Stell dir vor, du hast Geburtstag. Und dann erreicht dich aus heiterem Himmel das:
Nanu?
Der Absender ist nicht dein Freund. Du hast nicht um ein Bild seines nackten Oberkörpers gebeten. Und die Freude darüber hält sich in Grenzen.
Dann beginnst du zu überlegen:
Wie zum Henker kommt der Typ – wir wollen ihn Markus nennen – auf den Gedanken, dass sein Oberkörper von Interesse ist? Nimmt er an, dass du seinen Brustkorb dankend entgegen nimmst wie das Gratis-Werbejoghurt, das du am Bahnhof unverhofft in die Hand gedrückt bekommst? Oder glaubt Markus vielleicht sogar, er würde dein Blut mit seiner dargebotenen Nacktheit in Wallung bringen? Meint er es wirklich so bedrängend wie es sich anfühlt?
Und in welch abenteuerlicher Kausalbeziehung mögen dein Geburtstag und seine Muskeln stehen? Oder stand Markus einfach vor dem Spiegel und hat sich gedacht: «Wow, schaut mich an! Ich bin so unendlich geil, ich muss meine makellose Schönheit auf der Stelle mit jemandem teilen. Nur mit wem? Hmm. Mal schauen, wer heute Geburtstag hat. Ah, du. Herzlichen Glückwunsch, du bist die Auserwählte! Hier, zur Feier des Tages ein Bild meiner formvollendeten Herrlichkeit.»
Wäre Markus' Selfie ein Aurabild, sähe man das riesenhafte (rote?) Ego dieses Menschen dahinter aufleuchten.
Eins ist dir inzwischen klar geworden:
Mit dir hat dieses Bild etwa so viel zu tun wie ein Gnu mit der Frage, warum Mozart einst ein Stück mit dem Titel «Leck mich im Arsch» komponierte. Und warum dieser unflätige Text ausgerechnet in «Lasst froh uns sein» geändert wurde. Das frag ich mich schon seit Jahren, aber darüber wollen wir uns ein anderes Mal Gedanken machen.
Zurück zu unserem eigentlichen Problem:
Du bist zwar die Empfängerin dieses entblössten Leibes, aber deine Rolle scheint sich im Wesentlichen darauf zu beschränken, ihm als lebendige Spiegelfläche für seine Selbstverliebtheit zu dienen.
Er erwartet nun eine Lobpreisung seiner fleischlichen Vorzüge, vielleicht sogar mehr. Diese Freude machen wir Markus selbstverständlich nicht. Die Gefallsucht hat offenbar restlos all seine Synapsen blockiert – und wir reden hier von durchschnittlich 100 Billionen in einem ausgewachsenen Gehirn.
Was Markus dafür verdient hat:
Sicher keine nette Antwort. Wir müssen ein bisschen böse zu ihm sein, sonst lernt er es nie. Sehen wir es einfach als pädagogischen (Heils-)Auftrag. Damit andere Frauen künftig von seinen adamitischen Vorstössen verschont bleiben.
Die Spitzenreiter in der Kategorie ungewünschter Nacktheit sind natürlich die Herren, die ihr bestes Stück herumschicken – oder was sie dafür halten. Wir verwenden dafür selbstredend authentisch gemalte Symbolbilder.