Frohlockt! Der Eurovision Song Contest steht wieder an! Demnächst treten die kurligsten Acts aus ganz Europa an, um den besten Song des Kontinents zu küren (so zumindest die Theorie).
Wie jedes Jahr hat es einige regelrechte Kracher darunter. Und auch einige Nieten ... sowie einige Darbietungen, die aufgrund ihrer Skurrilität schlicht zum Brüllen lustig sind. Hier folgt eine Auswahl der sehenswertesten Auftritte (aus positiven wie auch aus negativen Gründen).
«Okay, du darfst an den ESC gehen, aber du musst deinen Bruder mitnehmen, okay?»
«Und deine Schwestern kommen imfall auch mit.»
«Ach, weisst du was? Mami und Papi begleiten euch. Ist doch gemütlicher so!»
Ein Eurovisions-Klassiker: Die Rockband, die antritt in der irrigen Meinung, dies sei die perfekte Promo-Plattform für ihre Karriere. Und mit Voyager schöpft Australien gleich aus dem Vollen: Da will man innert der 3 Minuten und 14 Sekunden zeigen, was man alles drauf hat: Nerviger Synth-Pop untermalt von unnötig komplizierten Beats etwa. Epische Gesangspartien? Haben wir auch! Und ein Death-Metal-Breakdown? Hey, wieso nicht? Da schmeissen wir gleich noch ein auf freier Wildbahn vorgetragenes Keytar-Solo hinterher!
Dänemark hat es auf die genderfluiden Gen-Z-Kids abgesehen. Anders kann man diesen TikTok-Verschnitt von Cavetown nicht erklären. Aber vielleicht sind sie ja an etwas dran, denn wenn Reileys 11 Millionen TikTok-Follower alle abstimmen, dann heisst es nächstes Jahr vielleicht «Hallo aus Kopenhagen».
Deutschland tritt an mit dem wohl deutschesten Beitrag, den es jemals am ESC gab: der Pop-Version von Rammstein, gewissermassen. Oder: Leni Riefenstahl geht ins Berghain. Oder: Lordi minus den Humor. Ach, an träfen Klappentexten wird's heuer nicht fehlen. Denn, ob gerechtfertigterweise oder nicht, diese Form von Teutonen-Cosplay ist es nun mal, was die Welt sich unter «German music» vorstellt. Nichts da mit einem bisschen Frieden, nein – hier geht's um Blut und Glitter!
Und NUN: Ballermann-Techno, vorgetragen von einem, der eigentlich als The Incredible Hulk an die Fasnacht wollte, sein Kostüm aber aus Versatzstücken vom Wühltisch selber zusammenbasteln musste. Und – oh, guck! – eine hyperaktive Tanzeinlage mit etwas Human-Centipede-Action. Ach, Eurovision – we love you!
La Zarra trägt Schulterpolster, die Vlad den Pfähler auf Ideen bringen würden, und ihr Hut mag gar nicht so richtig auf ihrem Haupt bleiben, derart aalglatt ist sie ... aber zut alors, der Auftritt sitzt! Das ist wieder mal sowas von très, très chic und très, très sexy und schlicht The Most French Thing Ever. Leute, es ist grossartig.
Irland, unangefochtener Spitzenreiter der ewigen Eurovisions-Gewinnerliste mit insgesamt sieben (!) Gewinnen, fährt heuer mit einem vergessenswerten Wannabe-U2-Geplätschere auf, das versucht, Mystik zu suggerieren, indem es die Gesichter der Bandmitglieder hinter Discokugelmasken versteckt. Boah, einen solchen Satz wollte ich schon immer schreiben.
Der Song heisst «Unicorn» und ist aber das pure Gegenteil, derart generisch kommt er daher. Aber tanzen kann sie, die Noa, und singen auch ganz ordentlich. Und im Video verwandelt sie sich in einen Kentaur, was sämtliche Negativpunkte wieder zunichtemacht. Ein Kentaur, Leute! EIN KENTAUR!
Die obligate Kabaretteinlage kommt heuer aus Kroatien mit ihrem Song über Krieg und einen nicht namentlich genannten «bösen kleinen Psychopathen». Hmm, wer wohl damit gemeint sein könnte?
Offenbar existieren noch Hipster-Populationen in freier Wildbahn – zumindest in den Baltenstaaten, wie der lettische ESC-Beitrag beweist. Und, hey, das mit der Luftgitarre ist immerhin ehrlicher als bei anderen ESC-Acts, die mit ihren umgeschnallten Klampfen zum Playback mimen.
«I feel better in my sweater.» Nun, meine 14-jährige Tochter versichert mir, dass grandfather sweaters total trendy sind. Anders kann man diese Zugentgleisung von einem Auftritt auch nicht erklären.
Und da ist er ja, der heidnische-Folklore-Eintopf, der alljährlich am ESC aufgetischt wird! Die Republik Moldau bietet Kesselpauken, spooky/sexy Zwillingssängerinnen mit Hirschgeweih und einen kleinwüchsigen Flötenspieler. Fehlt eigentlich nur noch ein Menschenopfer. Und da es sich hier um Eurovision handelt, würde mich das gar nicht so sehr erstaunen.
Österreich schafft einen Primeur: Einen Song über den amerikanischen Schriftsteller Edgar Allan Poe, Pionier der Kurzgeschichte und der Schauerliteratur im späten 19. Jahrhundert. Aber leider ist Teya und Salenas Track kein Gothic-Kracher, sondern radiokonformes Eurodance, das seine Mittelmässigkeit unter halbbatziger Ironie zu verschleiern versucht. Eigentlich ist der Beitrag wohl primär als Kritik an die Musikindustrie gedacht, in der Songwriters trotz Hits kaum etwas verdienen und im Hintergrund ein Schattendasein fristen ... bloss bekommt das niemand mit.
Sofa-king good! Ahahahaha ... was? Nicht lustig? Ok. Jedenfalls sind hier Choreo und auch der Song selbst so was von Vintage Eurovision, dass es schlicht eine reine Freude ist.
Theodor möchte so, so, sooo sehr SEXAY sein. Ob er die erhoffte Wirkung erzielt? Hmm ... der Song selbst ist schon mal ein richtiger Abtörner. Und seine Stimme nervt. Und je weniger Worte man über den Auftritt verliert, umso besser.
Aber sonst ist alles super.
Es kann mitunter riskant sein, Nicht-Muttersprachler mit Metaphern und Gleichnissen hantieren zu lassen. Beweisstück a): Piqued Jacks aus San Marino, die dich «wie ein Tier riechen» können, und zudem auch «Schmetterlinge in den Ohren» bekommen.
Guess who's back? Jawohl: Die Gewinnerin von 2012 («Euphoria», weisch no?) soll's wieder richten für Schweden. Das könnte durchaus funktionieren, denn der Song ist wieder mal perfekt auf Loreens Stimme zugeschnitten, und das mit den langen Melodielinien ... ach, die Leute lieben so Zeugs. Und obwohl sie heuer offenbar Edward Scissorhands als Stylisten engagiert hat, bleibt ihr Status als Über-Diva von Eurovision unangefochten. Ein kurzer Blick auf die aktuellen Wettquoten zeigt: Loreen liegt mit deutlichem Vorsprung in Führung.
Wie gut das in Gesamteuropa ankommt, wenn ausgerechnet die Schweiz mit einem «Hey, wir sind imfall auch betroffen»-Antikriegssong antritt, werden wir ja sehen. Remo hat aber unbestreitbar eine schöne Stimme und auch die Komposition an sich ist ganz nice. Und wenn's am ESC nicht klappt, dann taugt der Song als Soundtrack zur Abschaffung der Militärdienstpflicht. Was? Zu früh?
Keine Ahnung.
Keine. Blasse. Ahnung.
Nein, echt jetzt: Ich weiss nicht, was hier abgeht. Ich weiss nur, dass dies wieder mal einer dieser Only-at-Eurovision-Auftritte ist. I love it.
Und hier der alljährliche Beitrag, der genial gut ist und (vielleicht wohl deshalb) zugleich komplett chancenlos. Dieser Flamenco-inspirierte Song, der virtuos den Drahtseilakt zwischen Tradition und Avantgarde meistert, ist schlicht eine Wucht. Aber leider kein Eurovision-Song.
Oho! Eine Bühnenshow mit Radioaktivitäts-Warnzeichen und Kreuzigungssymbolik? Wie ist das wohl zu verstehen? Nun, laut Jeffery und Andrii von TVORCHI handelt der Song davon, «frei zu sein in seinen Handlungen, Ausdrücken und Gedanken und weiterzumachen, egal wie erschöpft und verletzt man ist». Jap, verständlich.
Nach dem letztjährigen Megakracher von Sam Ryder setzt Team UK noch einen drauf ... oder doch nicht? Nein, leider trumpft die grosse Kulturnation Grossbritannien, das Mutterland der Popmusik, – das Land, das uns Bowie, Beatles und Boaty McBoatface geschenkt hat – stattdessen mit dem vielleicht generischsten, beliebigsten Song des Contests auf.
Cooles Video, aber, Mae! Und diese Fingernägel erst.