Wer sich in Supermärkten umsieht, bekommt leicht den Eindruck: Eine proteinreiche Ernährung ist ein Muss für einen gesunden Lebensstil. Und je mehr, desto besser. Das ist zwar nicht ganz falsch. Gerade ältere Menschen, die bis zu ihrem 80. Lebensjahr etwa ein Drittel ihrer Muskelmasse verlieren, können mit einer eiweissreichen Ernährung dagegensteuern. Bewegung allein reicht nicht aus.
Allerdings: Forschungsergebnisse legen nahe, dass eine Diät, die aus verhältnismässig wenig Eiweiss und vielen Kohlenhydraten besteht, die gesunde Lebensspanne verlängern. «Das sehen wir zum einen in Fliegenund Mäusen, zum anderen aber auch bereits in ersten Studien mit Menschen», sagt Sebastian Grönke. Der Biologe forscht am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns und beschäftigt sich insbesondere mit den molekularen Mechanismen von Langlebigkeit.
Den Zusammenhang einer eiweissreichen Diät und der Sterblichkeit legen beispielsweise Auswertungen der seit den Mitte der 1980er-Jahre laufenden Rotterdam-Studie nahe. In einer aktuellen Analyse davon, in welche die Daten von fast 15'000 Teilnehmenden eingeflossen sind, starben demnach die Leute, die viel Fleisch und Milchprodukte assen, früher. Das berichtete ein Team um den Epidemiologen Zhangling Chen vom Erasmus University Medical Center im Fachblatt «European Journal of Epidemiology». Insbesondere stieg das Sterberisiko durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Ähnliches zeigten Forscherinnen und Forscher der University of Southern California in Los Angeles. Sie hatten die Ernährungsdaten von über 6000 Menschen zwischen 50 und 65 Jahren analysiert. Dabei zeigte sich: Wer in diesem Zeitraum seinen Speiseplan mit zwanzig Prozent oder mehr Eiweiss ausfüllt, dessen Sterblichkeitsrisiko ist um 75 Prozent erhöht. Dies im Vergleich zu denjenigen, die weniger als 10 Prozent Protein assen. Das Risiko, an Krebs oder an den Komplikationen durch Diabetes zu sterben, erhöhte sich sogar um das Vierfache, wie das Team um Morgan Levine in «Cell Metabolism» schrieben.
Man geht davon aus, dass ein ganz bestimmter Signalweg in den Körperzellen eine Schlüsselrolle dabei spielt, warum sich Eiweisse negativ auf die Lebensspanne und Gesundheit auswirken: der mTOR-Signalweg, quasi der «Langlebigkeitsschalter» in unseren Zellen. «Angetrieben wird mTOR hauptsächlich über Aminosäuren», erklärt Sebastian Grönke. Aminosäuren sind die Bausteine der Proteine.
Nun ist es so, dass eine Überaktivität von mTOR das Zellwachstum und die Zellteilung fördern. Das ist nicht unbedingt schlecht. Zum Beispiel wachsen dadurch die Muskeln, was wichtig, ja sogar lebensnotwendig ist. Doch läuft mTOR ständig auf Hochtouren, gerät das Zellwachstum ausser Kontrolle und eine Ansammlung von Zellschäden wird begünstigt. Dadurch steigt das Risiko für Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere Altersleiden.
Hingegen weiss man, dass eine reduzierte mTOR-Aktivität mit einer verlängerten Lebensspanne und einer verbesserten Gesundheit im Alter verbunden ist. Grönke erklärt das folgendermassen: «Wird der mTOR-Signalweg herunterreguliert, geht die Zelle in eine Art Überlebensmodus. Dabei werden Recycling- und Reparaturmechanismen angeschmissen, Stichwort Autophagie.» Die Autophagie ist sozusagen die Müllabfuhr unserer Zellen: Sie eliminiert beschädigte Zellbestandteile und fehlerhafte Proteine, um die Zellgesundheit zu erhalten.
Bekannt sind diese Mechanismen vor allem aus Versuchen mit Tieren. Allerdings handle es sich bei mTOR um einen evolutionär sehr stark konservierten Schalter, sagt Grönke. Er spiele in Tieren und Menschen eine sehr ähnliche Rolle, weshalb man davon ausgehen könne, dass die Ergebnisse aus Tierversuchen schon einigermassen übertragbar seien. Endgültig belegt ist das allerdings noch nicht.
Noch nicht erklären kann die Forschung zudem eine andere Beobachtung aus den Langzeitstudien an Menschen. Denn die höhere Sterblichkeit zeigte sich lediglich bei einer Diät, die auf vielen tierischen Eiweissen basiert. «Bei pflanzlichen Eiweissen sehen wir diesen Zusammenhang nicht», so Grönke. Es gebe Theorien, wieso das so sei, aber ganz verstanden habe man es noch nicht. Beispielsweise wäre möglich, dass die unterschiedlichen Effekte mit den Aminosäure-Profilen von tierischen und pflanzlichen Eiweissen zusammenhängen.
Aber auch wenn man noch nicht alles bis ins kleinste Detail verstanden hat: Kann man heute schon eine optimale Langlebigkeitsdiät empfehlen? Laut Sebastian Grönke schon. Seine Formel lautet: Nicht zu viel essen, wenig Proteine – wenn schon, dann aus pflanzlichen Quellen wie Hülsenfrüchte und Kichererbsen – sowie viele Ballaststoffe. Und die gute Nachricht für die Karnivoren unter uns: «Ab und zu Fleisch ist schon auch in Ordnung», meint Grönke. (aargauerzeitung.ch)
Ich frag weil wenn ich alles befolge was ich die letzten zehn Jahre gelesen habe werde ich zusammengerechnet so um die 158 Jahre alt.
Gott sei Dank rauche ich zumindest noch! :-P
Ich für meinen Teil finde den aktuellen Proteinzusatz in den Produkten nicht schlecht, da so theoretisch weniger Fleisch gegessen werden muss, um den Bedarf anzudecken. Denn zumindest bei rotem Fleisch weiss man dann ja effektiv, dass es die Lebenserwartungen senkt.
Ich ziehe für mich aus dem Text, dass es gerade soviel Proteine braucht, dass der Körper nicht Muskeln abbaut.
Bei Frauen beginnt der höhere Proteinbedarf schon mit der Perimenopause und nicht erst im Pensionsalter.
Hier ist sicher noch weitere Forschung notwendig.