Ist etwa Stress das neue Lieblingsthema und -tempo des Schweizer Filmschaffens? Und ist man damit etwa dies- und jenseits des Röstigrabens auf dem grossen internationalen Erfolgstrip?
Eben noch jagte Petra Volpe ihre Pflegefachfrau Floria Lind in «Heldin» durch die Hölle einer Nachtschicht im Spital – und wird dafür von der Schweiz ins Oscar-Rennen geschickt. Nun rennt und rennt und rennt die Schweizer Diplomatin Alexandra Weiss in «The Deal» (hier geht's zum Trailer) durch die Flure, Säle, Gärten einer pompösen Genfer Hotelanlage. Sie versucht – wie Floria Lind beinahe im Alleingang –, das innere Uhrwerk der letzten Phase der «Geneva Talks» von 2015 zwischen den USA und Iran am Laufen zu halten und obendrein auch noch einen Gefangenenaustausch einzufädeln. Sie ist quasi Herkules auf High Heels.
Die Genfer «Atomgespräche» zwischen den beiden Mächten sind historisch, der von Bron fiktionalisierte Ausschnitt fand allerdings nicht wie in der Serie an wenigen Tagen, sondern während zweier Jahre statt, diese Freiheit liess sich Bron, schliesslich lebt so ein Politthriller von der Spannung, und Spannung ergibt sich am gründlichsten, wenn man die einst von Aristoteles aufgestellte Einheit von Zeit, Ort und Handlung einhält. Denn so entsteht am effizientesten Dichte, Ausweglosigkeit und ja, auch Stress.
Wie bei Petra Volpe spielt auch der Sechsteiler «The Deal» von Jean-Stéphane Bron an einem einzigen Ort, in einem einzigen Gebäude. Was bei Volpe die Patienten sind, sind bei Bron die Teilnehmenden an den Talks, Menschen mit enorm herausfordernden Bedürfnissen und Anliegen, denen Alexandra mit grosser Sensibilität und viel Verhandlungsgeschick begegnen muss. Dass sie selbst dabei fast umfällt, geschenkt, das Ziel ist ein höheres. Und immer, wenn sie denkt, dass eine Lösung nahe ist, lauert im Hintergrund der Mossad (gut, dieser Handlungsstrang ist Quatsch). Sicherheit ist im vermeintlich sicheren Genf ein fragiles Gut.
«The Deal» erinnert von der Struktur und den crispen, gelegentlich gefriergetrocknet ironischen Dialogen her natürlich an «The West Wing», sein Konflikt ruft «Homeland»-Vibes wach und alle Figuren sind so interessant, dass man ihnen neugierig weiter folgt. Der Lausanner Jean-Stéphane Bron kommt selbst vom politischen Dokumentarfilm («Mais im Bundeshuus», «L'experience Blocher»), «The Deal» hat er mit fünf anderen zusammen geschrieben. Mehrere Jahre dauerte die Arbeit an der Serie, drei Drehorte in Genf, Lausanne und Montreux wurden zu einem Luxushotel zusammengepuzzelt, Frankreich, Luxemburg und Belgien konnten als Ko-Produzenten gewonnen werden.
Brons Absicht war, durch die Lupe auf den Politapparat zu schauen, mit der Sonde in seinen Eingeweiden herumzustochern, seine – oft lächerlichen – Riten zu zeigen, aber auch seine Mühsal, die Langwierigkeit von Verhandlungen, die Strapazen, wie sich die Erschöpfung langsam in die Körper der Teilnehmenden frisst und wie sie die Fassung zu verlieren drohen.
Man soll Politik spüren, hautnah, soll mitfiebern und -leiden, wenn in Genf ein bisschen Weltgeschichte geschrieben wird. Als Vorbereitung für die möglichen Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland ist das perfekt. Leider nicht durchgehend, die Folgen 1, 2 und 6 sind makellose Akrobatiknummern der Hochspannung, dazwischen flacht es ab, man muss sich gelegentlich zusammenreissen, um dranzubleiben.
Und jetzt? Im März gewann «The Deal» am wichtigsten Serien-Festival Europas, dem Series Mania in Lille, aus dem Stand gegen grosse internationale Konkurrenz den Buyers Choice Award, also den Preis der Einkäufer. Damit stehen viele Türen für den internationalen Vertrieb offen. Und auch das Wagnis, die ersten beiden Folgen am Filmfestival Locarno auf der Piazza Grande zu zeigen, ging auf, es gab nichts als begeisterte Reaktionen. Der Stress hat sich gelohnt.
«Wir» haben jetzt wieder was. Möge es auf viel Gegenliebe stossen. Renn, Alexandra, renn!
«The Deal»: Alle sechs Folgen laufen jetzt auf Play Suisse. Ausserdem am 10. und 11. September, jeweils 20.10 Uhr, auf SRF zwei.