«Top Gun ... 2»? Im Ernst jetzt? Und wie bitte – nochmals mit Tom Cruise? Ist der nicht steinalt?
Ob es mir nun so passt oder nicht: Die Tatsache, dass eine «Top Gun»-Fortsetzung überhaupt existiert, ist nun mal ein nicht zu unterschätzender gesellschaftlicher Event. Alleine schon, weil der Ur-Film von 1986 einer der erfolgreichsten Blockbuster der Filmgeschichte war, mit Einnahmen von 356 Millionen Dollar gegenüber einem Budget von nur 15 Millionen. Somit ist eine Fortsetzung nur schon aus kommerzieller Sicht unausweichlich: Gehen die Kids von damals heute mit ihren eigenen Kids den neuen Streifen schauen, dann ist ein Erfolg garantiert.
Trotzdem wird die Frage gestellt, wie ein neuer «Top Gun» zum aktuellen Zeitgeist passt. Das 1986er-Original ist und bleibt ein Zeitdokument – ein Kabinettstück jenes ironiefreien Hurra-Patriotismus, wie er in etlichen Blockbustern der Achtziger gang und gäbe war. Rambo. Reagan. U-S-A! U-S-A!
In Wirklichkeit ging es damals um die kollektive Verarbeitung der Schmach von Vietnam. Ein Krieg, der die Nation in den Jahrzehnten zuvor entzweit hatte und schliesslich in einer Niederlage endete. Hollywoods Filmschaffen in den Siebzigerjahren widerspiegelte dies: Antihelden noch und nöcher, dystopische Sozialdramen, tragische Love Stories. Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse wurde immer unschärfer.
Doch das gedemütigte US-Publikum sehnte sich alsbald nach Eskapismus, nach Fantasiewelten – allesamt Hollywood-Urkompetenzen, denn nicht umsonst hiess es «die Traumfabrik». Das echte Leben ist schon hart genug, verdammt, weshalb man es doch bitte sehr für den Preis eines Kinotickets wenigstens zwei Stunden lang vergessen darf! Weg vom Alltag!
Weit, weit weg, wie im Fall der ersten Mega-Blockbuster der späten Siebzigerjahre und frühen Achtziger: «Star Wars» spielte in einer weit entfernten Galaxie; «Superman» kam vom Planeten Krypton. Dann, nach ein paar Jahren Reaganomics, kamen die kerligen Helden. Ganz gemäss der republikanischen Agenda von Eigenverantwortung und Selbstjustiz waren dies Trucker, Vietnam-Veteranen, Rennfahrer, Kampfpiloten.
Dies alles gipfelte 1986 in «Top Gun»: Die besten Kampfpiloten der besten Streitkräfte der besten Nation der Welt. Allesamt geile Siechen, die sowohl gut gebräunt oben ohne beim Strandsport als auch in der schicken Uniform eine gute Falle machen. Jungs, die gerne mal herumalbern und scheinbar in einem ständigen Gockel-Konkurrenzkampf zueinander stehen, auf die aber am Ende eben doch Verlass ist. «You can be my wingman!» Der Film war Balsam für die Seele jedes Patrioten.
Oder war er wirklich nur das? Bekanntlich hatte Quentin Tarantino eine andere Interpretation des Narrativs: Nach der Lesart des «Pulp Fiction»-Regisseurs ging es in «Top Gun» um den inneren Kampf eines Mannes mit seiner sexuellen Identität, ...
... was lustigerweise zur Folge hat, dass man nie wieder «Top Gun» schauen kann, ohne permanent diesen Subplot vor Augen zu haben: Ein Jägerpilot entdeckt seine Homosexualität. Ausserdem hat dies zur Folge, dass man beim neuen «Top Gun: Maverick» verzweifelt nach irgendeinem Subtext am suchen ist (dazu später mehr).
Womit wir beim aktuellen Film wären: Ja, nach über 30 Jahren ist Pete «Maverick» Mitchell zurück. Ja, er ist weiterhin bei der Navy; nein, er hat es nie über den Rang eines Captain hinaus gebracht. Weshalb? Weil er weiterhin ein Rebell, ein Aussenseiter ist – ein maverick. Nun ist er aber als Ausbilder tätig. Unter seinem Kommando befindet sich auch Bradley «Rooster» Bradshaw, der Sohn seines verstorbenen Freundes Nick «Goose» Bradshaw aus dem ersten Film. Ziel ist es, einen hochgefährlichen Tiefflugangriff auf eine nukleare Aufbereitungsstation eines (nicht namentlich genannten) feindlichen Landes zu fliegen.
1986 waren die feindlichen Linien klar definiert: Dort, im Osten, die rote Gefahr; westlich des Eisernen Vorhangs wir, die Guten. Heute ist der Kalte Krieg längst vorbei. Die Bedrohung aber ist für uns alle realer, wenn auch undurchsichtiger. Pandemien, Terrorismus, Krieg in Osteuropa, Spaltung der Gesellschaft in den USA, Amokläufe, Rechtsaussenpolitiker, welche die Grundpfeiler der Demokratie auszuhebeln versuchen – darunter bis vor Kurzem gar ein US-Präsident, der die Umstürzler aktiv unterstützte ... dies alles kommt in «Top Gun: Maverick» *nicht* vor.
Nein, hier gibt es eine kleinere, simplere, überblickbare Welt. Es ist wie ein Sportanlass: ein überschaubarer Cast, ein überschaubares Zeitfenster, eine klare Mission, ein Abschluss.
Es fällt auf, wie die USA mit keinem Wort erwähnt werden, geschweige denn der Präsident (die Dreharbeiten begannen 2018, mitten in der Trump-Präsidentschaft). Stattdessen steht da die Navy, die als Familie dargestellt wird. Ursprünglich wurde gemunkelt, beim Plot von «Top Gun: Maverick» werde es sich um einen Abgesang auf das Konzept bemannter Kampfflugzeuge handeln in der Ära der unbemannten Drohnen. Diese Thematik wird aber nur gestreift. Stattdessen ist Mavericks Verhältnis zu Rooster, dem Sohn seines verstorbenen Freundes Goose, das Leitmotiv. Man kämpft, weil man seine (erweiterte) Familie liebt. Die Filmfiguren sind allesamt Männer und Frauen mit Gewissen. Menschen, die für Werte einstehen, die das Richtige tun, auch wenn es bedeutet, ab und an Regeln zu brechen oder Befehle zu missachten.
Hach, das sind ja unser aller urtiefste Sehnsüchte! Sehnsüchte von uns, der Überlebenden der Generation X! Wie schön wäre es, wenn alles ein kleines bisschen weniger kompliziert wäre! Wenn all die politischen Schreihälse mal ihre Schnauze halten würden, damit wir mal das Richtige tun und diesen ganzen Schlamassel aufräumen könnten! Wir, die Grumpy Old Men beim Sichten der täglichen News, wir wollen einfach vorwärts machen, lieb zueinander sein und den Planeten retten ... bloss kommen uns irgendwelche Idioten in die Quere und erlassen drakonische Abtreibungsgesetze in den Südstaaten, führen Grossbritannien aus der EU, überziehen die Ukraine mit Krieg.
Oh. Ist er das nun, der Subtext, nach dem ich gesucht habe in «Top Gun: Maverick»? Ist es das Aufbegehren der Gen X?
Leider nein. Der Film ist nämlich wirklich genauso simpel und oberflächlich, wie er daherkommt. Da ist kein Subtext. Es bleibt beim Schwelgen in Nostalgie. Und – wow – Letzteres wird derart üppig aufgetischt, es ist geradezu Katzenminze für Midlife-Crisis-Dads: Leder-Fliegerjacken. Geile Oldtimer-Karren. Ein P-51 Mustang. Und mit Jennifer Connelly ein altersgerechtes Love Interest, das nicht nur verdammt gut aussieht, sondern erst noch eine Vorzeige-Mutter ist, die ihre Teenager-Tochter auch mal mit auf einen Segeltörn nimmt. Und, ach ja: Taten statt Worte, Erlebnisse statt Gedanken. Töfffahrten, prollige Trinkspiele und gefährliche Flugkampfmanöver. A little less conversation, a little more action.
Somit ist «Top Gun: Maverick» ein durch und durch gut gemeinter, ehrlicher Film. Er versucht nicht mehr zu sein als der Wunschtraum eines Mittfünfzigers.
Ich mag ihn nicht.
Ich, Vertreter dieser Zielgruppe, Midlife-Crisis-Vater erster Güte, der Oldtimer-Karren geil findet und Zweitweltkrieg-Flieger noch geiler, ich finde «Top Gun: Maverick» furchtbar. Ja, die Flugszenen sind grossartig gefilmt. Hübsch. Dafür ist die Mission so was von hanebüchen. Und die Dialoge sind aufs Nötigste beschränkt und dadurch derart plump einzig auf Plot-Erläuterung getrimmt, dass es nur noch nervt. Und ohnehin nervt diese kindliche, simplifizierende Darstellung von Kommandostrukturen und Befehlsgewalt. Ja, ich weiss, ich weiss, es ist ein Film und muss als solcher nicht zwingend die biedere Realität darstellen. Aber ein Frontalangriff auf die kollektive Intelligenz des Publikums sollte es auch nicht sein. Ein derart wackliger Plot kann nicht mit ein paar schön gefilmten Flugsequenzen ins Lot gebracht werden.
Wer damals als Kiddie den ersten «Top Gun» mochte und ein bisschen in Nostalgie schwelgen will, der soll ruhig «Top Gun: Maverick» schauen gehen (hey, sogar der Soundtrack ist derselbe: «Danger Zone», «Take My Breath Away» – alles dabei!). Für alle anderen, erinnert euch daran: Nur weil etwas kommerziell Sinn macht, ist es noch lange nicht gut.