Ganz leise schleicht sich Angela (Name durch die Redaktion geändert) mit Handgepäck ins Treppenhaus ihres Wohnblocks. Sie kreuzt die Finger. Nun bitte kein Aufeinandertreffen mit den Anwohnern. Schon so oft ist sie gemeinsam mit ihrem Mann in Erklärungsnot geraten, als die Nachbarn neugierig nachfragten: «Wart ihr schon wieder spontan im Urlaub?»
Mit Vergnügen haben die vielen Rollkoffertrips nichts zu tun. Seit mittlerweile vier Jahren versucht das Ehepaar, ein Kind zu bekommen. In der Schweiz hat das ungewollt kinderlose Paar alle Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin ausgeschöpft, die in der Schweiz für Frauen zulässig sind: Hormonbehandlung, Insemination, künstliche Befruchtung.
Im internationalen Vergleich gelten in der Schweiz bei der Fortpflanzungsmedizin restriktive Gesetze. In vielen EU-Ländern, darunter Spanien, ist bei der Fortpflanzungsmedizin mehr zugelassen. Hierzulande sind Samenspenden erlaubt, Eizellen sowie Embryospenden (noch) verboten. National- und Ständerat haben einer Legalisierung der Eizellspende im letzten Jahr zwar zugestimmt. Von einer Gesetzesänderung ist man aber noch weit entfernt.
Schon vor dem Versuch, schwanger zu werden, wusste Angela, dass bei ihr Schwierigkeiten auftreten könnten. Sie litt unter Endometriose, einer der häufigsten Unterleibs-Erkrankungen bei Frauen, welche die Fruchtbarkeit verringert. Nach einer erfolgreichen Endometriose-Operation teilt man ihr mit, dass nun ein guter Zeitpunkt wäre, um Mutter zu werden. Angela ist 27 – aus medizinischer Sicht im optimalen Alter zum Kinderkriegen.
Sie und ihr Partner legen los.
Doch während zwei Jahren passiert nichts.
Monat für Monat vergeblich auf eine Schwangerschaft zu warten, ist eine schmerzliche Erfahrung für das Paar. Die beiden wenden sich an eine Kinderwunschklinik. Bis auf die Endometriose können keine weiteren Diagnosen festgestellt werden, welche eine Schwangerschaft verhindern. Zur Unterstützung beginnt Angela eine Hormonbehandlung. Erfolglos.
Es folgt eine weitere Kinderwunschbehandlung, die von der Krankenkasse übernommen wird: Insemination – ein Verfahren, bei dem Spermien direkt in die Gebärmutter übertragen werden und die Eizellen dadurch schneller erreichen als beim Geschlechtsverkehr. Drei Versuche, allesamt ohne Erfolg.
Für das Paar gibt es in der Schweiz nun nur noch eine Option auf ein eigenes Kind: künstliche Befruchtung. Doch dafür müssen sie finanziell selbst aufkommen – und Angela befindet sich noch im Studium. Die Kosten variieren in der Schweiz pro Behandlungszyklus zwischen 5000 und 8000 Franken. Mehr als drei Versuche werden nicht empfohlen.
Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Angela im Masterstudium und arbeitet in einem 40-Prozent-Pensum. Der Endspurt im Studium und die Arbeit setzen sie nicht im Entferntesten so stark unter Druck wie die Frage: Warum klappt es einfach nicht?
Das Gedankenkarussell raubt ihr den Schlaf, sie zweifelt an sich selbst. Ihr eigener Körper wird zum grössten Feind. Hoffnung sucht sie im Internet, in Ratgebern und Erfahrungsberichten anderer Frauen.
Auch die Vereinbarkeit zwischen Arbeit und Familienwunsch wird immer mehr zur Belastung, insbesondere zur psychischen. Den sehnlichen Wunsch auf ein Kind behält sie für sich. Zu gross ist die Angst vor einem möglichen Karriereknick.
Arzttermine nimmt Angela zu Randzeiten wahr. Als sie sich daran erinnert, wird ihre Stimme leiser, betrübter. «Morgens um 8 Uhr hatte ich einen Termin zur Eizellentnahme. Ein schmerzhaftes Verfahren. Um 10 Uhr erschien ich zur Arbeit, sass in einer Sitzung, als wär nichts passiert.»
Als wäre nichts geschehen – so gibt sich Angela auch, als die künstliche Befruchtung nicht zum gewünschten Erfolg führt.
Das Paar steht vor einem Dilemma.
Nochmals eine künstliche Befruchtung? Nochmals dasselbe schmerzvolle Verfahren? Nochmals so viel Geld aufbringen?
Abgesehen von einem weiteren Versuch der künstlichen Befruchtung wäre eine Adoption hierzulande die letzte rechtmässige Möglichkeit auf ein Kind. Das Paar schliesst diese Option nicht aus, stellt aber fest, dass eine Kindadoption ein «Ding der Unmöglichkeit» ist.
In der Schweiz werden nur sehr wenige Kinder zur Adoption freigegeben. Die Anzahl Adoption sinkt laut Bundesamt für Statistik seit 1980 kontinuierlich. Zurückzuführen sei diese Entwicklung auf eine Gesetzesänderung zum Schutz des Kindes, steigende Akzeptanz lediger Mütter sowie die Abnahme unerwünschter Schwangerschaften.
Und auch die Auflagen sind Angela zufolge längst überholt: Adoptiveltern müssen verheiratet, mindestens achtundzwanzig Jahre alt sein und mindestens drei Jahre gemeinsam in einem Haushalt leben. Und der Altersunterschied zwischen den Adoptiveltern und dem Kind darf nicht mehr als fünfundvierzig Jahre betragen.
Angela und ihr Ehemann beginnen über Möglichkeiten im Ausland nachzudenken.
Für ein Beratungsgespräch reist das Paar auf Anraten einer Schweizer Klinik nach Spanien. Dort wird nochmals zu einer künstlichen Befruchtung geraten – vergeblich.
Erneut fliegen Angela und Marc auf die iberische Halbinsel, um weitere Optionen zu besprechen. Es wird nicht die letzte Reise sein.
Das Paar entscheidet sich schliesslich für eine Eizellspende. Spermien vom Mann, die Eizellen von einer anonymen Spenderin. Eine Behandlungsmöglichkeit, die in der Schweiz gesetzlich noch verboten ist.
Aus einem Versuch werden drei. Zu einer Schwangerschaft kommt es nicht.
Die Situation macht das Paar ohnmächtig, schweisst die beiden aber noch mehr zusammen. «Ohne die Unterstützung meines Mannes hätte ich das wohl alles nicht verkraften können», sagt Angela. Um sich Gedanken um die Zukunft zu machen, nehmen die beiden eine Auszeit. Fernab vom Alltag lassen sie sich in verschiedenen Kliniken beraten und besprechen, ob sie noch einen Schritt weitergehen sollen.
Denn in Spanien gibt es eine letzte Hoffnung: eine Embryospende. Heisst: Eizellen und die Samenzellen, mit denen ein Embryo gezeugt wird, stammen nicht vom Kinderwunschpaar, sondern von einer Spenderin und einem Spender. Das Kind wird von der Wunschmutter ausgetragen, genetisch sind die Wunscheltern aber nicht mit dem Kind verwandt.
Das Paar zweifelt, weshalb sollte diese Behandlung nach so vielen missglückten Therapien funktionieren. «Rational gesehen ergibt dies absolut keinen Sinn», so Angela. «Doch die Ärzt:innen in Spanien machten uns Hoffnung und erklärten, dass dieser Weg schon vielen Paaren zum Glück verholfen hat – auch wenn dies medizinisch nicht zu 100 Prozent erklärbar ist.»
Insbesondere Marc hat Mühe mit dem Gedanken, dass er bei einer Embryospende «nichts» zum gemeinsamen Kind beiträgt. Die Entscheidung zerrt auch an Angelas Nerven. «Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eigentlich gar keine Hoffnung mehr auf ein Kind.»
Trotzdem wollen die beiden den letzten Versuch wagen.
Doch erst müssen sie noch eine grundlegende Entscheidung treffen: Soll es eine offene oder eine anonyme Spende sein? Ersteres hätte einen Klinik- und Länderwechsel zur Folge.
Offen heisst, die Namen der Spenderinnen und Spender werden nicht geheim gehalten. Erlaubt ist dies unter anderem in Dänemark sowie in Grossbritannien. In Spanien bleibt die Identität des Spenders anonym. Spenderkinder haben also keine Möglichkeit zu erfahren, wer ihre genetischen Eltern sind.
Wie viele Schweizerinnen und Schweizer im Ausland Fortpflanzungsmedizin in Anspruch nehmen, ist unklar. Der Bund erhebt keine systematischen Daten. Innerhalb der Schweiz lassen sich jährlich rund 7000 Paare wegen Fruchtbarkeitsproblemen behandeln. Von einem unerfüllten Kinderwunsch sprechen Fachpersonen, wenn es innerhalb eines Jahres auf natürlichem Weg nicht zur Schwangerschaft kommt.
Angela befasst sich intensiv mit dem Thema Embryospende, liest Literatur, Erfahrungsberichte. «Viele haben das Gefühl, man geht ganz unreflektiert ins Ausland, um solche Spenden durchzuführen. Doch das ist ein Irrtum. Hinter solchen Entscheidungen stecken so viele Gespräche, Überlegungen und Entscheidungen», sagt Angela.
Das Paar entscheidet sich nach intensiver Auseinandersetzung für eine anonyme Spende – eine Entscheidung, die Angela heute wohl anders treffen würde: «In der Retrospektive würde ich mich für eine offene Spende entscheiden. So hätte das Kind ab einem gewissen Alter die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob es die Spenderin oder den Spender aufsuchen möchte. Wir stehen aber hinter unserem Entschluss, welcher nicht unreflektiert entstanden ist.»
Angela bringt ihre letzte Kraft für den letzten Eingriff auf. Ihr Körper hat eine Menge durchgemacht: unzählige Medikamente, hormonelle Veränderungen, Operationen.
Noch einmal reist das Paar nach Spanien und informiert niemanden über ihren Plan. Zu gross die Angst, dass es wieder nicht klappt. Zu gross der Respekt vor den Reaktionen der in der Schweiz verbotenen Embryospende.
Zurück in der Schweiz erscheinen auf dem Schwangerschaftstest zwei Strichli. Endlich. Kann das wirklich sein? Drei weitere Tests, drei weitere Strichli.
Angela kann es nicht fassen. Bricht in Tränen aus.
Nach der Geburt des langersehnten Wunschkindes wiederholt sich dasselbe Szenario nochmals. Angela hat ein erstaunliches Flashback: Ein Schwangerschaftstest fünf Monate nach Entbindung zeigt wieder zwei Strichli.
Sie ist fassungslos. Nachdem sie während fünf Jahren versucht hatte, schwanger zu werden, entwickelt sich in ihrem Bauch nun unbeabsichtigt ein Fötus. Ein heranwachsendes, genetisch verwandtes Kind.
«Das war eine riesige Überraschung – ein Wunder!»
Dass es sich dabei um einen Glücksfall handelt, bestätigt Prof. Dr. med. Michael von Wolff, Chefarzt Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am Inselspital Bern. Eine medizinische Erklärung dafür gebe es nicht. Eine Schwangerschaft führe nicht zur Verbesserung der Fruchtbarkeit. Er sagt aber: «Wenn nur fertilitätsmindernde Faktoren vorliegen, dann kann mit etwas Glück später doch noch eine Spontanschwangerschaft eintreten.»
Heute sind die Kinder 7 und 8 Jahre alt und wissen bereits, dass sie genetisch nicht miteinander verwandt sind. Bildlich sind sie über sämtliche Familienformen aufgeklärt worden und geben ihr Wissen anderen Kindern weiter: «Kürzlich sagte meine Tochter beim Spielen: Es gibt ‹imfall› auch Kinder, die zwei Papas oder zwei Mamas haben. Und manchmal müssen Mamas und Papas auch zu einer Ärztin gehen, um ein Kind zu bekommen. Da dachte ich: ‹That's my girl!›»
Manchmal spüre sie aber die spanischen Gene: «Die Tochter ist viel temperamentvoller als der Sohn», witzelt die stolze Mutter. Wenn ihr gesagt werde, dass sie ein Abbild der Mama sei, müsse sie jeweils schmunzeln. «Wenn die wüssten ...»
Angela hat ihr Lachen und ihre Lebensfreude wieder gefunden. Die vielen Behandlungen waren nicht nur eine körperliche und psychische Belastung, sondern auch eine finanzielle.
«Das Geld fehlt uns heute zwar für die Finanzierung eines Eigenheims.» Doch das sei «sowas von zweitrangig».
«Wir haben unser Familienglück gefunden, welches aus so viel mehr als ‹Genetik› besteht», sagt Angela mit glasigen Augen. Die Kinderwunschzeit habe sie auch demütig werden lassen – es sei eben nicht alles selbstverständlich im Leben.
Was genau soll an den Anforderungen denn überholt sein? Allenfalls könnte man Heirat durch vertraglich geregelt ersetzen, alles andere empfinde ich aber als sinnvoll.
Wieso ist eine Adoption in der Scheiz heute so schwierig und umständlich?
Fürs Kindermachen brauchen wir ja auch keinen Fähigkeitsausweis!?