Billie Eilish und FINNEAS gewinnen also einen Oscar für ihren Bond-Song «No Time to Die» – und Eilish kriegt sich nicht mehr ein vor lauter «Oh my god, you guys!!!!» So überschwänglich haben wir sie noch nie gesehen. Damit haben die drei Songs der letzten drei Bond-Filme alle Oscars gewonnen. Adele, John Legend, Billie Eilish.
Und Jane Campion, die neugeborene Western-Regisseurin, gewinnt den Regie-Award für «The Power of the Dog». Überreicht von Kevin Costner, der ob seiner eigenen Emphase fast erzittert. Campion findet ihn «sehr dramatisch». Ihre eigene Danksagung ist umso trockener, aber herzig, wie sie ihren Spickzettel vorliest, und sich dadurch sehr deutlich von jeder Schauspielerin unterscheidet.
Es wird sehr viel erinnert an den heurigen Oscars. Filme, die irgendeinen Geburtstag haben, werden geehrt. Uma Thurman, John Travolta und Samuel L. Jackson etwa sind da, um exakt 28 Jahre «Pulp Fiction» zu feiern. Und den Oscar für den besten Hauptdarsteller zu überreichen. Er geht an ... wer hätte das gedacht! Nie wären wir drauf gekommen! Will Smith. Als immer leicht irrer Vater der Tennislegenden Venus und Serena Williams, die mit feuchten Augen im Publikum sitzen. «Wenn man zuoberst ist, schläft der Teufel nicht», sagt Smith. Er weint. Er hat sich nicht im Griff. Und er möchte ein Fluss aus Liebe sein.
In seiner Rede sagt er: «Es ist meine Aufgabe in dieser Lebensphase, Menschen zu lieben. Und Menschen zu beschützen. Ich will ein Fluss sein für meine Leute. Ich will ein Gefäss der Liebe sein. Ein Botschafter der Liebe, der Fürsorge. Ich möchte mich bei der Academy entschuldigen, ich möchte mich bei meinen Mitnominierten entschuldigen, für das, was ich getan habe. Die Kunst imitiert das Leben, jetzt komme ich wie der verrückte Vater rüber.» Ja, schon ein bisschen, aber im Nachhinein verstehen wir ihn. Die Auflösung für seine Anspielungen finden sich im nächsten Kapitel unseres Protokolls.
Ganz fest leider muss man auch als grösster Kristen-Stewart-Fan von Zürich oder wenigstens aus dem Kreis 6 sagen, dass Jessica Chastain den Oscar für ihre Rolle als TV-Predigerin in «The Eyes of Tammy Faye» tausendfach verdient hat. Was für ein reines, grosses Vergnügen! Ein Film zum Inhalieren. Und man könnte ihr stundenlang dabei zusehen, wie sie in diesem Kleid, das die Farbe ihrer Haare in Pailletten verwandelt und dann zu einer rosa Rose erblüht, für Menschen spricht, die während der Pandemie vereinsamten.
Es ist jetzt 4.34 Uhr. «Coda» wird bester Film 2022. Es war irgendwie absehbar. Zu präsent ist die Anekdote, dass die First Lady im Weissen Haus eine Vorführung von «Coda» veranstaltet, das ganze Ensemble eingeladen und den Film zum Must-See-Meisterwerk erklärt hat. «Coda» war in drei Kategorien nominiert und hat alle gewonnen. Und Apple TV damit im Kampf der Streaming-Anbieter gegen Netflix.
Netflix hat noch immer keinen Best-Movie-Award. Und aus der Kraft des Hundes wird ein geprügelter Hund. Zwölf Mal war «The Power of the Dog» nominiert gewesen, einen (wichtigen) Oscar gab's. Tja. Sonst: eine saubere Show, sehr okay moderiert, mit einem Ausraster, für den man im Nachhinein Verständnis hat.
Jennifer Garner, Elliot Page und J. K. Simmons – alle drei spielten vor 15 Jahren in «Juno» – verleihen den Oscar für das beste Original-Drehbuch an «Belfast». Mann, was für ein sentimentaler Haufen diese Academy ist! Der Irlandkonflikt durch Kinderaugen gesehen. Bestes adaptiertes Drehbuch wird «Coda». Nein! Leute, es mönschelet gerade alles eine Spur zu sehr.
Zum Glück kommt jetzt Billie Eilish und hauchsingt ihr «No Time to Die», und das ist so warm und kalt und elegant, dass für einen Moment alles in Ordnung ist. Billie Eilish trägt ihr Haar jetzt schwarz, ihre Kleider auch und die Bühne ist es ebenfalls. Also so monochrom wie «Dune», bloss anders. Regina Hall und Wanda Sykes verleihen Trostpreise. Für Judy Dench gibt's eine Glückwunschkarte von Kim Kardashian.
«Wow, was für ein unglaublicher Abend, niemand trägt eine Maske!», sagt Chris Rock auf der Bühne. Und dann geschieht Unglaubliches: Rock macht einen Witz über die Gewinnchancen von Will Smith und über dessen Gattin Jada Pinkett Smith, er freue sich schon auf den Film «G.I. Jada» – sie versteinert, ihr Gatte lacht erst noch, dann steht er auf, geht nach vorn und haut ihm eine rein. Eine Ohrfeige. Setzt sich, schreit: «Shut your fucking mouth! Leave my wife's name out of your fucking mouth!» Rock entschuldigt sich. «Ein denkwürdiger Moment in der Geschichte des Fernsehens.» Es ist sehr, sehr strange und irritierend.
Den Grund erfahren wir später: «G.I. Jada» war eine Anspielung auf «G.I. Jane», den Film, für den sich Demi Moore den Kopf rasierte. Jada Pinkett Smith hat aus Krankheitsgründen starken Haarausfall, weshalb sie sich lieber kahl rasierte. Rocks Witz war im besten Fall naiv. Smith Reaktion eine Spur zu impulsiv.
Während Questloves anschliessender Dankesrede – er gewinnt die Kategorie Dokumentarfilm – bricht die Leitung ab. «Da ist Hollywood sehr, sehr nervös geworden», orakeln die Fachleute des ORF. Die Leitung ist schnell wieder da. Und Sean «Diddy» Combs fordert Smith und Rock auf, ihr Problem an einer Party zu lösen. Smith lacht wieder.
«Encanto» gewinnt den Animations-Oscar. Er soll ja bei Kindern, auch sehr kleinen, schwer beliebt sein. Sorry, wir können nichts dazu sagen, weil wir keine Kinder mehr sind.
Der gehörlose Troy Kotsur wird bester Nebendarsteller mit «Coda». Er spielt darin den Vater einer hörenden Tochter. Eine stillere Dankesrede hat man nie gesehen. Er bedankt sich bei seinem Regisseur als genialem Kommunikator zwischen zwei Welten. Und bei seinem Vater, seinem «Helden», dem besten Gebärdenredner, den er gekannt habe, der aber tragischerweise nach einem Autounfall gelähmt war und nicht mehr mit den Händen sprechen konnte.
«Fahr mein Auto», also «Drive My Car», aus Japan wird bester internationaler Film. Haben wir eigentlich schon einmal erwähnt, dass diese Verleihung – die ganz und gar präpandemisch aussieht – bis jetzt ganz und gar überraschungsfrei ist?
Und dann kommt das Statement. Beziehungsweise die Zäsur. Eine kurze Pause. Drei Bildtafeln werden eingeblendet. Dies ist der Text:
«Wir möchten einen Moment der Stille einlegen, um unsere Unterstützung für die Menschen in der Ukraine zu zeigen, die jetzt gerade eine Invasion, einen Konflikt und Vorurteile innerhalb ihrer eigenen Grenzen erleben. Film ist zwar ein wichtiger Weg, um unsere Menschlichkeit in Zeiten des Konflikts zum Ausdruck zu bringen, aber die Realität ist, dass Millionen von Familien in der Ukraine Lebensmittel, medizinische Versorgung, sauberes Wasser und Notdienste benötigen. Die Ressourcen sind knapp, und wir – gemeinsam als globale Gemeinschaft – können mehr tun. Wir bitten Sie, die Ukraine auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen.»
Eröffnet wird gleich mit Beyoncé und «Be Alive» aus «King Richard». Von einem Tennisplatz in Compton aus, wo das Tennismärchen von Venus uns Serena Williams seinen harten Anfang nahm. «Oscars, I want you to tell these people where we are», singt Beyoncé und wird von einem riesigen Frauenchor begleitet – es ist eine Symphonie in Zitronengelb. War das nicht auch die Farbe, die Michelle Obama einst bei der Amtseinführung trug? Bei Beyoncé hat restlos alles seinen Symbolwert.
Amy Schumer, Wanda Sykes und Regina Hall begrüssen alle, «drei Frauen sind billiger als ein Mann», sagt Schumer. Sykes meint zu «The Power of the Dog»: «Ich habe diesen Film dreimal geschaut und bin erst in der Hälfte.»
«Der einzige Ort, an dem es besser ist als hier, ist Zuhause, da sind alle meine Pillen», sagt Schumer, die Frau, die in jüngeren Jahren schon mal in Interlaken Hasch geraucht hat. Sie habe mit ihrem Kleinkind leider keine Filme sehen können, «nur 190 Mal Encanto.» Und Leonardo DiCaprio habe schon wieder so viel in Sachen Umweltschutz getan, um seinen Freundinnen eine sauberere, grünere Welt zu hinterlassen. «Er ist älter, sie sind jünger ...»
Wie erwartet und hoch verdient gewinnt Ariana DeBose den ersten Oscar als beste Nebendarstellerin in Steven Spielbergs «West Side Story». Sie sei eine «offen queere Latina-Frau, die ihren Platz im Leben durch die Kunst gefunden» habe, sagt sie in ihrer Rede. Spielbergs Grosseltern väterlicherseits kamen übrigens aus der Ukraine.
Regina Hall ruft zum total zufälligen und mit enorm viel sinnfreiem Nahkörperkontakt verbundenen Covid-Test auf – sie wählt dazu Bradley Cooper, Timothée Chalamet, Tyler Perry, Will Smith und anderen schöne Männer. Auch Jason Momoa und Josh Brolin werden nicht von ihr verschont. Jason Momoa trägt ein Einstecktuch in den Farben der ukrainischen Flagge.
Es läuft wie verrückt für «Dune»! Sechs Oscars gehen an Denis Villeneuves Sci-Fi-Epos mit seinem zeitgemässen Sahara-Staub-Filter. Kameramann Greig Fraser (der auch für den aktuellen «Batman» verantwortlich ist) bedankt sich bei seiner Frau, die ihm, einem Mann in mittleren Jahren, erlaubt habe, monatelang mit anderen Buben zu spielen.
Die Schweiz geht leider leer aus. Der Kurzfilm «Ala Kachuu» von Maria Brendle über eine kirgisische Zwangsverheiratung blieb chancenlos. Und: Sehr verwirrlich, dass die Gewinnerinnen und Gewinner der im Voraus aufgezeichneten Kategorien bereits im Internet herumschwimmen, bevor sie auf der Bühne verkündet werden.
Habt ihr gewusst, dass Jessica Chastain durch Heirat mit einem Italiener, einem «sehr feinen Menschen», zur Baronesse geworden ist? Wir auch nicht! Zum Glück gibt's Steven Gätjen auf Pro7, der weiss sowas. Chastain sieht natürlich unfassbar gut aus. Porzellan in Schimmer. Bloss die Rüsche ganz unten hat ein bisschen was von WC-Papier-Rollen-Verhüll-Häkelei.
Es ist viel Liebe auf dem roten Teppich. Amy Schumer schmützelt mit ihrem Mann, der kein Baron ist. Nicole Kidman und ihr Keith Urban, der Mann mit der schrecklichsten Frisur der Welt, halten herzig Händchen. Kirsten Dunst und Jesse Plemons, die in «Fargo» ein Paar spielten und in «The Power of the Dog» ein Paar spielen und in echt seit Jahren verlobt sind, wirken auch heute nicht wie normale Menschen, sondern wie zwei selige Leutchen aus dem Auenland.
Kristen Stewart kommt in Hot Pants und mit ihrer Verlobten Dylan Meyer. Sie fühlt sich «leicht hysterisch und ekstatisch. Ich kann nicht glauben, dass ich hier bin.» «Spencer» sei ein Film, gemacht «von sehr, sehr netten Menschen über einen der nettesten Menschen der Welt».
Timothée Chalamet, OMG, kann ein Mann hotter sein als er? Unter seinem Smoking – nennt man dieses Oberteil so? – trägt er ... nichts! Jedenfalls obenrum. Kodi Smit-McPhee dagegen in einem hellblauen Konfirmanden-Anzug. Irgendjemand von den Kardashians ist da. Oder alle? Gätjen ist darob sehr emotional.
Zendaya – wie Chalamet aus Team «Dune» – zieht ihren noch nie vorhandenen Bauch für die Fotografen ein. Aber wo ist ihr Tom Holland? Kommt der noch? Nein. Aber Ex-Spider-Man Andrew Garfield ist ja da. Der macht Zendaya auch sehr glücklich. Judi Dench ist in Begleitung eines Mannes – eines Sohnes? – der aussieht wie ein älterer Cousin von Ed Sheeran.
Manchmal erzählt Gätjen komische Sachen: «Peter Sarsgaard, der Mann und Freund von Maggie Gyllenhaal.» Tja, es ist durchaus von Vorteil, wenn der Mann auch ein Freund ist. Ihr Bruder Jake ist auch da. Ob er auch ihr Freund ist? Und wo ist eigentlich Benedict Cumberbatch?
Film: «Coda»
Regie: Jane Campion für «The Power of the Dog»
Hauptdarstellerin: Jessica Chastain in «The Eyes if Tammy Faye»
Hauptdarsteller: Will Smith in «King Richard»
Nebendarstellerin: Ariana DeBose in «West Side Story»
Nebendarsteller: Troy Kotsur in «Coda»
Internationaler Film: «Drive My Car»
Original-Drehbuch: «Belfast» von Kenneth Brannagh
Adaptiertes Drehbuch: «Coda» von Siân Heder
Ton: Ron Bartlett, Theo Green, Doug Hemphill, Mark A. Mangini und Mac Ruth «Dune»
Kamera: Greig Fraser «Dune»
Schnitt: Joe Walker «Dune»
Song: Billie Eilish und FINNEAS mit «No Time to Die»
Soundtrack: Hans Zimmer «Dune»
Ausstattung: Zsuzsanna Sipos und Patrice Vermette «Dune»
Visual Effects: Paul Lambert, Tristan Myles, Brian Connor und Gerd Nefzer für «Dune»
Kostüm: Jenny Beavan für «Cruella».
Animationsfilm: «Encanto»
Dokumentarfilm: «Summer of Soul» von Questlove
Make-up und Hairstyling: Linda Dowds, Stephanie Ingram und Justin Raleigh für «The Eyes of Tammy Faye»
Dokumentarischer Kurzfilm: «The Queen of Basketball» von Ben Proudfoot
Kurzfilm: «The Long Goodbye» von Riz Ahmed und Aneil Karia
Animierter Kurzfilm: «The Windshield Wiper» von Alberto Mielgo und Leo Sanchez
Alle scheinen unberührt , nur einer wurde (physisch) berührt.