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Diese Frau übersetzt Musik in Gebärdensprache

Diese Frau übersetzt Musik in Gebärdensprache: «Es gibt auch Taube, die das blöd finden»

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Dank Laura M. Schwengber lohnt sich ein Konzertbesuch auch für Gehörlose. Die 28-jährige Deutsche dolmetscht Musik in Gebärdensprache. Wie das geht, erklärt sie im Interview.
06.05.2018, 15:0506.05.2018, 22:34
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Bevor das Interview beginnt ein Hinweis: Ganz zuunterst hat es ein Quiz, bei dem du versuchen kannst, nur mithilfe der Gebärdensprache den richtigen Song zu erraten.

Laura M. Schwengber, warum gehen Gehörlose an Konzerte?
Laura M. Schwengber:
Viele sagen mir, dass es ihnen um das Gesamterlebnis geht. Alle bewegen sich, hüpfen rum, es gibt bunte Lichter, es ist nett, es ist stickig. Ein fröhlicher Abend mit Freunden. Aber klar: Auch Taube wollen an einem Konzert möglichst viel von der Musik mitkriegen.

Als Hörender fragt man sich, wie sich Musik für Taube anfühlt. Herbert Grönemeyer drückt es in einem Lied so aus: «Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist. Wenn der Boden unter den Füssen bebt. Dann vergisst sie, dass sie taub ist.» Hat das etwas?
Ich kenne Taube, die sagen, «so funktioniert Musik tatsächlich für mich. Es muss laut sein und richtig beben». Ich habe aber auch schon von Tauben gehört, «Macht den Bass ein bisschen weniger, mir wird schlecht davon». 

Musik nur, wenn sie laut ist

Kriegen Gehörlose bei einem Konzert viel mit?
Ich denke schon. Ich sehe das an tauben Freunden, die im Publikum sind. Wenn die Musik sehr, sehr traurig ist, haben auch sie Pipi in den Augen; auch sie hüpfen mit, formen ihre Hand zu einem «Ooh», wenn das ganze Publikum mitgröllt. Der Funke springt schon rüber, das sieht man auf jeden Fall. Vor allem dann, wenn das Konzert auf Gebärdensprache gedolmetscht ist. 

Zur Person
Laura M. Schwengber wollte eigentlich Sängerin werden. Als ihre Gesangslehrerin ihr sagte, «nee Laura, das wird nichts», hatte sie ein Problem. Ihr fehlte ein Plan B. Durch ihren besten Freund, der gehörlos ist, führte ihr Weg dann doch noch auf die Bühne. Laura studierte Gebärdensprache und fing bald auch an Konzerte für Gehörlose zu dolmetschen. Mit grossem Erfolg: Zuletzt war die 28-Jährige mit Peter Maffay auf Tournee. Und arbeitete für Videos schon mit den Toten Hosen und Silbermond zusammen.

Damit kommst du ins Spiel. Du warst in Deutschland die erste, die angefangen hat, Musik in Gebärdensprache zu übersetzen. Geht das überhaupt?
Ich habe es zuerst auch nicht geglaubt. Als mich der Norddeutsche Rundfunk (NDR) vor einigen Jahren das erste Mal anfragte, Musik in Gebärdensprache zu übersetzen, habe ich zuerst an einen Jux gedacht. Ich liess mich trotzdem darauf ein und musste feststellen – es funktioniert. 

Wie?
Ich brauche für das Musikdolmetschen natürlich zum einen den Text. Vorausgesetzt, es gib einen. Diesen dolmetsche ich ganz klassisch in Gebärdensprache – wie ich es bei einer Rede auch machen würde. Dann kann ich zu den einzelnen Gebärden den Rythmus hinzufügen, indem ich sie in der passenden Geschwindigkeit ausführe. Zudem arbeite ich mit nicht körpergebundenen Gebärden.

Das heisst?
Ich muss für manche Gebärden nicht mit dem Zeigefinger an eine bestimmte Stelle an meinen Körper tippen, damit die Gebärde richtig ist. Sondern ich kann den Zeigefinger irgendwo im Raum bewegen. Dann kann er wandern in der Form der Melodie. Beispiel: Je höher der Zeigefinger, desto höher der Ton. Je nachdem was es für eine Musik ist, kommt dann noch hüpfen und springen dazu. Mir persönlich ist besonders wichtig, dass die Emotion der Musik rüberkommt. 

Du kannst dir das nicht vorstellen? Dann schau dieses Video

Wie bringt man die Emotion der Musik den Gehörlosen im Publikum rüber?
Viel natürlich mit der Mimik. Wenn der Song traurig ist, dann sehe ich tatsächlich so aus, als würde ich demnächst anfangen zu weinen. Was ich dann manchmal auch ein bisschen tue (lacht). Ich lasse mich schon sehr mitnehmen von der Musik, versuche expressiv zu sein. Bei wütenden und lauten Liedern gebärde ich ganz gross, mit kräftigen Handbewegungen. Bei klassischen Liedern versuche ich die Hände sanfter zu bewegen, meine Bewegungen sind fliessender.

Was machst du, wenn der Schlagzeuger zu einem Solo ansetzt?
Mich freuen, denn das macht Spass (lacht). Nein, im Ernst: Erstmal gehe ich einen Schritt aus meinem Spot raus, sprich aus der Fläche, die für mich beleuchtet ist. Denn jetzt geht es nicht um mich und nicht darum, was inhaltlich passiert. Jetzt geht es um den Schlagzeuger, um den Musiker der dort sitzt. Und dann, wenn er sowieso schon gut zu sehen ist ...

... braucht es dich gar nicht mehr.
Genau, im Prinzip dolmetscht er sich dann selber. Ich schaue dann, was die anderen Musiker machen. Der Sänger macht ja in diesen Momenten oft irgendwelchen Spass mit dem Gitarristen. Sowas kann ich dann auch mitmachen. Oder ich spiele zum Beispiel Luftschlagzeug. Was gerade halt so passt.

Laura M. Schwengber
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Wie kommt deine Konzert-Übersetzung bei den Gehörlosen an?
Grösstenteils gut. Es gibt aber auch solche, die das Blöd finden, was ich mache.

Warum?
Manche sagen, dass Musik nach wie vor etwas sei, das sie gar nicht interessiere. Denn egal wie ich die Finger tanzen lasse würde, sie würden nach wie vor nicht verstehen, was eine Violine von einer Bratsche unterscheide. Und damit haben die Leute total recht. Aber das ist auch gar nicht mein Ziel. Es geht mir mehr um die Emotion, um das Gemeinsame in der Musik. Weiter gibt es auch immer solche, die sich wünschen, dass ich längere Finger habe oder kleinere Bewegungen mache.

Kannst du mit solcher Kritik gut umgehen?
Zu Beginn hatte ich echt daran zu knabbern. Weil ich ja wollte, dass mich alle mal grundsätzlich cool finden. Bis ich realisierte, dass diese Diskussion eine ist, der auch alle Musiker ausgesetzt sind. Wenn ich bei Helene Fischer auf die Facebook-Seite gucke, dann merke ich recht schnell, dass es total ok ist, wenn nicht alle toll finden, was man tut. 

«Die Bands sehen, dass taube Menschen tatsächlich kommen und Eintritt zahlen.»

Nun sprachen wir über deine Kritiker. Aber du hast sicher auch Groupies.
Es gibt Leute, die mir mittlerweile hinterher reisen und deutschlandweit an allen Konzerten sind, die ich dolmetsche. Was bei rund 50 Konzerten im Jahr total irre ist. Dann gibt es auch Leute, die selber Bands anschreiben und sagen: «Hey, es gibt da die Laura und ich möchte gerne auf euer Konzert gehen. Könnt ihr es bitte hinkriegen, dass sie da ist und für mich dolmetscht.» Der Bedarf ist total da und das ist supersuperschön.

Laura tritt auch in Musikclips auf

Wirst du immer häufiger angefragt, um ein Konzert in Gebärdensprache zu dolmetschen?
Die Nachfrage steigt tatsächlich. Ich glaube, dass das Ganze auch daran liegt, dass die Unsicherheit nicht mehr so gross ist. Bis vor ein paar Jahren hatten Musiker in ihren Kollegenkreis niemanden, den sie fragen konnten, wie das so ist. Ob das ablenkt, ob das irgendwie die Show stört. Weil es einfach noch nie einer gemacht hatte. Und mittlerweile ist es so, dass die Bands irgendwo ein Dolmetscher sehen und sich sagen, ‹dass wollen wir auch gerne haben›. Und was auch ein Faktor ist, den man nicht unterschätzen darf: Die Bands sehen, dass taube Menschen tatsächlich kommen und Eintritt zahlen.

«Ich dachte noch, vielleicht haut er dir jetzt eine runter. Dann stand er vor mir und sagte mit ganz krassen, abgehackten Gebärden: ‹Ich bin jetzt 67 Jahre alt. Das war mein erstes Konzert. Danke.›»

Eine neue Zielgruppe also.
Ja, genau. Und eine, die sehr lange ignoriert wurde. Das zeigte mir auch ein Erlebnis an einem Konzert in Potsdam. Nach dem Konzert kam ein gehörloser Zuschauer auf mich zu, schaute dabei ganz grimmig. Ich dachte noch, vielleicht haut er dir jetzt eine runter. Dann stand er vor mir und sagte mit ganz krassen, abgehackten Gebärden: ‹Ich bin jetzt 67 Jahre alt. Das war mein erstes Konzert. Danke.› Das hat mich geschockt auf ganz vielen Ebenen: Wie lange er warten musste und wie gut es ihm gefallen hatte. Es hat mich total geflasht, wie neu diese Erfahrung für ihn war.

Gibt es Hörende, die sich an deiner Anwesenheit auf der Bühne stören?
Das hatten wir am Anfang ab und zu. Vorne auf der Hauptbühne war die coole Show, an dessen Rand jemand stand, der irgendetwas gemacht hat, das nicht wirklich verstanden wurde. Irgendetwas für die Behinderten, so viel haben die meisten Konzertbesucher zumindest begriffen. Das Problem: Ich war ein Fremdkörper, kein Teil der Show.

Was hast du verändert?
Ich fing an, die klassischen Regeln zu ignorieren. Diese lauten: Auf dem Fleckchen Erde stehen bleiben, auf dem ich ausgeleuchtet bin. Und: mich nicht gross bewegen. Seit ich mich viel mehr als Teil der Band sehe und die Musiker auch ihre Unsicherheit verloren haben, stören sich weniger Konzertbesucher an mir. Jetzt sagen viele, es sei so, als ob noch jemand dazu tanzen würde. Sozusagen eine zusätzliche Tänzerin auf der Bühne.

Laura M. Schwengber
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Ein Konzert dauert schnell länger als zwei Stunden. Ist das nicht sauanstrengend für dich?
Ja (lacht). Ich trainiere daher sehr regelmässig, bin alle zwei Tage im Fitnessstudio, sorge dafür, dass ich diese zwei, drei Stunden durchhalte. Während des Konzertes ist der Adrenalinspiegel aber so hoch, dass das gut machbar ist. Die Musiker kriegen es ja auch hin.

«Doubletime Rap ist definitiv taffer zu übersetzen als eine Regierungserklärung.»

Nächste Woche wirst du im NDR den Eurovision Song Contest für Gehörlose dolmetschen. Warum ist dieser Anlass für dich eine besondere Herausforderung?
Zum einen die Menge der Lieder. Es sind 43 Titel. 12 davon sind in Sprachen, von denen ich rein gar nichts verstehe. Dazu kommt die Zeit. In 5 Tagen finden 3 Liveshows statt, in denen jeweils um die 20 Songs gespielt werden. Dabei wach und fit zu bleiben, ist eine krasse Geschichte. Hinzu kommt mein Anspruch, es möglichst gut machen zu wollen. Ich erlebe den ESC als ein riesen Happening, zu dem ich auch tauben Leuten einen möglichst guten Zugang ermöglichen möchte.

Der Eurovision Song Contest 2018 in Gebärdensprache
Im Auftrag des NDR übersetzt Laura N. Schwengber zusammen mit Kolleginnen die beiden Halbfinals (nächsten Dienstag und Donnerstag) und den Final (Samstag) des Eurovision Song Contest in Gebärdensprache. Der Livestream findet man jeweils unter: https://www.eurovision.de

Wächst die Community der Gehörlosen, die den ESC lieben?
Ja sehr, und das finde ich total faszinierend. Bereits letztes und vorletztes Jahr war der ESC bei Gehörlosen ein Thema und es kam beispielsweise die Idee auf, ein Public Viewing zu organisieren. Das war aber immer so ganz knapp vor dem ESC. Dieses Jahr jedoch fing die Diskussion schon viel früher an, bereits mit dem deutschen Vorentscheid. Die Themen: «Wer sind die deutschen Kandidaten, was haben sie an, wie sehen sie aus?» Dies finde ich voll super, weil ich es als klares Symptom von Inklusion wahrnehme. Gehörlose und Hörende fangen an über gleiche Sachen zu diskutieren. 

Du übersetzt auch im deutschen Bundestag. Was ist anspruchsvoller: Merkel übersetzen oder ein Konzert zu dolmetschen?
Es kommt darauf an. Doubletime Rap ist definitiv taffer zu übersetzen als eine Regierungserklärung. Vor allem, wenn ich bei letzterem schon vorher weiss, um welches Thema es geht und mich vorbereiten kann. Aber wenn zum Beispiel jemand im Bundestag steht und die Geschichte des Pflegegesetzes vorträgt und von anno dazumal Paragraphen und Politiker aufzählt, wird es anspruchsvoll. Dann doch lieber Helene Fischer.

Du stehst jetzt mit den grossen Stars auf der Bühne. Zuletzt mit Peter Maffay. Wie fühlt sich das an?
Ziemlich gut (lacht). Die meisten sind super entspannt und sehr neugierig. Jene, die international auf Tour waren, hatten in anderen Ländern schon einmal einen Dolmetscher mit auf der Bühne. Denn zum Beispiel in Amerika ist es so, dass ab einer gewissen Konzertgrösse gedolmetscht werden muss. Dies ist gesetzlich so geregelt.

Mit wem würdest du gerne einmal auf der Bühne stehen?
Justin Timberlake ist gerade auf Europatournee. Ich finde, der könnte eigentlich auch mal anrufen. (lacht)

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