In der Schweiz darf man in der Regel erst ab 18 Jahren Informationen zum Spendervater einholen. Wie bewerten Sie diese Altersgrenze?
Daniel Drewniak: Na ja, es ist besser, als wenn es gar nicht möglich wäre. Aber ideal ist es nicht, wenn man erst als Volljähriger etwas über seine genetische Herkunft erfahren kann. Wobei es schwierig ist, einen richtigen Zeitpunkt für alle zu bestimmen. Denn es ist sehr individuell, wann man bereit und reif genug ist, davon zu erfahren. Das können die Eltern jeweils am besten abschätzen. Grundsätzlich gilt: Je früher, desto besser. Es gibt heute wunderbare Kinderbücher, in denen verschiedene Familienmodelle vorgestellt werden und die die Eltern schon früh vorlesen und mit der eigenen Geschichte verflechten können.
Wie stark ist das Verlangen von Spenderkindern, zu erfahren, woher sie kommen?
Aus der Forschung wissen wir, dass viele Menschen wissen möchten, woher sie genetisch stammen. Vor allem in der Pubertät stellen sie sich solche Identitätsfragen. Interessanterweise geben sich die meisten aber zufrieden, sobald sie ihren genetischen Vater einmal treffen konnten. Viele wünschen sich danach gar keinen engeren Kontakt mehr.
Tatsächlich?
Ja, das zeigt, dass das Genetische wichtig ist, aber man es nicht überbewerten sollte. Es liefert zwar das Potenzial, dass daraus eine tragfähige soziale Beziehung entstehen kann. Aber beim genetischen Vater stellt sich schon die Frage, was es denn für eine Beziehung sein soll: eine zweite Vaterfigur, ein väterlicher Kumpel, eine Art Onkel? Irgendwie ist das komisch. Ganz anders sieht es bei den Halbgeschwistern aus.
Inwiefern?
Halbgeschwister üben bei vielen Spenderkindern eine sehr grosse Faszination aus. Anders als der genetische Vater fällt es leichter, ihnen eine soziale Funktion zuzuschreiben, zum Beispiel können daraus leichter freundliche Beziehungen entstehen. Gerade wenn man gemeinsame Interessen hat, räumlich nah beieinander lebt und dieselbe Sprache spricht, können diese Beziehungen nachhaltig sein.
Die Spenderkinder von Jonathan Jacob Meijer haben Hunderte Halbgeschwister. Da wird es schwierig, zu allen eine Beziehung aufzubauen.
Das ist sogar unmöglich. Aus den Sozialwissenschaften wissen wir, dass ein Mensch maximal 150 andere Menschen näher kennen kann. Zieht man nun die engere Familie ab, gute Freunde, die Arbeitskollegen, dann bleibt nicht mehr so viel übrig. Realistischerweise werden Spenderkinder wie die von Herrn Meijer mit einer Handvoll Halbgeschwister in Kontakt bleiben. Was das mit den Beziehungen der Kinder untereinander macht, weiss man noch nicht. Auch weil es nur wenig vergleichbare Fälle gibt. Dafür müsste man die Kinder länger begleiten.
Weiss man, was es mit einem Kind macht, wenn es erfährt, dass es bloss eines von vielen ist?
Das klingt negativer, als es viele Spenderkinder tatsächlich wahrnehmen. Ein Spenderkind zu sein, ist nämlich ein spezielles Merkmal, das identitätsstiftend sein kann. Denn die meisten sind es ja nicht, geschweige denn, haben so viele Halbgeschwister. Natürlich gibt es auch solche, die ein massives Problem damit haben. Aber diejenigen, die – auch mithilfe ihrer sozialen Eltern – einen guten Umgang mit ihrer Geschichte gefunden haben, nehmen es als ein besonderes Alleinstellungsmerkmal wahr. (aargauerzeitung.ch)