenen Ziele. Und etwas mehr Gelassenheit wäre auch gut. Das Glück kann man auch im Kleinen und in der nächsten Umgebung finden.
Persönliches Glücksrating: 8.
Ville Westerberg, 43, ist finnisch-schweizerischer Doppelbürger. Obwohl er nie dort gelebt hat, verbringt er viel Zeit in Finnland und hat das Militär dort absolviert. Er lebt in Zürich und arbeitet als selbstständiger Berater in der Technologiebranche.
Was bedeutet Glück für dich?
Glück ist, das zu machen, was man liebt, mit den Menschen, die man gern hat. Und wenn die grossen Pfeiler im Leben – Job, Wohnen, Freunde, Familie und Hobbies – im Gleichgewicht sind.
Finnland ist das glücklichste Land der Welt. Überrascht dich das?
In der Schweiz werde ich oft darauf angesprochen. Meine Freundinnen und Freunde in Finnland schmunzeln manchmal über das Ranking. Viele haben aber auch kaum Vergleiche, weil sie nie in einem anderen Land gelebt haben. So wissen sie zum Teil gar nicht, wie gut man es in Finnland hat.
Wie erklärst du dir, dass Menschen in Finnland glücklicher sind als anderswo, zum Beispiel in der Schweiz?
Die Menschen in Finnland sind sehr gleichgestellt. Die Einkommensschere ist klein. Du wirst nicht dauernd darauf aufmerksam gemacht, was du nicht hast. Dazu kommen ein starkes Sozialsystem, kostenlose Bildung und Gesundheitsvorsorge. In der Schweiz sind der Wohlstand und die Lebensqualität auch hoch, aber die Einkommensungleichheit ist grösser. Persönlich würde ich noch hinzufügen: Viele Menschen in Finnland sind sehr naturbezogen. Wir haben viel Platz, Wälder und Seen, du kannst dich in die Natur zurückziehen. Man muss aber auch sehen, dass sich meine Freunde in Finnland über dieselben Dinge beschweren, wie wir hier auch.
Wenn du den Menschen in der Schweiz einen Tipp fürs Glücklichsein geben könntest – wie würde der aussehen?
Macht, was ihr liebt und woran ihr Freude habt. Und schätzt die simplen Dinge im Leben: Beziehungen zu Freunden, zur Familie, in der Natur sein.
Persönliches Glücksrating: 8,5.
Nora Ahlqvist, 29, ist in Zürich geboren. Ihre Eltern stammen aus Finnland und sind in den 1980ern und 90ern als Pflegefachmann und Sozialarbeiterin in die Schweiz gekommen. Mindestens einmal pro Jahr besucht Nora ihre Verwandten in Finnland in der Nähe von Turku.
Was bedeutet Glück für dich?
Glücklichsein bedeutet für mich, unbeschwert zu sein. Wenn ich nicht glücklich bin, ist es oft mit Sorgen verbunden und dass ich an Dingen herumgrüble.
Finnland ist das glücklichste Land der Welt. Überrascht dich das?
Als Finnland zum ersten Mal zum glücklichsten Land gekürt wurde, war die finnische Community überrascht. Wenn man genauer hinschaut, macht es aber schon Sinn: Die Öffentlichkeit hat Zugang zu Ressourcen, der Sozialstaat funktioniert sehr gut und ist solidarisch aufgebaut. Man muss in Finnland zum Beispiel keine Krankenkassenprämie bezahlen. In letzter Zeit stehen diese Errungenschaften aber politisch unter Druck.
Wie erklärst du dir, dass Menschen in Finnland glücklicher sind als anderswo, zum Beispiel in der Schweiz?
Ich habe das Gefühl, Finninnen und Finnen sind stoischer, man empört sich nicht so schnell. Und in der Schweiz geht es oft um Wirtschaft und Geld. Die Diskussionen in Finnland sind anders. Man hat eher den Sozialstaat im Blick. Es ist zum Beispiel klar: Jedes Kind hat ein Recht auf einen Kitaplatz. Und das wird nicht diskutiert. Der Staat ist viel präsenter in den Familien. In der Schweiz sind solche Themen eher Privatsache.
Wenn du den Menschen in der Schweiz einen Tipp fürs Glücklichsein geben könntest – wie würde der aussehen?
Geht in die Sauna! Im Sommer gehen wir in Finnland jeden Tag in die Sauna. Das tut so gut. Darum finde ich es schade, dass in der Schweiz im Sommer viele Saunen geschlossen sind.
Persönliches Glücksrating: 9,5.
Esa Puhakka, 64, ist selbstständiger Optometrist und wohnt im Kanton Zürich. Insgesamt lebt er schon 16 Jahre in der Schweiz. Er stammt aus Helsinki.
Was bedeutet Glück für dich?
Ich würde sagen, ich definiere Glück wie die meisten Finnen: Glücklich ist, wer gesund ist und liebe Leute um sich hat. Ich fühle mich auch in meinem Beruf sehr wohl. Mein persönliches Rezept ist es, auf meine innere Stimme zu hören. Und dass ich jeden Morgen in den Spiegel schauen kann, ohne mich zu schämen.
Finnland ist das glücklichste Land der Welt. Überrascht dich das?
Auf Finnland würde meiner Meinung nach das Wort Zufriedenheit besser zutreffen. Das ist nicht dasselbe wie Glück.
Wie erklärst du dir, dass Menschen in Finnland glücklicher – oder zufriedener – sind als anderswo, zum Beispiel in der Schweiz?
Ich kann die Finninnen und Finnen natürlich nicht mit allen Nationen auf der Welt vergleichen, mit anderen nordischen und mitteleuropäischen Ländern aber schon. Neben Gründen wie Kinderbetreuung, dem Schulsystem oder flachen Hierarchien geht es meiner Meinung nach aber vor allem um eine innere Ruhe der Menschen. Ich habe den Eindruck, dass man in Finnland eher mit dem zufrieden ist, was man hat. Die Leute strengen sich natürlich auch an, sie vergleichen sich aber nicht konstant mit anderen. Und: Die Leute haben Vertrauen in die staatlichen Institutionen und in andere Menschen. Ich schätze die freundliche Art der Schweizer sehr. Aber sie ist aus meiner Sicht zum Teil auch oberflächlich.
Wenn du den Menschen in der Schweiz einen Tipp fürs Glücklichsein geben könntest – wie würde der aussehen?
Geld ist nicht alles im Leben. Es gibt Wichtigeres.
“Wir Finninnen und Finnen können über uns selbst lachen.”
Wir Schweizer neigen dazu, uns selbst zu ernst zu nehmen! Über sich selbst zu lachen ist ein Elixier (meine GlücksScore: 9,5)