Nachdem «Wilder II» im spätsommerlich-frühherbstlichen Jura spielte, ist «Wilder III» wieder zu seinen Wurzeln zurückgekehrt, nämlich in den tiefsten Winter. Seit «Fargo» und der einen oder andern skandinavischen Krimiserie wissen wir, dass keine Landschaft krimitauglicher ist als im Winter. Weil die Unschuld des Schnees Verbrechen einerseits vortrefflich deckt, andererseits aber auch den wirkungsvollsten Hintergrund für etwas so Kontrastreiches wie beispielsweise Blut bietet.
Gedreht wurde in überzeugend industriell abgewrackten Vierteln von La Chaux-de-Fonds und erneut im Jura. Auf den verlassensten Höfen, wo nicht einmal mehr Trinken hilft. Gedreht wurde aber auch im Winter und im Hochsommer. Im Winter wurden alle Aussenaufnahmen gefilmt, dann kam die Coronazwangspause, und als es im Hochsommer endlich mit den Innenaufnahmen weitergehen konnte, mussten die armen Schauspielerinnen und Schauspieler in Winterkleidern arbeiten.
Gut! Ausgesprochen gut! Rosa Wilder (Sarah Spale) ist geradezu gelöst verliebt, in einen Staatsanwalt, den wir zwar überhaupt nicht für sie ausgesucht hätten (er sieht aus wie ein Kind der Liebe von Wilders Vater und Anatole Taubmann), aber wer sind wir, um ihr sichtbares Glück in Frage zu stellen? Zudem hat sie sich niedergelassen, sie wohnt jetzt in einem ziemlich schicken Betonreihenhaus, samt Sohn Timi, der immer schon eine schlechte Idee war, weil Timi immer irgendwelchen Ermittlungen im Weg steht beziehungsweise aus dem Weg geschafft und bei seinem Vater deponiert werden muss. So auch jetzt. Vielleicht ist der Staatsanwalt auch eine schlechte Idee, schauen wir mal.
Manfred Kägi (Marcus Signer) dagegen scheints irgendwie nicht gut zu gehen. Er sieht noch verwitterter aus als früher, zudem ist modisch plötzlich alles aus den Fugen geraten bei ihm, er trägt eine grässlich schlecht sitzende Jeans und ein ekelhaftes Biederkragenhemd. Auch seine Mäntel waren schon mal sichtbar teurer. Nur die Cowboy-Stiefel (oder «Coboi», wie er sagt) sind immer noch da, um zu walken. Und wo ist sein silberner Wohnwagen??? Oder – schockierender Gedanke – muss SRF etwa so viel sparen, dass es ausgerechnet bei Kägi, unserem coolsten Cop, damit angefangen hat?
Polizeigewalt. Da ist «Wilder III» nun ganz nah an der (amerikanischen) Realität. Offenbar ist das unnötige, aber absichtsvolle und reuelose Töten von Kriminellen besonders unter den Beamten von La Chaux-de-Fonds äusserst beliebt. Ein erstes Opfer wird gerächt. Dabei wird es nicht bleiben. Gewalt wird mit Gewalt gesühnt. Ein schöner, aber kein seltener Thriller-Plot, da wildert «Wilder» zum Beispiel bei «Dexter».
Oh ja! Und ein richtig, richtig toller Schauspieler dazu. Dies lässt sich an dieser Stelle verraten, denn natürlich haben wir nicht nur die erste Folge (die einzige, über die hier geschrieben werden darf) gesehen. Folge drei zum Beispiel ist Hammer. Und so gut und toll ist unser Serienkiller, dass man richtig mit ihm mitzufiebern beginnt. Wer er ist, klärt sich übrigens schon in Folge eins, aber nicht, wieso er in Serie killt. Sehr interessant auch seine Angehörigen, die beseelten Mitgliedern eines Kults gleichen.
Ja! Erinnert ihr euch an die junge Provinz-Journalistin Jenny Langenegger (Anna Schinz) und Jakob Siegenthaler (Julian Köchlin), den Sohn des Dorfladenbesitzers aus «Wilder I»? Die beiden hatten kurz Sex miteinander. Jetzt machen beide Karriere. Natürlich in La Chaux-de-Fonds. Jenny ist jetzt eine sehr erwachsene Reporterin bei «Der Reporter» und Jakob arbeitet bei der Polizei und macht irgendwas mit Daten. Beide betreiben ihren Job mit grosser Leidenschaft, was schön ist.
Ja. Harte. Gab es zum Beispiel in «Wilder I» gar nicht, in «Wilder II» einige, jetzt springen sie uns so richtig an. Was kommt geschätzten 100 Prozent der «Tatort»-Schreiber in den Sinn, wenn sie an harte Jungs mit Migrationshintergrund denken? Ein Boxkeller! Den «Wilder»-Schreibern auch.
Und nur im Krimi werden Journalisten andauernd Datenträger mit irrsinnig interessanten Videos zugespielt, die dann von den Journalisten auch gar nicht der Polizei übergeben, sondern sofort veröffentlicht werden, weil man der Bevölkerung ja sogenannte Aufklärung schuldig ist. Nur! Im! Krimi! Da aber immer. Der eine der beiden Drehbuchautoren ist übrigens Bruder eines real existierenden Journalisten. Den hätte er ruhig mal fragen dürfen.
«Wilder III» ist definitiv besser als die zweite Staffel, was auch an dem hervorragend zusammengesetzten Ensemble liegt, letztes Mal war das nicht in allen Rollen so überzeugend. Zudem ist die Architektur – Serientäter versus Wilder & Kägi – klarer, in der letzten Staffel war die Handlung oft konfus.
Ganz so überwältigend wie die erste Staffel ist es bisher trotzdem nicht, da gab es sowas wie ein magisches Gewebe zwischen den Figuren, ihren Schicksalen und der Landschaft, das war ganz schweizerisch, aber auch auf melancholische Art welthaltig. Aber eben, es ist noch zu früh, um ein irgendwie abschliessendes Urteil zu bilden, und mehr als drei Folgen durften auch wir noch nicht sehen, was fürchterlich ist, denn wir sind bereits auf Entzug und würden jetzt, genau jetzt, sehr, sehr gerne einfach dranbleiben dürfen.
Die sechs Folgen von «Wilder III» gibt es ab dem 5. Januar immer dienstags um 20.05 Uhr auf SRF1 zu sehen. Ab dem gleichen Zeitpunkt ist die komplette dritte Staffel auch auf Play Suisse abrufbar.
Dann habt ihr Märku zu seinen besten Zeiten nicht erlebt.
Dagegen sieht er hier aus wie das blühende Leben.
Und ansonsten ist er halt auch nur ein fashion victim.
😂