Paris Hilton stellt sich oft den Tod vor. Sie hat dabei die totale Panik. Nicht, weil sie Angst vor dem Sterben hat, sondern vor dem Jenseits. Dem Danach. «Ich habe Angst, dass da einfach nichts ist. Das wäre mehr als langweilig.» Paris Hilton sagt, sie leide unter FOMO (Fear of missing out), der Angst, was zu verpassen. Einerseits.
Andererseits hat sie das Gefühl, «seit bald zwei Jahrzehnten 21 sein zu müssen». Dabei ist sie 37, eine erfahrene Unternehmerin, die mit ihren Parfums, Hundekleidern und vielen anderen Produkten mehrere Milliarden umsetzt und sich ein kleineres Vermögen von 300 Millionen Dollar erarbeitet hat, obwohl doch noch ein grösseres Erbe auf sie wartet.
Paris Hilton ist alles andere als passé, die Idee, dass sie das mittlerweile vielleicht ein bisschen sein könnte, rührt wohl daher, dass sie noch immer die gleichen sexy Plastikbilder von sich in die Welt setzt wie mit 21. Als sie an der Spitze einer neuen Bewegung stand, ja diese gar begründete: die der «Celebrity» nämlich, des Menschen, der in erster Linie fürs Berühmtsein berühmt ist.
Geschickt machte sie sich zur Marke, verknüpfte diese mit andern, mit Namen von Luxusgütern vor allem, liess sich weltweit gegen viel Geld auf der ganzen Welt zu Partys einladen (ja, auch nach Zürich ins St. Germain zu Carli Hirschmann, wir erinnern uns), jobbt bis heute als DJ, auf Ibiza, gerne auch auf Kindergeburtstagen der Superreichen, eine Million Dollar pro Set ist keine Seltenheit.
«Fame is not enough» ist das Motto ihres 9,9 Millionen Follower schweren Instagram-Accounts. Doch, ist es irgendwie schon. Wenn da nicht diese irre innere Leere wäre. Diese Angst vor dem Nichts nach dem Tod. Zum Glück sind da die Fans, die «Little Hiltons»: «Viele der Little Hiltons vergleichen mich mit Jesus», sagt sie, und: «Ich fühle mich meinen Fans näher als den meisten Menschen, die ich kenne.»
Brittany Furlan etwa kam durch das Videoportal Vine zu Fame, doch als Vine eingestellt wurde, stand sie vor dem Nichts, sah sich gezwungen, wieder ganz normal als Schauspielerin zu krüppeln, wurde logischerweise nicht ernst genommen. Bis sie auf ihren grössten Fan aus Vine-Zeiten stiess, den zwanzig Jahre älteren Tommy Lee, die beiden verliebten sich glücklich, und wenn sie sich nicht getrennt haben, sind sie immer noch zusammen und beglücken Furlans 2,4 Millionen Instagram-Fans mit John-und-Yoko-Imitationen.
Ein junges Paar – sie 19, er 21, seit zehn Monaten zusammen – lässt sich «Slutwhisperer» auf die Hinterbacken tätowieren. Slutwhisperer ist der Künstlername von Kirill Bichutsky, der seine Nächte damit verbringt, an Partys ziemlich nackte Mädchen mit Champagner zu bespritzen und zu fotografieren. Mit diesen «Champagne Facials» ist er sehr, sehr, sehr berühmt und recht reich geworden. In welchem Entwicklungsstadium befindet sich der privat ganz sympathische und reflektierte 34-Jährige eigentlich?
Dabei würde er soooo gern mal eine Auszeit machen, reisen, wie ihm seine Mutter das rät, aber halt nur mit einer Freundin, nicht allein. Er ist schon jetzt ganz in der Leere angekommen, manchmal würde er sich gerne umbringen, aber dann sagen seine Fans: «Erst musst du mit uns feiern und uns ein paar Bilder mit dir schiessen lassen.» Im Gegensatz zu Paris Hilton hasst und verachtet er seine Fans.
Der weit robustere und auch schon etwas ältere DJ Khaled (43) hat beschlossen, restlos alles in seinem Leben zu Geld zu machen, auch seinen Sohn Ashad. Der ist zwei Jahre alt, hat auf Instagram auch schon seine 1,9 Millionen Follower und eine eigene Minischuhlinie bei Jordan. Läuft.
Josh «The Fat Jewish» Ostrowsky (10,5 Millionen Insta-Follower, 36) – und hier stellt sich ganz fest die Frage, wieso eigentlich alle Influencerinnen das Gefühl haben, wie Barbie aussehen zu müssen, während ihre Kollegen keinerlei Beautybedenken haben – kann die Ausmasse des Hiltonschen Fame echt nicht fassen, er bricht fast zusammen vor Verehrung.
Er und Paris haben eine lustige Idee: Sie setzen eine fiktive Modelinie für Baby-DJs ins Internet, natürlich ist's ein Hit. Josh hat auch schon den «White Girl Rosé» erfunden, als in den Hamptons mal ein akuter Rosé-Mangel herrschte. Das Getränk wurde umgehend zum meisterkauften Rosé in Amerika.
Aber wahrscheinlich ist Ironie auch nur ein rhetorisch etwas raffinierterer Rechtfertigungsversuch für den brutalen Mist, mit dem die mittelalten Influencer ihre Fans finden und den diese potenziert von ihnen einfordern. Kirill jedenfalls ist sich sicher, dass beide Seiten einander bebullshitten.
Die Abnutzungserscheinungen an Paris Hiltons sensibler Seele sind offenbar gross: Sie entwickelt jetzt einen Avatar, der für ihre Online-Community online Partys schmeissen und Musik auflegen kann. Es wird ihre Fantasy-Welt, die sie von ihrem Sofa aus moderieren will. Na, wenn das bloss nicht langweilig wird.
«The American Meme» läuft jetzt auf Netflix.