Es ist selten, dass man ein Kino mit einem vor Glück vergrösserten Herzen verlässt. Mir ist es mit Steven Spielbergs «The Fabelmans» so gegangen. Was für ein schöner, schöner, schöner Film!
Und dabei hatte ich mich überhaupt nicht darauf gefreut. Ich fand den Trailer grässlich. Total sentimental. Eine dieser klebrigen Liebeserklärungen eines in die Jahre gekommenen Regisseurs an die Magie des Kinos. Michelle Williams mit Clownsgesicht. Hoffnungslos.
Natürlich sind «The Fabelmans» all dies auch in Spurenelementen. Doch vor allem sind sie viele andere Geschichten: eine Familiengeschichte, eine jüdische Geschichte, eine amerikanische Geschichte, ein Stück Filmgeschichte und die persönlichste Geschichte, die Steven Spielberg, Vater von «Jaws», «E.T.», «Indiana Jones», «Jurrassic Park», «Schindler's List» oder «Saving Private Ryan», jemals erzählen wollte.
«The Fabelmans» ist Spielbergs frühe Geschichte. Quasi das Selbstporträt des Regisseurs als junger Tüftler. Aus dem jüdischen Namen Spielberg, der den kreativen Spieltrieb bereits in sich trägt, wurden die fabelhaften und fabulierenden Fabelmans, die Geschichtenerzähler also. Eine Familie aus lauter latent melancholischen Nerd-Vögeln. Eine liebevollere und originellere Umschiffung von drohenden Abstürzen in den Nostalgie-Kitsch gab es kaum je sehen.
Alles beginnt am Anfang. Als die Fabelmans 1952 zur Weihnachtszeit ins Kino gehen. Es ist der erste Film des kleinen Sam, der Zirkus-Thriller «The Greatest Show on Earth», und er endet mit einer spektakulären Zugkollision. Auf der Heimfahrt machen sich seine Eltern über den christlichen Lichterkitsch der Nachbarn lustig. Doch Sam hätte genau dies auch gerne, den bunten Schein, den Illusionismus, die Alltagsflucht, die er im Kino erlebt hat.
Zu Chanukka wünscht er sich eine elektrische Eisenbahn. Und stellt mit ihr den Crash so lange nach, bis ihn seine Mutter auffordert, die Katastrophe doch ein für alle Mal auf Zelluloid festzuhalten, Sams Materialverschleiss ist sonst allzu hollywoodreif.
Hinter den Fabelmans stecken nicht nur Spielbergs Erinnerungen, sondern 16 Jahre lang Erinnerungsarbeit. Spielbergs Gegenüber war dabei der Dramatiker und Drehbuchautor Tony Kushner, die beiden lernten sich bei der Arbeit zu «Munich» kennen, Spielberg vertraute sich dem zehn Jahre Jüngeren an, erzählte und erzählte, es wurde zu seiner Erinnerungs-Therapie, so lange, bis die beiden beschlossen, dass da nun genug filmreife Anekdoten beieinander wären.
Natürlich sind Erinnerungen selektiv. So selektiv wie ein Regisseur im Schnitt mit seinem abgedrehten Material umgeht. Erst im Schnitt entsteht ein Film, das lernt auch Sam Fabelman (Gabrielle LaBelle) schnell und schmerzlich, als er die in aller Unschuld aufgenommenen Homevideos seiner Familie zu bearbeiten beginnt und auf das Geheimnis seiner Mutter (Michelle Williams) stösst. Denn er sieht, dass ihre Liebe nicht nur ihrem Mann (Paul Dano) gehört. Und er weiss, was er als Regisseur zu tun hat, ein Cut, und der fragile Familienfrieden ist vorerst gerettet.
Es ist Sams Urszene als Regisseur. Er weiss nun, dass sein Job der eines Manipulators und Dompteurs ist, und die Westernfilme, die er in seiner Freizeit mit seinen Freunden macht, werden immer kühner, trickreicher, scheinbar gefährlicher.
Sams Familie ist eine Wiege aus Genie und Wahnsinn, die immer wieder die Balance verliert. Vater Burt ist ein gefragter Ingenieur in früher Computertechnik, dessen zunehmend bessere Stellen das Leben der Fabelmans zu einem Roadmovie machen, das in Kalifornien endet. Mutter Mitzi ist Konzertpianistin mit manisch-depressiven Tendenzen, ein gelegentlich sehr kindisches Feenwesen, das seinen Kindern gerade deshalb umso näher steht.
Doch da ist auch der allgegenwärtige Familienfreund Bennie (Seth Rogen), Burts bester Freund und Mitzis grössere Liebe. Die Dreiecksgeschichte, die das Familiengefüge langsam zerfrisst, wieder auferstehen zu lassen, war Spielbergs schwierigste Erinnerungsarbeit.
Wie Spielberg ist auch Kushner jüdisch und die beiden ziehen alle Register des jüdischen Humors – in den innerfamiliären Szenen, aber auch, wenn sich ein fundamentalchristliches Mädchen in Sam verliebt, weil Jesus schliesslich auch Jude war. Der Antisemitismus, dem Sam an der High School begegnet, ist direkt, brutal und sehr blond, Sam wehrt sich mit den Mitteln seiner Filmkunst und schafft es, den Gegner mit einer einigermassen verkopften Aktion zu bodigen.
Und dann kommt Hollywood. Doch das ist erst ein Gang durch eine Tür in das staubige Büro des Western-Regisseurs John Ford (gespielt von einem anderen Regiegott). Und durch eine Gasse zwischen sonnenbeschienenen Studiohallen. Das Leuchten, die Illusion, all das Verrückte und Berückende, was Sam im Filmemachen findet, das lebt jenseits dieser banalen Mauern. Das lebt in der Dunkelheit. Im Kino. Vor uns. Für uns. From Spielberg with love.
«The Fabelmans läuft ab dem 9. März im Kino.