Ein Jahr lang war das Zittern gross. Ein Jahr lang hat der britische Überkünstler Damian Hirst den Kunstmarkt in Atem gehalten. Nun ist das Ergebnis da, und er beschreibt es auf seinem Twitter-Account mit Emphase: «Das Jahr ist vorüber. Boom! Das ging schnell! Wir alle mussten entscheiden: Glauben wir an die physische Kunst oder an NFT?»
Boom, was ist passiert? Vieles und Erschütterndes. Und er selbst, der Kunst-Skandalist und Finanzmann, der inzwischen eine Milliarde Dollar erwirtschaftet haben soll mit seinen Aktionen, war der Erste, der vom Resultat überrascht schien.
Damian Hirst, einer der teuersten Künstler der Gegenwart, hat während eines Jahres seine Sammler vor eine fiese Wahl gestellt: Sie mussten sich entscheiden, ob sie die Laserkopien seiner Werke «The Currency» (Die Währung) entweder physisch behalten oder in digitale Werte umtauschen wollten. Und die Uhr lief: Die verbleibenden Papierarbeiten – insgesamt 10000 Blätter, auf denen Hirst 2016 Punkte in Emailfarbe getupft hatte – werden ab 9. September in seiner Londoner Galerie von ihm selbst auf einem Scheiterhaufen in Brand gesteckt.
Goodbye gute alte Kunstwelt, welcome schöner neuer Kryptomarkt. Nur digitale Kunst soll überleben. Hirst, bekannt für seine Provokationen rund um die Themen Kunst, Geld und Tod – er verkauft Haie in Formaldehyd für 14 Millionen Dollar, einen Menschenschädel mit Diamanten besteckt für 15 Millionen – setzt neue Massstäbe in der Skandalkunst.
Den Flammen überantwortet werden gepunktete handgeschöpfte Papierbogen, die nach den Lieblingsliedtexten des Künstlers benannt sind. Aussagekräftig heissen sie: «Totally Gonna Sell You», «Laugh in our Faces», «This old Art: You’re always so Interesting» und – «Where the Money was gestern».
Ein bekannter Kunstkritiker meinte einmal über Damian Hirst. Kurz bevor er starb, der Kritiker:
Dabei schien der gute Mann zu übersehen: Der Künstler als Kenner von Vermögensbildung hat durchaus Talent, denn er weiss sehr genau, was der Markt will und was dem Markt gebührt. Sein Projekt «Currency» jedenfalls testet den Glauben an die digitale Kunst mit Witz und scharfer Selbstironie.
Doch das Ergebnis, das jetzt die Runde macht, ist anders als von ihm erwartet: Die Sammler von «Currency» entschieden sich – Skandal, Skandal –mehrheitlich für die Papiervariante. Das entspricht einer durchaus traditionellen Anlagestrategie. Physische Kunstwerke sind die Immobilien des Marktes, krisenresistent, wertbeständig; wer auf sie setzt, kann weder mit enormen Verlusten noch mit enormen Gewinnmarchen rechnen.
Entschieden mehr Mut braucht demgegenüber, wer mit NTFs pokert. Doch der Glaube daran scheint (bisher) lediglich einer Kunst-Bubble vorbehalten, die sich an sich selbst und an ihrem Schneid begeistern kann. Die Überzahl der Investoren, und das sind Hirst-Sammler und -Sammlerinnen vorzugsweise, vertrauen den tradierten Werten mehr als dem digitalen «Boom»-Boom. Der Künstler, offensichtlich enttäuscht, kontert: «Auch ich weiss nicht, was die Zukunft bereithält. Aber das ist Kunst! Der Spass ist Teil der Reise und wahrscheinlich das Ziel des ganzen Projekts.»
Doch weil es dem Spassvogel möglicherweise doch ernster ist, als er zu erkennen gibt, hat er vorsorglich 1000 Stück seiner eigenen «Currency»-Werke zurückgekauft – und, in der Hoffnung auf Profit, in NFTs umgewandelt. Für ihn sei das Projekt sein «bei Weitem aufregendstes», zitiert ihn das Magazin The Art Newspaper, denn er folge seiner Idee, dass «Kunst ein Speicher von Reichtum» sei.
Kunst war einmal eine Währung für Anleger. Damian Hirsts bringt mit seinem Spektakel die Lage und die Natur des Kunstmarkts auf den schrillen Punkt: Was Anleger war, soll Angeber werden. Er entblösst den Kunstmarkt als Casino für Hochrisikospekulanten und Blue-Chips-Fresser.
Als «Blue Chips» bezeichnet werden Künstlernamen, die weithin bekannt sind. Der Index von Artprice 100, der massgebenden Börse für die Wertentwicklung der Blue-Chip-Künstler, rechnet aus, dass deren Preise seit dem Jahr 2000 um satte 405% gestiegen sind. Eine Traumrendite! Auch wenn sie nicht NFT-basiert ist. Was das wohl über die vage Zukunft der neuen Technologie besagt?
Damian Hirst jedenfalls spielt den Preistreiber der Szene, und er bleibt seinem Ruf als Spekulant in eigener Sache verlässlich treu. Man weiss so viel Konstanz zu schätzen. In einer Zeit der Krisen und Unruhen ist unser Mann auf dem Markt der Kunstfelsen in der Finanzbrandung.
Chapeau.