Wenn ich meine Reise an den Afrika-Cup in einem Satz etwas salopp zusammenfassen müsste, es wäre dieser hier: «Nichts funktioniert, aber alles geht.» Er gilt eigentlich bei allem, was ich unternehmen will. In den allermeisten Fällen ist es um mich herum laut und mühsam und Pläne kann man kaum so umsetzen wie geplant. Vieles dauert zudem länger als erhofft. Aber immer findet man einen Weg und kommt irgendwann an.
Das fing in diesem Jahr schon bei der Reisevorbereitung an. «126.50 Franken», sagt der leicht genervte Mitarbeiter der ivorischen Botschaft in Bern. Ich sehe meinen erfolgreichen Visumsantrag doch noch dahinschwinden. Denn ich habe nur noch 126 Franken in bar dabei. Seit gut einer halben Stunde verhandeln wir bereits, ob ich alle benötigten Unterlagen vorschriftsgemäss beisammen habe.
Genervt sind wir beide, zeigen darf ich es nicht. Meinem Einladungsschreiben vom afrikanischen Fussballverband fehlt die Unterschrift, auf meiner AirBnB-Reservation vorerst mein Name, meine Flugbestätigung ist zu klein gedruckt und meine Gelbfieberimpfung zu dunkel kopiert. An allem hat er irgendwas auszusetzen. Immer wieder klärt er bei der Botschafterin ab. Er wolle mir ja so gerne die Reise in sein Land ermöglichen, aber Regeln seien halt Regeln. Diese Bürokratie, da kann kein Bünzli mithalten.
Und jetzt dieser letzte Punkt: das Geld. Ich wusste, man muss den Betrag von 120 Franken für das Visum genau mitbringen. Ich vergass, dass ich auch noch die 6.50 Franken für den eingeschriebenen Brief bezahlen muss. Was jetzt? Der Mitarbeiter hat Erbarmen. «Dieses Mal schenke ich dir die 50 Rappen, aber für das nächste Mal», sagt er und kramt eine leicht vergilbte Liste mit 13 Punkten hervor, die den Visumsantrag regeln, «das nächste Mal gilt diese Liste aufs Wort.» Dieses Umgehen der Bürokratie, da kann kein Bünzli mithalten.
«Heute kommst du durch, aber nächstes Mal gelten die Regeln», ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mir das rund um den Afrika-Cup gesagt wurde. Sicherheitsleute und Militär scheinen rund um die Stadien so zu funktionieren. Obwohl ich mit der Akkreditierung (fast) überall Zutritt habe, lehnen sie erst entschieden ab, fragen dann ihren Vorgesetzten und der erklärt mir eben genau dies: «Heute ist's okay, nächstes Mal nicht mehr.» Ich nicke dankend und wir beide wissen genau: Ein nächstes Mal wird es nicht geben.
Klar ist einfach: Nichts ist fix, bis es tatsächlich eintrifft. Alles kann sich bis zum letzten Moment noch ändern. Mal zum Guten, mal zum weniger Guten. Ein Einheimischer in Uganda erklärte mir vor Jahren, dass die Unverbindlichkeit, die mit Smartphones die Welt eroberte, Afrika perfekt widerspiegelt: «Gefühlt ist mit diesen Dingern alles möglich. Nur wenige kennen den schnellsten Weg und schöpfen alle Möglichkeiten aus. Und plötzlich verschwindet etwas und etwas Neues entsteht.»
Dieses «Man weiss nie recht, was passiert» trifft auch auf den Weg von meiner Unterkunft zum grossen Busbahnhof im einigermassen berüchtigten Viertel Adjamé zu. Der Taxifahrer hupt und drängelt und überholt mal links, mal rechts. Er schimpft und flucht und hat es im dichten Morgenverkehr Abidjans eilig. Dann plötzlich fährt er rechts ran, steigt aus und erleichtert seine Blase. All das Drängeln für nichts.
Trotzdem schaffen wir es rechtzeitig zum Busbahnhof. Hier herrscht ein heilloses Durcheinander. Ich wäre völlig aufgeschmissen. Er aber nimmt mich sprichwörtlich an der Hand, besorgt das Ticket, stellt mich in die richtige Schlange vor den richtigen Bus nach Yamoussoukro und wartet, bis ich sicher eingestiegen bin. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie mühsam das geworden wäre, wenn er mich einfach da abgesetzt hätte.
In Abidjan erlebe ich krasse Gegensätze. Im modernen Supermarkt kann ich Orangen aus Spanien, Mangos aus Brasilien oder Schoggi aus der Schweiz kaufen und bezahle mit Kreditkarte. Wenige Meter daneben möchte ich für die Überfahrt mit der alten Fähre den Fahrpreis von umgerechnet rund 30 Rappen mit dem Gegenwert von rund drei Franken bezahlen. Die Dame am Schalter fragt, ob ich nicht kleineres Geld habe, sie habe wenig Wechselgeld.
Es wirkt wie in einer Parallelwelt. Am krassesten wird mir dies bewusst, als ich zum Eröffnungsspiel zwischen der Elfenbeinküste und Guinea-Bissau unterwegs war. So viele feiernde Menschen am Strassenrand, aber den Eintritt ins Stadion können sie sich niemals leisten.
Man hört in der Schweiz viel, wie gefährlich es in Afrika oder der Elfenbeinküste sein kann. Natürlich sollte man einige Gegenden meiden und einige Regeln beherzigen. Insgesamt habe ich mich nie unwohl gefühlt, nie wurde ich bedrängt, nie fühlte es sich an als, werde ich über den Tisch gezogen. Im Gegenteil. Es ist wie überall: 99 Prozent der Menschen sind freundlich und hilfsbereit. Das fällt mir vor allem bei den Taxifahrern auf. Vielleicht auch, weil Uber teilweise funktioniert oder die lokale Variante Yango sich durchgesetzt hat. So fallen Diskussionen über den Preis weg.
Ich steige trotzdem gelegentlich in ein «normales» Taxi. Einmal, um zum Banco Nationalpark – einem Urwald so gross wie der Zugersee mitten in der Stadt – zu kommen. Wir handeln einen Preis aus – 5000 CFA-Francs (ca. 8 Franken).
Als ich nach dem Parkbesuch wieder einsteige und wir für den Guide noch einen kleinen Umweg fahren, sagt er: «Das macht dann total 14'500 CFA-Francs (ca. 25 Franken).» Ich behaupte erstaunt, er koste mich ja mehr als meine Frau (was natürlich nicht stimmt, weil sie finanziell total unabhängig von mir ist). Da erklärt er mir ganz ruhig: «Ich möchte dich nicht abzocken, das ist Mathematik. 5000 die Hinfahrt, 4000 die Wartezeit, 5500 die Rückfahrt.»
Ein anderer Taxifahrer stellt mir die Gegenfrage, wie viel ich denn für die gefragte Kurzstrecke bezahlen möchte?
Ich: «1500 CFA-Francs.»
Er: «2000.»
Ich: «1700.»
Er nickt.
Ein Dritter wiederum fragt nach einer Partie vor dem Stadion auch nach meinem Angebot.
Ich: «3000 CFA-Francs.»
Er: «5000.»
Ich: «4000.»
Er: «Es hat so viele Leute hier, jemand bezahlt mir 5000.»
Ich bin dieser jemand.
Da machte ich in anderen Ländern Afrikas schon ganz andere Erfahrungen. Aber hier in der Elfenbeinküste läuft alles mehr oder weniger entspannt ab, oder zumindest so entspannt, wie es im lauten Stadtalltag von «Babi», wie Abdijan im lokalen Nouchi-Französisch genannt wird, halt werden kann. Aber ich würde sogar sagen: Die Elfenbeinküste ist ein gutes Einstiegsland, wenn du mal eine Reise nach Afrika planst.
Was denn der Reiz des Afrika-Cups ausmache, werde ich immer wieder gefragt. Viele können die Faszination nicht nachvollziehen oder würden sich nicht in eines der Austragungsländer «wagen». Es hat schon etwas, dass Afrika dich entweder total packt oder völlig kaltlässt.
Für mich ist es jedes Mal eine unbezahlbare Erfahrung. Man lernt so viel in so kurzer Zeit und es wird dir vor Augen geführt, wie gut es uns in der Schweiz grundsätzlich geht. Einmal will ich mithilfe von Google Maps einem Taxifahrer zeigen, wohin ich möchte, weil ich den Namen des Viertels sicherlich falsch ausspreche. Ich zeige ihm den Ausschnitt mehrere Male, bis ich merke: Er kann gar nicht lesen. Da sitzt du dann nur noch im Taxi und denkst, was für ein grosses Glück du hattest, dass du in einem Land geboren wurdest, das freien Zugang zu Bildung hat.
Meist erlebst du mit anderen europäischen Journalisten oder Bekannten irgendwo im Stadion, im Bus oder im Restaurant etwas, das man gar nicht so recht erklären kann. Wir sagen uns dann jeweils: «Das kannst du zu Hause zwar erzählen, aber wenn du es nicht miterlebt hast, kannst du es kaum nachvollziehen.»
Das Abholen der Akkreditierung dauerte bei mir beispielsweise über drei Stunden. Gefühlt hätten auch zehn Minuten gereicht. Denn im Raum sitzen zwölf Personen an Computern, aber arbeiten können sie angeblich erst, wenn der Chef einen Antrag durchwinkt.
Um dessen Tisch bildet sich ein Pulk von Leuten, dahinter sitzen alle in der Warteschlange. Immer wieder kannst du einen Stuhl näher zum Ziel rücken. Aber dann drängeln sich noch irgendwelche vorne rein, andere erhalten aus einem Grund eine Expressbehandlung, manchmal kommt einer mit einer Liste von Akkreditierungen und blockiert alles und zwischendurch kommt es fast zu Handgreiflichkeiten. Man kann solche Szenen nicht erfinden, das würde einem niemand glauben.
Bei all den Mühseligkeiten, die mich teilweise auch nach Jahren fast verzweifeln lassen, so eine Reise gibt so viel zurück, das hebt das alles locker wieder auf. Ich kann nur allen empfehlen, sich selbst mal ein Bild davon zu machen. Ich glaube, eine Afrika-Reise bereichert jedes Leben.
Nichts funktioniert, aber alles geht. Zurück in der Schweiz stehen wieder andere Herausforderungen bereit. Während eines Tages mit meinen Kindern denke ich: Eine Reise an den Afrika-Cup ist so ein bisschen wie das Leben mit mindestens zwei kleinen Kindern. Selten klappt etwas so, wie man sich das vorgestellt hat. Aber irgendwie geht es immer. Und für mich ist es einfach das grösste Glück auf Erden. Ich freue mich schon auf den Afrika-Cup 2025 in Marokko.
*Ja, ich weiss. Afrika ist kein Land. Dieses Mal fand der Afrika-Cup in der Elfenbeinküste statt. Ich war eine Woche da und habe so viel erlebt, was ich aus meinen Reisen in diverse andere afrikanische Länder bereits zu gut kannte. Anderes war mir neu. Der Ausdruck «This is Africa» kommt nicht von ungefähr, auch wenn jedes Land seine eigene Identität(en) hat. Es läuft auf dem Kontinent einfach vieles anders, als wir es uns aus der Schweiz oder Europa (ist ja auch kein Land) gewohnt sind.